George Saunders gewinnt Man Booker Preis

Ein Roman über Trauer und Verlust

US-Autor George Saunders nach der Preisverleihung in London
George Saunders: "Meine Geschichte ist ein bisschen dunkel und zynisch und Science-Fiction." © POOL
Von Thomas Spickhofen · 18.10.2017
Der legendäre US-Präsident Abraham Lincoln steht im Roman "Lincoln in the Bardo" am Grab seines 11-jährigen Sohnes. Der US-amerikanische Autor George Saunders wurde für sein Buch mit dem Man Booker Preis ausgezeichnet. Es soll im Frühjahr auf Deutsch erscheinen.
Seit zwanzig Jahren schreibt George Saunders sehr erfolgreich Kurzgeschichten. An die Gesellschaft berühmter Romanautoren muss er sich aber erst noch gewöhnen.
Es sei eine große Ehre, sagt Saunders in seiner Dankesrede, mit seinen neuen Freunden Paul Auster und den anderen zusammen auf einer Shortlist zu stehen. Für den gebürtigen Texaner ist "Lincoln in the Bardo" ein Debüt, sein erster Roman, nach mehr als einem Dutzend Bänden mit Kurzgeschichten.
"Naja, meine Geschichte ist ja ein bisschen dunkel und zynisch und Science-Fiction. Ich habe lange Zeit nicht den richtigen Zugang zu diesem ernsthaften Material gehabt. Ein paar Mal habe ich es versucht, aber es hatte nie geklappt. Deshalb habe ich mir dann gesagt: Warte, bis Du genug Erfahrung im Leben hast, damit Du dem Material gerecht werden kannst."

Im Buddhismus steht Bardo für die Übergangswelt

In "Lincoln in the Bardo" erzählt Saunders vom legendären US-Präsidenten Abraham Lincoln, der am Grab seines mit 11 Jahren verstorbenen Sohnes Willie steht und mit der Trauer kämpft. Willie befindet sich in einer Übergangswelt zwischen Tod und Wiedergeburt, dem buddhistischen Bardo, und von dort erreichen den trauernden Vater und Präsidenten viele fremde Stimmen, die ihn wie Geister umschwirren. Wann immer er einen Geist gebraucht habe, sagt Saunders, habe er einen geschaffen.

Hier unser Gespräch mit dem Übersetzer Frank Heibert, der Saunders' Buch ins Deutsche überträgt: Audio Player

Manche Stimmen tauchen nur einmal auf, andere durchgehend. Das ist am Anfang sehr verwirrend, aber der erfahrene Kurzgeschichten-Erzähler Saunders entwickelt daraus eine Sogwirkung. Es entsteht eine Collage, die nur manchmal einem Roman herkömmlicher Machart entspricht, mit am Ende insgesamt 166 Stimmen. Für das Audiobuch, berichtet Saunders, wurde für jede Stimme eine andere Person genommen. Ein großes Abenteuer sei das gewesen.

Jurorin: "Besonderer Humor"

"Geistreich, intelligent und tief bewegend" nennt die Jury "Lincoln in the Bardo". Literaturkritikerin Stephanie Merrit findet, Saunders schöpfe seine Talente sehr gut aus:
"Es ist ein bisschen wie ein Skript für ein Theaterstück. Es ist sicherlich das experimentierfreudigste Buch und hat sehr viel von Saunders' besonderem Humor. Aber es ist auch ein Buch über Trauer und Verlust und wie man damit zurechtkommt. Er hat das wirklich sehr gut gemacht."
340 Seiten umfasst das englische Original, eine deutsche Übersetzung soll im Frühjahr auf den Markt kommen.
Saunders ist nach Paul Beatty im vergangenen Jahr nun schon der zweite US-Autor, der mit dem Man Booker Preis geehrt wird. Der mit 50.000 Pfund dotierte Preis war erst 2014 auch für amerikanische Schriftsteller geöffnet worden. Eine Diskussion über die Frage, ob die Literatur aus dem Commonwealth jetzt überhaupt noch eine Chance gegen die amerikanische Konkurrenz hat, zeichnete sich schon in den ersten Reaktionen gestern Abend nach der Preisverleihung ab.
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