George Prochnik: "Das unmögliche Exil"

Wie Stefan Zweig am Heimweh verzweifelte

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881−1942)
Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881−1942) © dpa / picture alliance / DB Ullstein
Von Joachim Hildebrandt · 08.10.2016
Das Gefühl, dazuzugehören, fand der in Wien geborene Bestsellerautor Stefan Zweig im Exil nie mehr. Zu stark war er verbunden mit der geistigen Welt des alten Europa. Eine neue Biografie erläutert sensibel seine verzweifelte Suche nach einer neuen Heimat - und erinnert an heutige Flüchtlingsschicksale.
Die neue Biografie von George Prochnik – selbst Nachfahre von Wiener Emigranten – macht mit anschaulichen Einzelheiten aus Zweigs Leben im Exil, wie in einem tableau vivant, ganz typische Entwicklungsstufen von Menschen auf der Flucht deutlich. Dabei lässt er beim Lesen der Lektüre die Frage entstehen: Hätte das Exil von Stefan Zweig nicht doch gelingen können, musste es wirklich scheitern?
In den Vereinigten Staaten hat sich Zweig einige Städte angesehen. Von San Francisco hat er geschwärmt, dann von Salt Lake City. Doch immer gab es etwas, das den Feingeist störte. Er meinte dann, an dem neuen Ort nicht mehr in großer Höhe schöpferisch tätig sein zu können. Warum blieb er nicht in England, nachdem er im März 1940 britischer Staatsbürger wurde? Das lässt sich vermutlich mit seiner Unruhe und Angst erklären, die er ständig den Bewohnern von Bath auf seinen Spaziergängen durch die sanft gewellte Landschaft vermittelte:
"Glauben Sie wirklich, dass die Nazis nicht hierherkommen?"
In seiner Studie zu Erasmus von Rotterdam schildert der österreichische Autor den Wettstreit zwischen dem weltlichen Humanisten Erasmus und dem zur Tat entschlossenen Martin Luther. Zweig verstand das selbst als eine Allegorie auf die politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa zu seiner Zeit.

In der "Welt von gestern" gefangen

George Prochnik bezieht sich in seiner Zweig-Biografie immer wieder auf den englischen Schriftsteller E.M. Forster, der vor allem mit seinem Buch 'Howards End' bekannt geworden ist:
"Zweig verstecke die Schwächen des Erasmus keineswegs – der Humanist war ‘nicht mutig‘ und ‘mochte es nicht, seine Haltung zu bestimmen‘ – und diffamiere auch Luther nicht, aber er zeige, warum langfristig gesehen Toleranz das ‘wichtigste Instrument für die Aufwärtsbewegung‘ der Menschheit gewesen sei."
Stefan Zweig war, schildert überzeugend sein Biograf, zeitlebens in der "Welt von gestern" gefangen. Auch im brasilianischen Petrópolis, wo er letztlich eine Art neues zu Hause fand, wollte er sich am liebsten in den Schatten seiner Terrasse verkriechen und den Geist der Vergangenheit wieder aufleben lassen.
"Wenn es nur gelingt, hier Europa zu vergessen, allen Besitz, Haus, Bücher als verloren zu betrachten, gleichgültig gegen alles an Ruhm und Erfolg zu sein und nur dankbar, dass man in einer göttlichen Landschaft leben darf, während Europa Hunger und Elend verheert, will ich zufrieden sein."
In dem Haus in der Rua Gonçalves Dias 34 in Petrópolis genoss er die Freundlichkeit der brasilianischen Menschen und wollte nur noch sein inneres Gleichgewicht wiederfinden. Doch er erkannte schmerzhaft, so lesen wir im Vorwort zu seiner Autobiografie:
"Zwischen unserem Heute, unserem Gestern und Vorgestern sind alle Brücken abgebrochen."
Mit seinem Buch "Die Welt von gestern" sollten gerade diese Brücken zwischen den Generationen neu entstehen. Diese Welt existierte nur noch in Zweigs Vorstellung und bestand aus Erinnerungen an eine bürgerliche Welt der Toleranz. In Wien, wie er es kannte, mit seiner deutschen, ungarischen, slawischen und italienischen Bevölkerung. Lange Zeit war es Anziehungspunkt für Migranten, die ein neues Leben wagen wollten.

Stefan Zweig ist "an Heimweh zugrunde gegangen"

Stefan Zweig suchte eine Welt, die ihm psychologisch vertraut war, wie in seinem Haus in Salzburg am Kapuzinerberg, der sich über die mittelalterlichen Gassen der Stadt erhebt. Mit dem 'Anschluss' Österreichs und dem Tod der Mutter im selben Jahr ging dieser Traum zu Ende. Er konnte nicht ohne Gefahr nach Wien zurückkehren. Wenn er als Jude die Grenze zu Österreich überquerte, konnte das bedeuten, verhaftet zu werden und ins Konzentrationslager zu kommen.
Mit seinen Erinnerungen "Die Welt von gestern" hatte Zweig sich äußerst verausgabt, er fühlte sich erschöpft, und womöglich war mit diesem Buch sein Leben schon beschlossen. Ein Neuanfang wäre nur an einem ruhigen und sicheren Ort möglich gewesen, der ihn zugleich schöpferisch anregte. Brasilien nannte er zwar das Paradies und Gelobte Land, doch es sei keinesfalls eines, von dem man geistige Anregung erwarten könne.
Cover von George Prochnik "Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt"
Cover von George Prochnik "Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt"© C.H. Beck
"Ich bin mehr Europäer, als ich dachte. Alles was ich geben konnte, gab ich dank meines Elans, ich konnte nehmen, weil ich selbst eingenommen war, und dies stellt eine kommunikative Wärme her, ohne Glauben, ohne Begeisterung, nur durch mein Gehirn gehe ich wie auf Krücken."
Stefan Zweigs Nachlass wurde von dem Philosophen und Zweigfreund Richard Friedenthal verwaltet. Der bemerkte nach Zweigs Tod:
"Aus Freundschaften erwuchs ihm sein Werk in den Anfängen, Freundschaften haben es immer wieder genährt und gesteigert, und aus dem Mangel an lebendigem Kontakt mit seinen Freunden, an dem Heimweh nach den Menschen, die ihm wert waren, ist er zugrunde gegangen."
George Prochnik liefert uns ein umfangreiches und übersichtliches Faktenmaterial über Stefan Zweigs Lebensweg, der am 23. Februar 1942 in Brasilien mit dem Freitod endete. Das Buch berührt uns, weil es an die heutigen Fluchtbewegungen erinnert, bei denen manch ein Lebensweg gut ausgeht – und ein anderer wiederum nicht.

George Prochnik: Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
C.H. Beck, München 2016
397 Seiten, 29,95 Euro

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