Georg Baselitz in der Schweiz

Eine Doppelschau zum 80. Geburtstag

Von Johannes Halder · 19.01.2018
Georg Baselitz gilt als einer der erfolgreichsten deutschen Künstler der Gegenwart. Die Kunstkritik tut sich aber schwer mit ihm. Er habe so lange auf Unangepasstheit gesetzt, bis er im Establishment ankam, so der Vorwurf. Das Kunstmuseum Basel ehrt ihn jetzt mit einer Doppelschau.
Kopfüber, wie im Sturzflug, taumelt ein Adler vom blauen Himmel, das Gefieder zerzaust wie ein gerupftes Huhn. 1972 hat Georg Baselitz das Federvieh mit den Fingern gemalt, furios und expressiv. Ein ganz ähnliches Exemplar aus der Serie hängte sich Gerhard Schröder einst über seinen Schreibtisch im Kanzleramt – das deutsche Wappentier im freien Fall.
Kunst und Macht. Wer das Bild symbolisch lesen will, kann das tun. Der Maler jedenfalls fühlt sich in diesen Kreisen wohl: einst Außenseiter und geächtet, heute arriviert, dabei notorisch unbequem und auch mit 80 produktiv wie kaum ein anderer, sagt in der Fondation Beyeler der Kurator Martin Schwander:
"Wir sprechen von über 2 800 Bildern, die er gemalt hat, da kommen noch zehn-, zwölftausend Zeichnungen dazu, Grafiken, Skulpturen. Da ist er eigentlich so in der Liga wie ein Picasso. Wie Picasso ist er ja ein sehr versatiler Künstler, der immer wieder sich herausfordert, immer wieder neue auch Malweisen, neue Stile für sich ausprobiert, und das gibt natürlich ein unglaubliches reiches und lebendiges Werk."

Traurige Gestalten in verwüsteten Landschaften

Baselitz, der deutsche Picasso. Naja. Aber die Schau ist schon eine Wucht, fast hundert Werke aus sechs Jahrzehnten, und fast alles da: die legendäre "Nacht im Eimer" mit dem Jungen, dessen erregter Schwellkörper sittenwidrig aus der Hose ragt, und auch in anderen Frühwerken sehen wir Körper in Not: eine ganze Wand mit amputierten Füßen und verstümmelten Gliedmaßen, rohe Fleischklumpen, barbarisch gemalt.
Dann die Serie der "Helden": ungeschlachte, verlorene, traurige Gestalten in verwüsteten Landschaften. Baselitz bohrt mit diesen Bildern in der deutschen Geschichte, die auch seine eigene Geschichte ist:
"Diese Vergangenheit ist leider, muss ich sagen, sehr belastend für den, der sie erlebt hat. Meine ganze Generation hat sehr darunter gelitten und leidet noch darunter. Und mit dieser Geschichte kann man arbeiten."
Auch wenn Baselitz-Bashing mittlerweile in Mode gekommen ist – wie er ab 1969 die ganze Welt auf den Kopf stellt, verdient Respekt, und merkwürdigerweise hat sich die Methode bis heute nicht abgenutzt. Bei seinen klobig-schroffen Holzskulpturen hat er das Umsturzprinzip ohnehin nicht angewandt. Und blickt man hier auf seine einstmals skandalumwitterte Biennale-Skulptur, die den rechten Arm zum verdächtigen Gruß erhebt, so lässt sich deren mediales Erregungspotenzial heute kaum noch nachvollziehen.

Baselitz ist ein Bewunderer seiner eigenen Werke

Landschaften, Figuren, Porträts – maßlos und monströs lässt er seine Motive in regelrechten Farbkrämpfen zucken, und einen Satz wie diesen kann man dem malenden Kraftmeier kaum übelnehmen:
"Also ich hab ein Verhältnis zu meinen eigenen Bildern wirklich als Fan oder als Bewunderer."
So gut hat Baselitz sich selbst gefunden, dass er sich bis heute immer wieder lustvoll selbst zitiert, indem er sich alte Motive nochmals vorknöpft und neu malt – anders halt, nicht unbedingt auch besser. Ein Spiel mit sich selbst.
Baselitz ist ein Künstler, der Bilder und Skulpturen ausspuckt wie ein Vulkan, roh und rücksichtslos, und der noch längst nicht erloschen ist. Das zeigen die ganz neuen Werke, die ziemlich düster sind. Denn die Angst vor dem Alter macht auch vor ihm nicht halt, sagt Martin Schwander:
"Das Spektrum des Todes ist etwas, das in der neuen Arbeit sozusagen doch herumgeistert. Da geht er die Frage des Alters, also des Alterns eines Künstlers anders an als Picasso, der sich in einer Art simulierte sexuelle Euphorie hineingesteigert hat mit all diesen erotischen Darstellungen. Bei Baselitz geht’s wirklich um die eigene Befindlichkeit."
Zu sehen, wie der alte Maler trotzig mit sich ringt, hat durchaus etwas Anrührendes.

Beyeler-Ausstellung nimmt den Werken das Widerborstige

Und dennoch, etwas stört. Die Ausstellung ist, wie immer an diesem Ort, inszeniert als perfektes Produkt, doch das nimmt den Werken alles Widerborstige und macht das Rebellische zur Routine. Die Bilder führen ja quasi ein Eigenleben, versenkt in millionenschweren Sammlungen, als Geldanlage, Investitions- und Imponier-Objekte. Ob man will oder nicht, das sieht man immer mit.
Bei den Zeichnungen im Kunstmuseum ist das anders. Da kommt man Baselitz näher, sagt die Kuratorin Anita Haldemann:
"Man ist ihm mehr auf der Spur, was er eigentlich so versucht, wie er zeichnet. Es ist alles transparenter. In der Malerei, da schichtet er manchmal mehrere Schichten übereinander, bis das Bild steht. Und in der Zeichnung, die ist viel ehrlicher, offener, da sieht man gleich, was er macht, ob’s geglückt ist. Der Prozess bleibt viel besser sichtbar."
Na also, auf nach Basel. Wer beide Ausstellungen sehen will, sollte freilich wissen, was ihn seine Schaulust kostet: 50 Euro Eintritt muss man sich leisten können.

Die Ausstellungen "Georg Baselitz – Gemälde und Skulpturen" in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel und "Georg Baselitz – Werke auf Papier" im Kunstmuseum Basel sind bis zum 29. April 2018 zu sehen.

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