Gentrifizierung versus Graffiti

Berlins Streetart-Szene wird erwachsen

Ein Motiv des Street-Art-Künstlers "Alias" - Ein Junge, der die Hände vor das Gesicht schlägt - in Berlin-Mitte
Streetart ist überall in Berlin zu finden, wie dieses Motiv des Künstlers "Alias" © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Martin Gegenheimer im Gespräch mit Timo Grampes · 09.04.2018
Je mehr Berlin gentrifiziert wird, umso mehr verschwinden auch seine Streetart und Graffitis. Vernichtet der Wohlstand die Kunst im öffentlichen Raum? Ganz klar nein, meint Martin Gegenheimer vom Archiv der Jugendkulturen: Ihre Beziehung ist komplizierter.
Berlin hat nach dem Krieg viele Häuserwände gehabt, die im Laufe der Zeit gestaltet wurde - mit Streetart oder Graffitis. Heute werden es immer weniger: "Gerade in Kreuzberg verschwinden sehr viele Bilder und viele neue Häuser werden gebaut", sagt Martin Gegenheimer, der das Graffiti-Archiv im Archiv der Jugendkulturen leitet.
Doch es sei nicht die Gentrifizierung, die die Graffitis verdrängte, meint er. "Graffiti und Streetart sind oft die Vorreiter der Gentrifizierung", also ihre frühen Boten. Das sei so seit dem großen Hype der Streetart in den 2000er-Jahren. Wo Streetart sei, sei die kreative Klasse - und dann kämen bald auch Bars, und bald käme dann auch jemand, der die Gegend aufwertet. "Es bedingt sich beides gegenseitig."

Schwierige Kunstdebatte

Gerade auch Berlins Teilung habe einiges dazu beigetragen, dass die Stadt einen besonderen visuellen Charakter habe - das fußt auf der Mauer als "buntes, freies Kunstwerk", wie Gegenheimer sagt. Eine Menge bekannter Künstler aus der ganzen Welt hatte sich darauf verewigt.
Heute sei die Szene erwachsen geworden:
"Viele Jugendliche, die da aktiv waren, sind dann irgendwann in die Werbebranche gegangen, haben Grafikdesign studiert und haben ihre Fähigkeiten genutzt, um damit Geld zu verdienen. Wir haben mittlerweile in Berlin zunehmend viele Graffiti-Agenturen, die große Werbeaufträge für große Firmen umsetzen. Und die prägen zunehmend das Bild."
Gleichzeitig verändere sich die Stadt:
"Es wird mittelfristig nicht mehr so viele Flächen für solche Bilder geben."
Doch solle man Graffitis schützen, indem sie als Kunst bezeichnet?
"Diese Kunstdebatte finde ich persönlich ganz schwierig. Was ist Kunst, was ist keine Kunst, wer definiert das?", fragt Gegenheimer. Immerhin befänden wir uns in einer Zeit, in der dieser Kunstform endlich Respekt gezollt werde, sagt er, jedoch "nur weil sie monetär verwertbar ist."
(inh)
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