Gentechnik

Die Illusion des natürlichen Essens

Äpfel hängen an einem Apfelbaum.
Möglichst natürlich soll der Apfel sein: Menschen träumen von naturbelassenen Lebensmitteln. Doch die gibt es schon lange nicht mehr. © Unsplash.com/Marina Khrapova
Nicole Karafyllis im Gespräch mit Thorsten Jantschek · 06.01.2018
Die meisten Deutschen wünschen sich natürliche Lebensmittel. Die Biologin und Philosophin Nicole Karafyllis glaubt, dass die breite Ablehnung von Gentechnik den Blick darauf verstellt, dass auch Lebensmittel Produkte eines technischen Systems sind und Schnitzel irgendwann aus dem 3D Drucker kommen könnten.
Deutschlandfunk Kultur: In dieser Woche hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU den Ernährungsreport 2018 vorgestellt. Mehr als achtzig Prozent der Deutschen wünschen sich detaillierte Informationen darüber, ob tierische Produkte gentechnikfrei, umweltfreundlich und fair erzeugt worden sind. Wir wollen eben wissen, was auf unsere Teller kommt. Und gerade, was den Einsatz von Gentechnik betrifft, belegen auch ältere Studien, dass eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt. Frau Karafyllis, was steckt denn eigentlich hinter dieser einhelligen Ablehnung der Gentechnik in der Landwirtschaft?
Nicole Karafyllis: Na ja, das ist ja seit mindestens den 90er Jahren in Europa ein großer Diskurs, zunehmend auch in den USA, dass man sich Produkte, die man isst, als natürliche wünscht. Also, man will möglichst naturbelassene Lebensmittel. Und die Gentechnik steht sozusagen als ein Symbol dagegen, gegen die Naturbelassenheit.
Kühe auf einer Almwiese am Wildkogel in Österreich.
Noch immer wird die Landwirtschaft gerne romantisch verklärt © dpa/M. C. Hurek

Trügerische Natürlichkeit

Deutschlandfunk Kultur: Aber was ist denn das für ein Natürlichkeitsbegriff, der da vorherrscht? Das kommt mir manchmal ein bisschen so vor, als stelle man sich vor, in der konventionellen Landwirtschaft würden – sagen wir – bärtige Bauern in Latzhosen oder Frauen in Kittelschürzen die Äpfel vom Baum pflücken und sie dann schön in Kisten legen und sie dann in den Supermarkt transportieren. Aber das ist ja nicht der Fall. Tatsächlich geht es um den Einsatz von Herbiziden, Pestiziden. Es werden Chemikalien zum Einsatz gebracht. Was ist da an dem Naturbegriff oder an dem Natürlichkeitsbegriff so merkwürdig?
Nicole Karafyllis: Ja, diese romantischen Naturvorstellungen, die Sie zitieren, kommen natürlich noch als Bilder vor. Ich würde trotzdem sagen, dass die meisten Menschen sehr wohl wissen, dass Landwirtschaft so nicht funktioniert. Das sehen sie ja auch jeden Sonntag beim Nachmittagsspaziergang alleine daran, wie sich die Landschaft verändert hat, welche Erntemaschinen man dort sieht. Viele entstammen ja auch aus Familien, gerade in den eher agrarisch geprägten Bundesländern wie Bayern und Niedersachsen, wo die Großeltern noch Landwirte waren und dann die Höfe gestorben sind. Also, das muss man schon auch mit bedenken.
Das ändert aber nichts an der Sehnsucht natürlich an die gute alte Zeit. Die Frage ist: Wann gab es eigentlich diese gute alte Zeit? Ich würde sagen, der bahnbrechendste Wandel der Technik in der Landwirtschaft setzt zum Ende des 19. Jahrhunderts ein. Also, da gibt es sowohl die neuen Züchtungstechnologien, was damals neu war, als auch eine verstärkte Maschinisierung der Landwirtschaft.

Lebensmittel in Zeitalter ihrer technischen Produzierbarkeit

Deutschlandfunk Kultur: Frau Karafyllis, Sie haben uns einen Begriff beschert, der heißt "Biofakte". Das sind sozusagen definitorisch "natürlich/künstliche Mischwesen, die durch zweckgerichtetes Handeln", wie Sie schreiben, "in der Welt sind, aber dennoch wachsen können". Biofakte, das heißt ja, da verabschieden Sie sich ja im Grunde genommen schon von der Vorstellung der großen Natürlichkeit, also der romantischen Natürlichkeit.
Nicole Karafyllis: Ja, das ist richtig. Gleichzeitig spreche ich aber nicht ein Credo für die Technisierung aus, sondern worum es mir geht, ist, dass dasjenige, was wir unter Natürlichkeit verhandeln, historisch entborgen werden muss. Das heißt, wir müssen die Geschichten der Veränderung erzählen, und zwar egal, in welchem Jahrhundert sie passiert sind, und uns dann immer wieder fragen: Wollen wir, dass diese Tendenz, die da mit der technischen Veränderung angefangen hat, weiter geht? Oder wollen wir an einer Stelle "Stopp!" sagen und: "bis hierhin reicht uns jetzt die Technisierung und wir wollen uns etwas, was wir jetzt als Natürliches erachten, erhalten."?
Denn es ist ja doch so, dass die meisten Menschen tatsächlich glauben, der Acker sei etwas Natürliches. Ein Acker ist natürlich ein technisches Konstrukt, der Pflanzen in gewisser Hinsicht gleichschaltet, auch schon vom Aussaattermin her, von der Sortenwahl her. Also, das heißt, das müsste erstmal reflektiert werden, dass sich Landwirtschaft generell einer technisierten Lebenswelt verdankt. Und dann müsste graduell gefragt werden: Wie weit wollen wir das noch treiben?

Grenzen der Technisierung

Deutschlandfunk Kultur: Ja, wie weit wollen wir es denn noch treiben?
Nicole Karafyllis: Ich kann jetzt nicht für die gesamte Gesellschaft orakeln, aber ich würde sagen: Landwirtschaft hat auch etwas mit Landschaft zu tun. Es ist schon eine große Debatte, was mit Fläche passiert, auch in den Ministerien selber, die sich jetzt sehr dafür einsetzen, dass die Verbauung von Flächen aufhört. Das heißt, man will schon die agrarisch geprägte Landschaft, die für Deutschland ja auch ein Aushängeschild im Tourismus ist, mit den schönen Wiesen, Weiden, Äckern, Hecken, Wäldern – das ist alles künstlich angelegt, fast alles – , dass wir das erhalten wollen, weil es Teil unserer kulturellen Identitätsstiftung ist.
Deutschlandfunk Kultur: Und wir bestellen es dann mit Monokulturen von Mais, der dann in den Biodiesel wandert.
Nicole Karafyllis: Genau. Im Moment ist es so. Aber so, wie Sie ja auch nahe legen in Ihrer Frage, stört das ja auch viele. Dass jetzt auf dreißig Prozent der Ackerfläche Energiemais angebaut wird, ist ja erst seit der Energiewende so. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass gegen diese Verödung von Landschaft die Landwirtschaft selber auch noch weiter angeht.
Das heißt, Vielfalt in die Landwirtschaft bringen. Das wäre auch ein ökologisches…
Deutschlandfunk Kultur: … und auch ein ästhetisches Kriterium.
Nicole Karafyllis: Ja, genau, aber eben nicht nur ein ästhetisches. Also, ich wäre auch dagegen, dass man über Landschaft immer nur ästhetisch redet, wie am Beispiel der Windenergie, sondern Vielfalt ist ja auch eine ökologische. Das heißt, dass die Natur durch Vielfalt so eine Art Puffer immer baut, falls was schief geht. Fachlich nennt man das Resilienz.
Deswegen gibt es ja auch genügend ökologische Gründe gegen Monokulturen, dass man sagt: Was ist bei Epidemien? Schließlich verbreiten sich ja jetzt auch Parasiten immer weiter nordwärts durch den Klimawandel. Die Alpen sind keine natürliche Grenze mehr. Landwirte wissen, wovon ich da rede. Und da könnte man auch sagen, Vielfalt auf dem Acker ist auch eine Art Lebensversicherung.
Eine Spritze samt Injektionsnadel mit roter Flüssigkeit steckt in Maiskörnern.
Genmanipulierter Mais ist in Deutschland tabu © picture-alliance / dpa / Thomas Eisenhuth

Gentechnik als Risikotechnologie

Deutschlandfunk Kultur: Das ist sozusagen die eine Seite. Andererseits ist natürlich der Einsatz von Gentechnik in Deutschland total reglementiert. Es gibt im Grunde genommen keine Freisetzungen in Deutschland. Im europäischen Ausland sieht das vielleicht schon anders aus. – Aber wovor fürchten sich die Menschen ganz konkret, wenn sie diese Freisetzung in den Blick nehmen und sich dagegen aussprechen?
Nicole Karafyllis: Viele Menschen haben Sorge, dass die Pflanzen etwas enthalten, was sie selber nicht – ich "vermenschliche" es jetzt einmal – enthalten wollen, und dass nicht klar ist, wenn die Pflanzen dies zum Beispiel durch eine Rückmutation wieder los werden, wohin dieses Gen, was eingefügt wurde, dann hingeht. Also, das heißt fachlich dann "horizontaler" oder auch "vertikaler Gentransfer", also etwa in den Boden. Wird das von Mikroorganismen und Bodenorganismen dort aufgenommen? Oder wird es über den Pollen verbreitet? Also, eine ganz große Angst ist die Nichtrückholbarkeit, weil man eben keine langjährigen Erfahrungen damit hat. Das muss man ja auch sagen.
Also, die Gentechnik macht etwas, was jetzt erstmal kurzfristig zu funktionieren scheint, aber die Natur bewährt sich ja in sehr langen Zeiträumen. Da, denke ich, haben Menschen auch eine ganz gute Intuition, dass man vielleicht vorsichtig damit umgehen sollte.

Neue Gentechnik oder Züchtung

Deutschlandfunk Kultur: Das leuchtet mir total ein. Das ist der Risikodiskurs, der im Rahmen der klassischen grünen Gentechnologie geführt wird. Also, man muss ja vielleicht sagen, dass die ersten gentechnisch veränderten Organismen 1983 bei Pflanzen, 1984 bei Tieren ins Leben oder in die Welt gekommen sind. Risikoreiche Technik ist das, weil man eben nicht genau kontrollieren kann, wie jetzt genau die DNA beeinflusst wird. Man kann sich das vielleicht so vorstellen wie mit einem Hammer, mit dem irgendein fremdes transgenes Material in eine DNA reingehämmert wird, ohne genau zu wissen, wo das dann am Ende landet. Da ist mir dieser Risikobezug völlig deutlich.
Aber wir haben mittlerweile eine völlig neue Technik, Genome Editing, wo mit Hilfe von – sagen wir – bakteriellen Mechanismen ganz gezielt in eine DNA geschnitten wird und einzelne Gene oder Gensequenzen ausgeschaltet werden können. – Was ist denn dagegen zu sagen? Da hat sich doch etwas auch in der Technik verändert.
Nicole Karafyllis: Also, Sie haben das jetzt so dargestellt, als sei der Risikodiskurs der 90er Jahre nur so gewesen, dass es um diese Einfügung eines fremden, eines artfremden Gens geht. Ich würde sagen, das war ein Teil des Risikodiskurses. Ein anderer ging aber wirklich um konkrete Gefährdung auch für die menschliche Gesundheit, das hat sich bis jetzt nicht herausgestellt, auch für die tierische Gesundheit. Davon ist man eigentlich mittlerweile weg.
Was die untergründige Strömung aber war, und ich denke, die setzt sich jetzt weiter fort, ist dieses, dass man der Natur nicht in die Karten gucken kann. Wenn man das ganz genau nimmt, ist es ein Argument der wissenschaftlichen Demut. Das gilt dann für jede Form von Biotechnik. Das heißt, das gilt auch für die neuen Biotechniken. Genom Editing ist ein Sammelbegriff für verschiedenste Techniken. Die bekannteste ist sicherlich jetzt CRISPR/Cas. Das ist eine Technik, die aus Bakterien in Kombination mit Viren stammt und die auch schon erfolgreich auf Pflanzen, auf Mais vor allen Dingen, angewandt wurde.
Deutschlandfunk Kultur: Die berühmte Gen-Schere.
Nicole Karafyllis: Nein. Das ist nicht richtig. CRISPR/Cas ist eine Kombination aus Gensonde und Genschere. Die Genschere gab es schon in den 70ern. Was jetzt hier das Interessante ist, ist die Sonde, die erstmal den Ort lokalisiert, wo genau will ich schneiden, kann ich schneiden. Und die Schere schneidet dann. Also, es ist so ähnlich wie bei einem Raumschiff, das auch gleichzeitig erstmal erkunden muss, wo lande ich, und dann, wenn es gelandet ist, führt es auch Operationen durch mit bestimmten Werkzeugen. Das ist das CRISPR/Cas-System.

Mehr Genauigkeit

Deutschlandfunk Kultur: Aber kann man durch dieses Sondieren und dann Schneiden nicht viel genauer bestimmen, was dann eigentlich erwartbar ist innerhalb einer Mutation? Es gibt ja eine ganze Reihe von Befürwortern dieser Technik, die sagen: Das ist im Grunde genommen egal. Oder man sollte es vielleicht sogar auch politisch und rechtlich aus dem Bereich der Gentechnik herausnehmen und es "neue Züchtung" nennen.
Nicole Karafyllis: Ja, das wird tatsächlich so gesagt, aber eher von den Befürwortern der Biotechnologieindustrie. Ich sage jetzt ausdrücklich nicht nur Agrobiotechnologie, sondern das betrifft ja alle Lebensbereiche, also auch den tierisch-menschlichen. Ich würde das jetzt erstmal in zwei Fragen aufteilen. Das erste ist: Ist es viel genauer? Ja. Es operiert wesentlich genauer diese neuen Genom-Editing-Techniken als die alte Gentechnik der 70er Jahre, die dann in den 90er Jahren sich wesentlich marktreif durchgesetzt hat. Das muss man sagen.
Aber, jetzt kommt die Einschränkung, sie wirkt nur dort genauer, wo man bereits die Gen-Orte kennt und modellieren kann. Das trifft auf erstaunlich wenige Pflanzen zu, wenn man jetzt mal die Gesamtpflanzen auf der Welt betrachtet. Das heißt, eigentlich nur auf Modellpflanzen, die schon sehr gut erforscht sind. Dazu gehören sicherlich der Mais und auch die Kartoffel. Das sind eben Pflanzen, das sind Cash Crops, die man nutzt. An diesen Modellpflanzen, da hofft man jetzt auch, dass das die ersten sind, die man zu neuen Produkten mit Marktreife gerieren lassen kann.
Deutschlandfunk Kultur: Dieses Argument, dass es eigentlich Züchtung sein kann, heißt doch aber: Sie sagen, dass man sehr genau schon operieren kann, aber noch nicht genau weiß, was man damit alles machen kann, weil man eben die Funktionalität der entsprechenden Gene, an denen gearbeitet wird, noch nicht genau kennt. Aber das, würde ich jetzt sagen, ist ein bisschen Zukunftsmusik.
Aber man kann eben doch schon sehr genau Züchtungen herstellen, weil ja kein anderes Genmaterial in diese Pflanze kommt, sondern das heißt, es wird an der Pflanze selbst operiert, so dass man am Produkt, am Apfel oder am Maiskolben oder an der Rübe gar nicht mehr nachweisen kann, dass Gentechnik in diesem Sinne im Spiel war. Was ist entscheidend: Herstellungsprozess oder Produkt?
Nicole Karafyllis: Ja, für das Endprodukt trifft das zu. Deswegen unterscheidet man bei den CRISPR/Cas-Techniken auch nicht mehr einen Ausgangsorganismus und einen Zielorganismus wie früher, also nur zwei. Aus dem einen wird das Gen, was man einfügen will, entnommen. Und der Wirt kriegt dieses Gen dann ab. – Sondern es gibt bei diesen Techniken eine Zwischenstufe.
Das nennt man intermediärer Organismus. Den gibt’s nur im Labor. Den wird man außen nie sehen. Und in diesem intermediären Organismus, diesem lebenden Zwischenmodell würde man es durchaus nachweisen können, aber da schneidet man die Nachweise – etwa Antibiotika-Resistenz-Gene – dann wieder raus. Das war vorher nicht der Fall. Das konnte man auch nicht so einfach. Es ist so, wie Sie sagen: Wenn es dann auf dem Acker landen sollte, wenn die verschiedenen Zulassungsbehörden, auch erstmal die in den USA, das freigeben, das ist noch gar nicht passiert, dann wird man tatsächlich keinen Unterschied nachweisen können.
Der Imker Michael Bauer aus dem Alten Land in Jork (Niedersachsen) versucht am 02.06.2014 einen entflohenen Bienenschwarm wieder einzufangen.
Zahlreiche Bienenzüchter kämpfen gegen Verunreinigungen durch Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen© picture alliance / dpa / Ingo Wagner

Gentechnologie und Recht

Deutschlandfunk Kultur: Aber was heißt denn das für unsere Vorstellung von Recht? In diesem Frühjahr steht auf der europäischen Ebene eine Novellierung der Richtlinie 2001/18 EG an. Das ist die sogenannte Freisetzungsrichtlinie. Die regelt eben, wie genetisch veränderte Organismen freigegeben werden können. Und zwar regelt sie das so, dass das auch bindend für die Rechtssysteme der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union ist, was dann wiederum zur Folge hat, dass da dann wiederum noch etwas eingebaut ist, nämlich sozusagen eine Regel, die es ermöglicht auszusteigen, wenn Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt besteht.
Was glauben Sie den, was da auf europäischer Ebene dann auf uns zukommt, jetzt auch gerade im Hinblick das, was die Leute interessiert, nämlich die Kennzeichnungspflicht – gentechnikfrei oder nicht frei, wenn man es am Produkt dann gar nicht mehr sehen kann?
Nicole Karafyllis: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Es wird, und das tut es schon jetzt so – bei der Freisetzungsrichtlinie geht es nicht nur um die Gefährdungshaftung, sondern es geht auch darum, dass derjenige Landwirt, der keine Transgene anbauen will, auch ein Recht auf die Existenz hat. Das heißt, mit den Abstandsregelungen usw., das, was 2010/11 durch die Medien ging. Das heißt, es geht um ein Erreichen der Koexistenz von verschiedenen pluralen Anbausystemen.
Das hat erstmal noch gar nichts mit der Risikofrage selber zu tun, wie gesagt, unter dem Vorsorgeprinzip, weil man eben ja noch gar nicht weiß, ob sich daraus Risiken ergeben. Also muss es für die Leute, die die Risiken nicht eingehen wollen, in dem Falle die Bio-Landwirte, auch eine Möglichkeit geben, dass sie ihre Produkte – sozusagen unbeachtet des Nachbarn – anbauen können.
Deutschlandfunk Kultur: Nun werden sich die Bienen ja nicht daran halten, wo sie mit den Pollen der Nachbarfelder…
Nicole Karafyllis: Dafür gibt es ja die Abstandsregelungen. Ich denke, dass sie such so bleiben.
Deutschlandfunk Kultur: Wie groß sind die Abstände?
Nicole Karafyllis: Sie sind über zweihundert Meter. Bei bestimmten Pflanzen, bei Raps können sie bis zu zwei Kilometer sein. Das ist ja der Grund, warum es im Endeffekt dazu geführt hat, dass man in Deutschland jedenfalls nicht mehr Transgene auch anbauen will, weil, ich meine, das kann sich kaum jemand leisten: in einer dicht besiedelten Landschaft diese Abstände einzuhalten. Das war das berühmte Imker-Urteil, wo die Imker sozusagen in der EU dagegen geklagt haben. Man muss nun jetzt erstmal sehen, wie sich dieses Geflecht aus ökonomischer Daseinsberechtigung von verschiedenen Landwirtschaftsformen und den neuen Technologien einspielt. Das ist die eine Schiene.
Die andere Schiene ist die, wie wir eigentlich mit den Begriffen des Rechts umgehen. Das müssen die Juristen entscheiden, weil ja etwa der Begriff "Züchtung" durchaus von beiden Seiten umstritten ist. Also, es ist klar, und das hatte man schon entschieden im Gentechnikgesetz in den 90ern, Anfang der 90er: Gentechnik ist keine klassische Züchtung. Jetzt verkaufen sich die Genom-Techniken erstmal selber als Züchtungstechnologien, damit etwas anderes sind als Gentechnik. Sie nennen sich auch oft "assistierte Züchtung", also wie Hilfsmittel.

Gentechnikgesetz auf dem Prüfstand

Deutschlandfunk Kultur: Das ist merkwürdig. Und die Bundesregierung, wenn ich das richtig verstanden habe, ist gerade dabei, neue Formen der Pflanzenzüchtung ermöglichen, und will dazu das Gentechnikgesetz ändern.
Nicole Karafyllis: Ja, klar.
Deutschlandfunk Kultur: Nur wegen der ökonomischen Interessen oder ist da auch sozusagen ein Bewusstseinswandel vielleicht am Werk? So, dass man sagen kann, bestimmte Gentechniken sind gar nicht so schlimm, also führen nicht zu der Gefahr für die Verbraucher, für die das Gesetz ja dann am Ende steht, wie das noch die alte Technik war. Denn dann könnte man ja sagen: Okay, warum nicht?
Nicole Karafyllis: Ja, das weiß ich nicht, was die Beweggründe sind. Ich könnte jetzt mutmaßen.
Deutschlandfunk Kultur: Mutmaßen Sie mal.
Nicole Karafyllis: Ja. Also, zum einen denke ich, dass auch der Ökolandbau, nicht Demeter, aber sozusagen weniger strenge Verbände, durchaus Wert darauf legen, moderne Züchtungstechniken, die jetzt möglich sind, einsetzen zu können, die aber noch keine gentechnischen sind – zum Beispiel Protoplastenfusion.
Deutschlandfunk Kultur: Was ist das?
Nicole Karafyllis: Also: Die Pflanzenzelle hat um ihre Membran noch eine Zellwand. Die kann enzymatisch abdauen, so dass dann nur noch die dünne Hülle übrig bleibt. Und dann kann man durch technische Mittel zwei Zellen miteinander fusionieren. Da ändert sich jetzt erstmal nichts an den Chromosomen, außer dass sie doppelt so viele werden. Also, es ist kein gentechnischer Eingriff, aber es ist ein zelltechnischer Eingriff. Und das Wort "Züchtungstechniken" umfasst eben sehr viel – von der ganzen Pflanze bis hin zu ihrer einzelnen Einheit, die Zelle und auch die Gene und die Genome. Also, das könnte ein Beweggrund sein.
Der andere, den ich für wahrscheinlicher halte, allerdings ist, dass die Bundesregierung ja massiv die Bio-Ökonomie vorantreibt, und zwar gerade unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Sie hat auch einen Bioökonomie-Rat ins Leben gerufen ungefähr 2015. Und in der Bioökonomie werden Gene, Gewebe, Zellen, also sämtliche biologische Materialien erstmal gesammelt, um sie dann für Produkte anwenden zu können oder auch selbst Produkte zu sein.
Und dafür müssen die Begriffe, die in den Gesetzen sind, zum Beispiel "Eigen- und Fremdorganismus", überarbeitet werden. Weil, wir haben in unseren Sammlungen eben schon Mischungen. Denken Sie jetzt auch an CRISPR/Cas. Das ist eine Mischung aus Virus und Bakterium. Was ist jetzt da "eigen" und "fremd"? Also, das heißt, wir haben Werkzeuge, die bereits Mischungen sind. Und wir operieren gar nicht mehr auf der Spezies-Ebene. Das ist natürlich auch eine Neuerung in den Biowissenschaften selbst, dass in den letzten – ich würde sagen – fünfzig Jahren immer mehr klar wurde durch die Molekulargenetik, wie unscharf die Grenze der biologischen Art ist.
Also, es ist nicht so, wie an sich das gemeinhin vorstellt bei Tieren. Alles, was sich miteinander paaren kann, was fortpflanzungsfähige Nachkommen erzeugt, das ergibt eine Art. Bei Pflanzen ist das wesentlich komplizierter. Da geht das über die Artgrenze hinaus und kann die ganze Gattung umfassen. Das ist etwa beim Mais sehr relevant, weil die Ursprungsgene des Maises, wo er entstanden ist, aus Mexiko, die sind jetzt diejenigen, die hat man raus gezüchtet, weil man dachte, man braucht sie nicht, über Jahrhunderte. Aber unter den Aspekten des Klimawandels braucht man sie eben doch. Das heißt, wir operieren viel kleinteiliger jetzt auf der Ebene des Genpools, der eben die gesamte Gattung umfassen kann.
Genfood als Mittel gegen den Welthunger? Sogenannter "Goldener Reis" (l) soll Mangelerscheinungen bei Menschen in Entwicklungsländern vorbeugen. Die auch in Deutschland legale Spekulation auf Lebensmitteln geht dessen ungehindert weiter
Genmanipulierter "Goldener Reis" gilt Befürwortern der Gentechnik als wichtige Innovation, um Menschen in Entwicklungsländern besser versorgen zu können © Universität Freiburg/dpa picture alliance

Ernährungspolitik in Zeiten des Klimawandels

Deutschlandfunk Kultur: Ja, und vor allen Dingen schneller. Gerade mit der CRISPR/Cas9 Technik lässt sich doch diese Veränderung sehr schnell erzeugen. Früher hatte man ja gesagt, das Gleichgewicht zwischen menschlichem Fortschritt und natürlicher Umgebung muss gewahrt bleiben. Das ist eine sehr langfristige Angelegenheit. Anpassungsprozesse finden sehr langfristig statt. Mittlerweile leben wir aber in Zeiten, in denen das Ökosystem, das globale Ökosystem ja selbst wiederum durch den Klimawandel zum Beispiel einem extrem schnellen Wandel ausgesetzt ist, so dass man sagen kann:
Okay. Wir müssten doch vielleicht, also, wenn man jetzt mal die Perspektive etwas weitet auf globale Ernährung, doch eigentlich in die Hände klatschen und froh sein, wenn es möglich ist, bestimmte Nutzpflanzen – den Mais oder Reis oder Getreide – so zu produzieren oder so verändern zu können, dass sie auch unter extremen Dürrebedingungen gute Erträge bringen – weltwirtschaftlich gedacht und weltökonomisch und welternährungstechnisch.
Nicole Karafyllis: Ja, das ist die Hoffnung.
Deutschlandfunk Kultur: Aber?
Nicole Karafyllis: Na ja, ich meine: Was heißt denn, wir leben in einem Zeitalter der Beschleunigung? Also, klimatisch betrachtet, seitdem es den Mais in der jetzigen Form gibt, mit jetziger Form meine ich, als Mais und nicht als ein Wildgras, was er vorher war, sind es ungefähr 10.000 Jahre. Schade, dass wir jetzt nicht die Mayas fragen können, die ihn weiter gezüchtet haben. Aber seitdem hat es nun wirklich ganz andere Klimawandelbedingungen gegeben. Und immer wieder hat man es geschafft, den Mais anzupassen oder auch zu migrieren.
Ich denke, das ist das eigentliche Problem. Früher sind die Leute dann an andere Orte gegangen und haben ihre Sorten mitgenommen und geschaut, dass sie sie da anpassen. Mittlerweile sind wir viel mehr geworden. Wir haben nationalstaatliche Grenzen. Daran sind auch die Ökonomien ausgerichtet. Das heißt, wir wollen an dem Ort bleiben. Dieser Ort wandelt sich klimatisch. Und deshalb glauben wir, dass wir immer schneller die Pflanzen aufrüsten müssen, wie es so schön heißt, nicht anpassen, sondern aufrüsten.
Dabei können wir uns aber ja immer nur einzelne Eigenschaften raussuchen. Meistens sind das Eigenschaften der Stresstoleranz für Dürre oder, was bei uns sicherlich wichtiger wird, Überschwemmung. Windbruch ist bei Mais ein Hauptzüchtungsziel, also, wie er den besser aushält. Aber man müsste doch mal die grundlegende Frage stellen: Ist der Mais, der ja übrigens keine Pflanze aus Europa ist, überhaupt noch die Pflanze der Zukunft für eine europäische Landwirtschaft?

Schnitzel aus dem 3D Drucker

Deutschlandfunk Kultur: Ich wollte jetzt ja auch auf diese etwas breitere Perspektive kommen. Wir haben ja am Anfang der Sendung schon anklingen lassen, dass Ernährung und Gentechnologie ein ziemlich heikles Thema in Deutschland ist oder vielleicht überhaupt in der westlichen Welt. Wir wollen keine Gentechnologie auf dem Teller. Aber ist denn das nicht eine ziemlich starke Fokussierung auf genau diese Technologie, die letztendlich vielleicht zum Einsatz kommt, vielleicht aber auch nicht? Aber wird unsere Ernährung nicht ganz andere Wege gehen in der Zukunft?
Nicole Karafyllis: Ja, das sehe ich allerdings auch so. Mich stört an der Debatte tatsächlich der zu enge Fokus auf Gentechnik. Ich halte die Debatte für wichtig, aber sie ist irgendwie symbolisch. Weil, eigentlich geht es darum, Landwirtschaft generell als eine Hochtechnologie langsam wahrzunehmen und mindestens so streng zu beäugen wie die Automobiltechnologie.
Das heißt: Wenn wir hier über Technik reden, dürfen wir nicht immer nur an ein Handwerkszeug denken wie einen Hammer oder eine Schere, wie es oft getan wird, sondern wir müssen an ganze technische Systeme denken – inklusive Satellitenüberwachung der Landwirtschaft, selbstfahrende Erntemaschinen, zunehmende Digitalisierung und selbstverständlich, wie bei jeder Technik, die Standardisierung. Das gehört zu jeder Technik. Und das betrifft die Landwirtschaft auch.
Das heißt, wenn wir über Technik reden wollen in der Landwirtschaft, ist es nicht nur die Gentechnik, sondern die Gentechnik ist ein Baustein in einem großen technischen System. Und über dieses System muss eigentlich verhandelt werden. Wollen wir das großtechnisch weiter so haben?
Wissen Sie, technikhistorisch hatten viele Technologien ihre Zeit. Und dann war die Zeit vorbei. Und eins ist sicher: Wir werden immer essen müssen. Und ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass es auch Ernährungsformen gibt, die ohne unsere bisherige Landwirtschaft auskommen, weil sie so flächenintensiv ist, weil sie wetteranfällig ist, weil sie vergleichsweise wenig Mehrwert erzeugt in der Zukunft, weil die Ertragssteigerungen nicht weiter in den Himmel wachsen.
Das heißt, ich denke an so etwas, was die Welternährungsorganisation jüngst vorgeschlagen hat, wie Insektenprotein. Insekten vermehren sich schnell, produzieren keine Klimagase. Und wenn die IT-Industrie noch mitmacht, könnte man vielleicht Pulver mit Insektenprotein aus dem 3D-Drucker ausdrucken lassen und sich das dann als Schnitzel oder als Burger oder auch als Tofu-Burger einfärben.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist ja eine düstere Zukunftsvision.
Nicole Karafyllis: Wieso?
Deutschlandfunk Kultur: Nein, ich wollte ja auch gerade sagen: Die vegane Ernährungsform arbeitet ja schon quasi, jetzt nicht mit einem 3D-Drucker, sondern mit Soja, mit klassischen Tofu-Materialien usw. Aber selbst wir erleben das doch, wenn wir Joghurt kaufen. Kein Mensch kann doch, wenn er in den Supermarkt geht, auf die Idee kommen, dass so viel Erdbeeren überhaupt produziert werden können, um all die Erdbeerjoghurts, das Erdbeereis, die Erdbeershakes und was es da noch sonst gibt, erzeugen zu können. Da wird doch schon mit synthetischen Materialien gearbeitet – aber noch nicht mit den Materialien, die eigens dafür vielleicht durch die sogenannte synthetische Biologie erzeugt werden können.
Nicole Karafyllis: Ja, genau. Diese Tendenz meine ich. Wir werden eigentlich seit Jahrzehnten an das Synthetische gewöhnt, auch bei der Margarine. Das heißt, der Kampf, wie naturbelassen soll es sein: Muss ein Produkt einen Prozess erkennen lassen, dass er von einem natürlichen Lebewesen abstammt, so wie die Butter, die Margarine aber eben nicht? Das werden die Debatten der Zukunft sein. Es wird also nicht mehr um Produkte, sondern es wird um Genesen gehen.
Wenn sich eine bestimmte Fraktion, die sich hip fühlen will, dafür entscheidet, ihr Essen aus dem 3D-Drucker auszudrucken, und das kann ja durchaus sogar ökologisch motiviert sein, dann mag das so sein. Trotzdem, denke ich, wird die größere Mehrheit immer noch dabei bleiben zu sagen: Wir wollen Produkte haben, wo wir wissen, wie sie entstanden sind, wie viel Technik da Eingang gefunden hat und die ich auch irgendwie sehen kann, wie sie wachsen. Und das sind die Pflanzen auf den Äckern.

Der Herstellungsprozess ist entscheidend

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt, Sie plädieren für eine klare Sortierung, dass man nicht sagt, wie jetzt diese Züchtungsbefürworter, wir gucken uns nur das Produkt an und entscheiden dann, ob das kennzeichnungspflichtig, also Gentechnik zum Beispiel ist, sondern Sie sagen: Wir müssen uns den ganzen Herstellungsprozess anschauen und dann markieren, da ist eine Hochtechnologie, eine Gentechnik mit am Werke gewesen.
Nicole Karafyllis: Richtig. Das ist auch der einzige Weg für die neuen Gesetzgebungsvorschläge zu Genom Editing, den technischen Eingriff nachzuweisen. Das ist die Protokollpflicht. Das ist aber viel leichter umzusetzen, als meistens dargestellt wird. Denn jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler hat im Labor ein Laborbuch zu führen – täglich, was man da macht. Und dieses Laborbuch ist nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorschreibt, auch aufzuheben über Jahre.
Das heißt: Natürlich ist es rückverfolgbar. Diese Dokumente gibt es. Man müsste jetzt sozusagen nur festlegen, in welchem Rahmen sie auszufüllen und anzulegen sind und wo sie archiviert werden. Aber das ist ohne weiteres machbar, wenn man das möchte.
Deutschlandfunk Kultur: Und dann drucken wir uns irgendwann vielleicht dann doch das Schnitzel aus.
Nicole Karafyllis: Ja, oder dann doch nicht. Vielleicht engagieren wir uns doch eher dafür, dass es die Tiere etwas besser haben, die wir essen, und geben etwas mehr Geld dafür aus.
Deutschlandfunk Kultur: Und vielleicht lassen wir das Essen von Schnitzeln sowieso sein. Vielen Dank für das Gespräch!

Nicole Christine Karafyllis, geboren 1970 in Lüdinghausen/Kreis Coesfeld, studierte Biologie und Philosophie und ist Professorin für Philosophie in Braunschweig. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Technikphilosophie.

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