Genie in Briefen

Rezensiert von Uwe Friedrich · 20.01.2006
Erst im Jahr 1828 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Biographie von Georg Nikolaus Nissen von den Briefen von und an Mozart. Fast 150 Jahre sollte es noch dauern, bis die historisch-kritische Ausgabe fertig gestellt war, sie liegt nun auch in einer "Volksausgabe" vor. Wer sich allerdings aus Mozarts Briefen Aufschluss über sein musikalisches Genie erwartet, der wird enttäuscht.
Weshalb hat das so lange gedauert?

Die meisten Briefe befanden sich zunächst im Besitz der Witwe Constanze, die sie hütete und erst relativ spät herausgab. Wie viele Musikerwitwen war sie sowohl um den Ruf des Verblichenen als auch um den eigenen Ruf besorgt. Sie zensierte den Briefwechsel, schwärzte Stellen, hat wahrscheinlich auch Briefe verschwinden lassen.

Auffällig ist vor allem, dass kein Brief von Constanze erhalten ist. Von anderen Briefen gibt es nur Abschriften (Original verschwunden) und die haben gelegentlich eine höchst bizarre Editionsgeschichte. Nach Abschluss der Gesamtausgabe 1963 (Kommentar 1975) tauchten noch einige Briefe und Aufzeichnungen auf, die in einem schmalen Zusatzband hinzugefügt wurden.

Weshalb sollte der interessierte Leser sich durch sieben dicke Bände mit Briefen aus dem 18. und 19. Jahrhundert durchfressen?

Die Bände umfassen den Briefwechsel der Familie Mozart von 1755 bis 1857. Diese Briefe sind die wohl größte erhaltene Familienkorrespondenz dieser Zeit. Mozart war sich zwar immer klar, dass er auch in seinen Briefen verschiedene Rollen spielte, doch wir lernen auch den privaten Amadé kennen.

Dabei wechselt Mozart virtuos den Tonfall, je nachdem, was er erreichen will. Ausreden und Erklärungsversuche, wenn er dem Vater schreibt, ein hektischer Ton, wenn er Freunde um Geld bittet und ein liebevoller, gelegentlich sehr privater Ton, wenn er an seine Frau schreibt oder verzweifelt ist über den erfolglosen Verlauf einer Konzertreise.

An wen schreibt Mozart, wer schreibt an Mozart?

Mozart schreibt zunächst vor allem an seinen Vater, er schreibt an seine Cousine die (etwas zu Unrecht) ungeheuer berühmten "Bäsle-Briefe", er schreibt an Verleger, an Gönner in gesellschaftlich wichtiger Stellung. Vor allem innerhalb der Familie klaffen zeitlich große Lücken - wenn alle in Salzburg waren, wurde selbstverständlich nicht geschrieben.

Verrät er in seinen Briefen das Geheimnis seines musikalischen Genies?

Es ist nicht sehr viel von Musik die Rede in den Briefen. Mit seinem Vater Leopold erörtert er gelegentlich kompositorische Probleme. Besonders aufschlussreich sind jedoch seine Äußerungen über die Sänger und musikalische Aufführungspraxis seiner Zeit.

Wie schreibt Mozart?

Ziemlich abenteuerlich. Gelegentlich schreibt er einfach vor sich hin, das Ergebnis sind sehr oft merkwürdige Sprachspiele, sein Bewusstseinsstrom erinnert beinahe an James Joyce (kann beim Lesen auch auf die Nerven gehen). Spannend wird es, wo es sich um einen wirklichen Briefwechsel handelt und die Antwortschreiben erhalten sind. Mozarts Humor entspricht nicht immer dem, was wir heute auf einer Abendunterhaltung angemessen fänden.

Der Briefwechsel kommt in einem großen Schuber daher, nimmt im Bücherregal einigen Platz ein und kostet immerhin 148 Euro. Wer braucht das wirklich?

Das brauchen zunächst die Mozartenthusiasten, die mitunter auch die Partituren zu Hause haben ohne Noten zu lesen... Aber die Gesamtausgabe ist zweifellos etwas für Fortgeschrittene. Wer anlässlich des Mozartjahrs eine Biographie gelesen hat und nun die Quellen ansehen will, um dem privaten Mozart näher zu kommen, ist unter Umständen mit einer anderen Briefausgabe besser bedient, etwa der Reclamausgabe, die recht geschickt zusammengestellt und ausgewählt ist oder, je nach Spezialinteresse, die Ausgabe der Briefe an Constanze etc.

Wolfgang Amadeus Mozart: Briefe und Aufzeichnungen
Gesamtausgabe im Taschenbuch; Bärenreiter Verlag,
8 Bände im Schuber, 4550 Seiten, € 148,--

Weitere Brief-Ausgaben:

"Guten Morgen, liebes Weibchen!" - Mozarts Briefe an Constanze,
hg. und kommentiert von Silke Leopold;
Bärenreiter Verlag, 150 Seiten, € 16,95

Peter Feddersen: Allerliebster Papa. Mozarts Briefwechsel mit dem Vater;
Atlantis Musikbuch, € 19,95