Generation Playstation

Wer Digital-Fußball liebt, ist für Analog-Fußball verloren

Lionel Messi beißt in sein Trikot nachdem er einen Elfmeter verschossen hat.
Messi in Action - wer Fußballstars nur noch von der Konsole her kennt, bestiehlt sich am eigenen Glück, sagt Katrin Weber-Klüver © imago/Zuma Press
Von Katrin Weber-Klüver · 18.06.2017
Junge Leute entdecken ihre Leidenschaft für Fußball heute eher an der Spielkonsole als vor dem Fernseher oder gar im Stadion. Gegenüber der digitalen Wucht verliert das taktierende Spiel im echten Leben an Reiz. Diebstahl von Glück, sagt Katrin Weber-Klüver dazu.
Nehmen wir Paul, Fußballfan, 16 Jahre alt. Paul kannte Carlos Casemiro lange bevor er den Brasilianer das erste Mal live im Fernsehen sah. Casemiro spielt bei Real Madrid. Dem echten Real Madrid. Paul spielt Fußball auf der Playstation, dort übernimmt er die Rolle von Lionel Messi, dem Superstar des FC Barcelona. Eines Tages stand dem Avatar Messi der Avatar Casemiro im Weg – und fand so Eingang in die Fußballwelt eines Teenagers in Norddeutschland.
Weil Pauls Zugang zum Fußball digital ist, also zugleich global, ist Barcelona auch im echten Leben sein Lieblingsverein. Der Rest seiner Familie, Menschen die ein, zwei Generationen älter sind, leidet mit dem Hamburger Sportverein. Ihrer aller Vereinsliebe ist analog, sie hat da Wurzeln geschlagen, wo sie geboren sind.

Digitale Vorlieben im analogen Leben

Gut, es gibt auch ältere Hamburger, die zum Beispiel Bayern-Fans sind. Aber das ist eine andere Geschichte – oder auch wieder nicht. Bayern-Fans jenseits des geografischen Raums Bayern sind Bayern-Fans, weil das bedeutet: auf der Gewinnerseite zu stehen. Aus demselben Grund nehmen digitale Eingeborene ihre Vorlieben mit ins analoge Leben. Real Madrid oder Barcelona garantieren überall Erfolg.
Irgendwann werden reale Vorbilder für Computerfußball überflüssig sein und digitale Stars komplett am Reißbrett entworfen. Aber da die Generation Playstation noch echten Fußball guckt, jedenfalls weiß, dass er existiert, muss es eine Verlinkung beider Welten geben: Der Messi-Avatar existiert, weil es einen echten Messi gibt. Das Modell imitiert die Bewegungsmuster des Originals. Und wenn der echte Messi vom Kobold zum Hipster wird – blondiertes Haar, roter Vollbart – wird der digitale Klon angepasst.

Messi spielt sich am Computer am liebsten selbst

Schon vor zehn Jahren hat Messi erzählt, er spiele am Computer am liebsten sich selbst. Und als Messi, der Messi spielt, probiere er Tricks aus, um sie später nachzuahmen. Messi ist kein Philosoph, und doch war dieses Bekenntnis ein faszinierender Steilpass in die Tief des Raums von Sein und Schein: Das Analoge formt das Digitale, das Digitale strahlt auf das Analoge zurück. Und alles schnurrt zusammen zur Frage: Was bedeutet das überhaupt noch – echt?
Cristiano Ronaldo, der zweite Superstar des Fußballgeschäfts, trägt das Hybride schon in seinem Spitznamen spazieren: CR7. Könnte auch ein Roboter sein. Neben seinem Genie hat der echte Ronaldo dem Fußball ein Repertoire an Posen gespreizter Männlichkeit geschenkt. Wenn nun sein Avatar steifbeinig zum Freistoß antritt, wirkt es wie ein augenzwinkernder Kommentar auf diese testosterontriefende Selbstverliebtheit.

Diebstahl von Glück

So ein Pingpong-Spiel von Original und Kopie ist bloß amüsant. Doch die Verschmelzung von Spiel und Simulation dringt in ganz andere Dimensionen vor: Diese Verschmelzung ist Diebstahl von Glück. Computer-Fußball ist ausgerichtet auf Box-to-box-Action. Kein Taktieren, kein Mittelfeldgeplänkel. In wenigen Minuten virtuellen Spiels passiert oft mehr als in einem echten Spiel in 90 Minuten. Das ist verführerisch, anstrengungslos unterhaltend.
Ein Teenager, der über das digitale Barcelona fußballsozialisiert ist, ist für den echten HSV verloren.
Nur ist es eben so: Ein Messi-Tor nach Messi-Dribbling – egal ob nun der virtuelle den realen kopiert oder umgekehrt – ist ein kurzes Spektakel. Und: abgehakt. Niemals aber ist es annähernd so beglückend und befreiend wie ein 08/15-Tor, das dem eigenen Team in letzter Minute eines echten und echt schlechten Spiels den Klassenerhalt sichert. Viel Langeweile und fortgesetzte Enttäuschung sind elementare Voraussetzungen für Momente völliger Ekstase.
Diese Dimension beherrscht digitale Optimierung nicht. Sie versteht nicht mal, worum es dabei geht.

Hören Sie hier die ganze Nachspiel-Sendung vom 18. Juni 2017:
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