Gender-Debatte

Die Welt aus alter weißer Männersicht

Ein Mann denkt nach.
"Wir reagieren auf Hashtags wie #metoo grundsätzlich mit reflexartigem Vollschreiben von Feuilletonspalten", erklärt Autor Enno Park - mit "wir" meint er "alte weiße Männer". © imago stock&people / Mitch Blunt
Von Enno Park · 28.11.2017
Der alte oder der alternde weiße Mann ist Hauptangriffsziel in der Gender-Debatte. Zu Recht, meint Autor Enno Park: Denn der alte weiße Mann ist ignorant, lässt jede Empathie vermissen und stilisiert sich dann auch noch selbst zum Opfer.
Ich bekenne mich schuldig: Ich gebrauche gerne die Phrase "alte weiße Männer". Und damit meine ich meinesgleichen. Ich bin zwar nicht ganz so alt, wie viele Leute aufgrund meines ergrauenden Bartes und der fortgeschrittenen Glatzenbildung glauben könnten, aber ich bin schon Teil einer Kohorte. Und ich beobachte, wie oben, unten, links und rechts von mir ansonsten sehr intelligente und gebildete Männer nicht einmal einen Funken gedanklicher Beweglichkeit mitbringen, die Perspektiven ihrer Mitmenschen zu reflektieren.
Natürlich ist diese Pauschalbeschimpfung unfair. Wir sind ja nicht alle so. Aber wann immer man einer Podiumsdiskussion zusieht, bestehen die Gesprächsrunden immer noch ganz überwiegend aus alten weißen Männern. Die reden dann bevorzugt über alte weiße Männerprobleme und erklären die Welt aus alter weißer Männersicht.
Taucht eine Forderung auf, die nicht in diese Sichtweise passt, behaupten wir, das gefährde unsere Kultur. Zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe: Da schießen wir bis zur letzten Patrone, beschwören die Zersetzung unserer Kultur herauf und machen's selten unter dem Untergang des Abendlandes. Ringt sich der Gesetzgeber aber endlich dazu durch, fragt man sich etwas konsterniert: So einfach war das? Wo war eigentlich das Problem? Warum dieses ganze Gewese?

Wir hocken auf dem Sockel unserer Privilegien

Wir alten weißen Männer sind der Normalfall. Die Gesellschaft macht es uns weiterhin leicht, an die Schalthebel und Fleischtöpfe zu kommen. Für Frauen, Migranten oder Behinderte sieht das völlig anders aus. Was wir ignorieren. Es ist ja nicht unsere Schuld, dass Frauen, Migranten und Behinderte keine alten weißen Männer sind. Es ist wirklich bemerkenswert, wir sehr wir auf dem Sockel unserer Privilegien hocken und niemandem wirklich zuhören, außer anderen alten weißen Männern.
Zuletzt war das unter dem Twitter-Hashtag #metoo zu beobachten. Zahllose Frauen bekennen online ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt und ganz alltäglichem Sexismus. Das kostet sie durchaus viel Mut und Selbstüberwindung, denn absurderweise sind es immer die Frauen, die sich für erlittene Übergriffe schämen.
Und das liegt an uns alten weißen Männern. Denn wir reagieren auf Hashtags wie #metoo grundsätzlich mit reflexartigem Vollschreiben von Feuilletonspalten. Wir banalisieren. Wir sagen, nicht alle Männer seien so. Wir spielen Opfer und tun verunsichert: Man wisse ja gar nicht mehr, wie man noch flirten oder Komplimente machen solle. Überhaupt sei das alles übertrieben.
Im Grunde finden wir: Harvey Weinstein und Kevin Spacey, das sei die reinste Hexenjagd. Um nicht zu sagen hysterisch. Und verdrehen einfach mal Täter und Opfer. Weil es uns in solchen Debatten nicht um Gerechtigkeit geht, um Zuhören oder Empathie, sondern einfach nur um uns alte weiße Männer selbst.

Wir fühlen uns angegriffen und gar diskriminiert

Uns fehlt ganz einfach der Wille, Empathie zu zeigen und uns in die Lage von anderen Menschen, Gruppen und Minderheiten zu versetzen. In Diskussionen, Debattenbeiträgen und Feuilletontexten posaunen wir mit unerschütterlicher Selbstgewissheit die Perspektive derjenigen hinaus, die sowieso gesellschaftlich die Norm definieren.
Sobald wer dran kratzt, fühlen wir uns angegriffen und gar diskriminiert, statt uns auch mal selbst zu hinterfragen. Warum auch: Wir sind mit irgendwas irgendwie erfolgreich, findet uns selbst toll, müssen also auch objektiv toll sein und recht haben. Egal ob es um Sexismus, Rassismus, Inklusion oder die vielen anderen Debattenschlachtfelder geht.
Ich bin auch ein alter weißer Mann. Wegen der vielen Vorurteile, die ich mit mir herumtrage und nur langsam abbaue, benutze ich diese Formulierung so gerne: Es ist eine Provokation an meine alten weißen Mitmänner, wenn ausgerechnet ein anderer alter weißer Mann sie so nennt. Wie groß diese Provokation ist, sehe ich daran, dass es mich jedesmal etliche Follower auf Twitter kostet, wenn ich diese Formulierung verwende.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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