Gekommen, um zu bleiben

Von Alexandra Mangel · 15.09.2011
Das Jüdische Museum in Berlin wirft in einer Sonderausstellung einen Blick auf den Heimatbegriff in Deutschland. Auch deutsche Juden, Türken sowie Migranten und Exilanten aus der Sowjetunion waren eingeladen, ihre Ideen zum Thema vorzustellen.
"Heimatkunde" im Jüdischen Museum. Schon der Titel ist ein Statement. Deutlicher kann man den Anspruch nicht formulieren, dass es in diesem Haus, zehn Jahre nach seiner Gründung, nicht nur um Juden in Deutschland geht, sondern: um Deutschland. Und so zeigen hier Deutsche, deutsche Juden, deutsche Türken, Migranten und Exilanten aus der Sowjetunion, aus Bosnien oder dem Iran ihre deutsche Heimat. Für die Schwestern Anni und Sibel Öztürk, die eine in Istanbul, die andere in Eberbach am Neckar geboren, ein schwieriger Begriff:

"Der ist ja jetzt so sehr belastet der Begriff, dass wir Angst haben, etwas damit zu verbinden! Weil Heimat ist hier, genau wie in der Türkei! Wir sind eigentlich überall zu Hause, haben wir festgestellt! Wir sind ein gutes Beispiel für Assimilanten!" (lacht)"

Über eine ganze Museumswand haben die Schwestern Familienszenen in ein Weltgeschichtspanorama aus Medienbildern integriert. Eine Geburt, eine Hochzeit, eine Geburtstagsfeier. Die Öztürks zwischen Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Steffi Graf und Franz Beckenbauer. Jimi Hendrix und Madonna. Honecker und Gorbatschow. Für Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Hauses, ein wunderbares Bild für die ganze Ausstellung:

""Als wir uns zusammengesetzt haben und überlegt haben, was machen wir zum zehnjährigen Jubiläum, ist mir sofort diese Ausstellung eingefallen! Und zwar gibt es einen Roman aus den 60er-Jahren, der hat den schönen Titel: 'How German is it?' Das kann man auf Deutsch gar nicht sagen, das klingt blöd! Die Idee war zu schauen, wie nach der Vereinigung der deutschen Staaten, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, was es da eigentlich heißt, Deutscher zu sein!"

Ausschnitt aus der Arbeit "Five Easy Pieces" von Paul Brody: "Ich komme nun aus Sachsen und die Grundprägung bleibt: 18 Jahre DDR! Und ich finde das gesamte Berlin hat was un-, hat trotz aller Weltstadt was unraffiniert-rempliges!" – "Für eine Französin war das hart am Anfang, weil der erste Satz, den Helmut sagte, war: Mach dein' Mund auf! Ich war immer sehr diplomatisch, wie die Franzosen sind! Man passt auf, man ist zurückhaltend! Und er sagte: Mach dein' Mund auf!"

Eine Melodie zu den Stimmen und Geschichten von Menschen, die aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen sind. Komponiert von dem amerikanischen Musiker Paul Brody. Es geht um Anfänge, Fremdheit, auch um Anpassung. Für Cilly Kugelmann Kernthemen des Jüdischen Museums:

"Es ist ja auch jüdische Geschichte, weil jüdische Geschichte ist immer eine Minoritäten-Geschichte und alle Minoritäten sind besonders sensibel für die Frage, wie eine Gesellschaft zu ihrer Minderheit steht! Diese Frage stellt sich heute anders als vor 100 oder 150 Jahren. Und so liegt es eigentlich auf der Hand, sich diese Frage zu stellen!"

Es sind viele Familiengeschichten und Lebenswege, denen die Ausstellung folgt. Arnold Dreyblatt ist amerikanischer Jude mit osteuropäischen Wurzeln, seit den frühen 80ern lebt er in Berlin. Für die Ausstellung hat er den Koffer ausgepackt, den er von Amerika nach Europa getragen hat. Dieser Koffer, der extra für die große Reise angefertigt wurde, thront im Zentrum der Installation. Dreyblatt:

"Die Arbeit heißt 'My Baggage', 'Mein Gepäck'. Es ist sozusagen alles, was ich mitschleppe an Gepäck und was vielleicht in diesem Gepäck sein könnte. Hier ist das Lehrbuch von meiner Bar Mizwa in den USA, in New York. Hier ist ein Brief von einem Verwandten über einige Verwandte, die in Russland gefunden worden sind. Hier, eine Kämpferin im Warschauer Ghetto, die einen Kibbuz in Israel gegründet hat, ist da abgebildet. Ja, verschiedene Identitäten, die man sozusagen mitschleppt."

Das Gepäck, das viele deutsche Künstler in diese Schau schleppen, besteht zum großen Teil aus deutschen Mythen und Befindlichkeiten. Gleich mehrere arbeiten sich am deutschen Wald ab. Da irritiert der Raum, den der Künstler Via Lewandowsky und der Dichter Durs Grünbein eingerichtet haben. Weniger "Heimatgefühl" ist erstmal kaum denkbar. Man sitzt auf Plastikstühlen in einem Wartessaal, die elektronische Anzeige über den Köpfen signalisiert absurde Nummern im Tausenderbereich, aber aus Lautsprechern dringen Worte, die das Warten ganz anders beschreiben:

"Eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden. Eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen. Eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden!"

Texte aus dem Buch Kohelet. Und während man da so hockt und wartet, wird einem klar, dass genau so für viele Menschen heute die Hoffnung auf Heimat, der Weg in eine Heimat aussieht. Ein deutscher Wartesaal, die Schleuse der deutschen Bürokratie, als zeitgenössisches Heimatbild.

Die Vielfalt der Perspektiven und Bilder in dieser Ausstellung wird vielleicht den enttäuschen, der hier die Auseinandersetzung mit deutsch-jüdischer Geschichte erwartet. Aber um genau diese Vielfalt geht es. Denn das Jüdische Museum zeigt hier nicht nur Blicke auf Deutschland, sondern auch sich selbst. Mittendrin in dieser deutschen Heimat.