Geißler: Bei Bauabbruch von Stuttgart 21 droht Milliardenverlust

18.02.2013
Heiner Geißler, ehemaliger Stuttgart-21-Schlichter, geht davon aus, dass der Bahnhof trotz der sich abzeichnenden Kostenexplosion gebaut wird. Die steigenden Kosten hält Geißler für ein "lösbares Problem". Für so ein Projekt müsse das Geld einfach da sein.
Gabi Wuttke: Ist Stuttgart 21 systemrelevant? Ist das umstrittene Bahnhofsprojekt "too big to fail" oder hat der Eigentümer Staat den Weg in die Mottenkiste schon vorgegeben, weil die Kostenexplosion in Zeiten von Schuldenbremse und Bundestagswahl nicht mehr vermittelbar ist? Heute treffen sich in Stuttgart der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg und der gleichfarbige Oberbürgermeister mit Bahnvorstand Volker Käfer. Auch ihn kennt Heiner Geißler, Stuttgart-21-Streitschlichter im Sommer 2011. Damals lautete sein Schlusswort: Der Bahnhof wird sowieso gebaut. Ich wollte von ihm wissen, ob er seine Meinung geändert hat.

Heiner Geißler: Was heißt, meine Meinung geändert? Das war ja weniger eine prophetische Feststellung, in Marmor gehauen, sondern mehr eine im Indikativ ausgedrückte Vermutung. Ich will mal sagen, der gesunde Menschenverstand würde eigentlich sagen, zwei Milliarden sind jetzt weg, und wenn man da jetzt nicht irgendwas daraus macht, dann hat man zwei Milliarden ausgegeben und im Grunde genommen nichts dafür bekommen. Das kann ja nicht sehr sinnvoll sein. Ob der Bahnhof nun so gebaut wird, nicht wahr, wie er ursprünglich geplant wird, das steht ja auf einem anderen Blatt Papier.

Wuttke: Aber, ich frage Sie als Christdemokraten: Angela Merkel ist sicher auch als CDU-Chefin sieben Monate vor der Bundestagswahl zur Bahn auf Distanz gegangen, oder?

Geißler: Also … hat sie das getan?

Wuttke: Das hat sie.

Geißler: Das hat sie getan – na ja, gut, sie ist halt auch davon überrascht worden, dass die ursprünglichen Finanzprognosen sich eben dann doch nicht bewahrheitet haben. Also ich habe das ja schon vor zwei Jahren vorausgesehen. Und dafür gab es ja ganz bestimmte Anhaltspunkte. Ich glaube, dass auch innerhalb der Bahn klar war, nicht wahr, dass die Finanzierung schwierig wird, und deswegen hatte ich ja gesagt, man soll doch einen Kompromiss suchen.

Wuttke: Wer also hat denn nicht genau auf die Kosten geschaut, wenn Sie sagen, Sie waren schon damals sicher, dass das Ding teurer wird als veranschlagt?

Geißler: Na ja, Sie haben ja für alles immer einen Worst Case, also den schlimmsten Fall, kann man da nehmen. Man kann natürlich auch sich eine positive Entwicklung vorstellen. Bei solchen Projekten aber sagt einfach die Erfahrung, dass die ursprünglichen Planungskosten, also die Kosten dann auch für die Realisierung nicht eingehalten werden konnten, und das gilt vor allem bei einem Projekt, wo es so viele Tunnels gibt. Da gibt es ja aus dem Jahre 2008 eine Untersuchung des Bundesverkehrsministeriums, und danach werden Projekte, die viele Tunnels haben, statistisch gesehen, im Nachhinein eben verifiziert, immer um 60 Prozent bis 100 Prozent teurer. Und Stuttgart 21 ist nun ein Projekt, die haben insgesamt 54 Tunnels mit zwölf Verzweigungsbauwerken. Und da war eben doch, glaube ich, zu knapp gerechnet worden.

Wuttke: Glauben Sie denn, dass man jetzt auch genauer hinschaut, nachdem die Desaster-Elbphilharmonie in Hamburg und Hauptstadtflughafen es nötig machen, dem Steuerzahler zu vermitteln, dass es eben nicht reicht, die Kalkulation zu benutzen, in der es noch einigermaßen ordentlich aussieht?

Geißler: Man kann – all die drei Projekte, die Sie gerade genannt haben, kann man nicht miteinander vergleichen. In Berlin ist es schiere und glatte Schlamperei, was da …

Wuttke: … ich gebe es gern an Herrn Wowereit und Herrn Platzeck weiter.

Geißler: Ja, ja, geben Sie es mal weiter. Und bei der Elbphilharmonie, da hat sich eben doch herausgestellt, dass bei so großen Projekten man nicht alles privatisieren kann. Also, dass das nachher eine einzige Firma macht, das ist eben dann doch problematisch, während in Stuttgart eigentlich die Bauherren schon richtig waren. Das waren die Bahn, das Land und der Bund. Die Stadt ist auch noch dabei gewesen. Das ist an sich gar nicht – gar keine so schlechte Kombination. Aber die Bahn oder Stuttgart 21 litt von vornherein unter den erheblichen Auseinandersetzungen auch mit den Bürgern. Und das hängt eben damit zusammen, dass dieses Projekt eben noch im alten Stil vorangetrieben worden ist, nach dem alten Planungs- und Baurecht, und das, hat sich eben herausgestellt, ist total überholt. Wir müssen aus Stuttgart 21 lernen, dass wir auch ein neues Bau- und Planungsrecht brauchen und vor allem rechtzeitig eine Bürgerbeteiligung einbauen müssen.

Wuttke: Sie kennen Bahnvorstand Volker Kefer aus dem Schlichtungsverfahren. Der Mann war stets sehr gut gefönt und auch sonst sehr gut sortiert. Glauben Sie, dass ihm inzwischen die Haare zu Berge stehen?

Geißler: Ich weiß nicht, ob der gut – jedenfalls ist der Herr Kefer wirklich ein sehr ernstzunehmender, seriöser, fachlich kompetenter Mann gewesen. Und, sagen wir mal, die Kostensteigerungen, die sind ja nicht auf Rechenfehler zurückzuführen.

Wuttke: Aber glauben Sie, er hat jetzt noch gute Argumente? Es geht in dem Gespräch zwischen Winfried Kretschmann, Fritz Kuhn und eben Volker Kefer darum: Wer könnte denn jetzt die mehreren Milliarden, die da auf dem Tisch liegen, bezahlen? Das Land möchte gerne, dass es der Bund tut, also der Eigentümer. Und damit haben wir das Problem.

Geißler: Ja. Das ist ein Problem, das ist richtig. Aber ein lösbares Problem. Also, nehmen wir mal an, das kostet ein bis zwei Milliarden mehr …

Wuttke: Na, es geht bis zu elf Milliarden, Herr Geißler.

Geißler: Ja, das weiß kein Mensch, nicht wahr, ob das so viel wird. Jetzt bleiben wir mal auf dem Boden der Realitäten und – wir zwei einigen uns mal in der Mitte, nicht wahr, bei drei Milliarden. Ich finde, für ein solches Projekt muss das Geld da sein. Es gibt auf der Erde genügend Geld, es haben nur die falschen Leute.

Wuttke: Wenn wir jetzt noch mal bei den drei Milliarden bleiben: Hält denn ein Tiefbahnhof mit einem verkleinerten Kopfbahnhof, den Sie ja bereits mal vorgeschlagen haben, die Kosten in Grenzen?

Geißler: Ja, also, der soll nach den Berechnungen, die mir vorliegen, zwei Milliarden billiger sein. Das ist immerhin etwas.

Wuttke: Allerdings! Und, was ist mit dem Vorschlag?

Geißler: Ja, um den gehen die offenbar immer noch herum wie die Katze um den heißen Brei.

Wuttke: Verstehen Sie das?

Geißler: Das kann ich nicht ganz verstehen.

Wuttke: Glauben Sie, da bewegt sich noch was?

Geißler: Das dauert dann länger, nicht? Das ist das Problem. Deswegen wollen die nicht so richtig ran. Aber wenn man bei der alten Planung bleibt, schaffen sie es ja bis '21 auch nicht.

Wuttke: Das heißt also, unter dieser Prämisse würden Sie sagen, der Bahnhof wird sowieso gebaut, das sagen Sie auch jetzt?

Geißler: Ja, ich würde sagen, nicht wahr, wenn man mal irgendwann – Denken ist die schwerste Arbeit, hat Henry Ford mal gesagt. Deswegen sei das auch so schwierig, nicht wahr, und man könne nicht alle Leute immer dazu bringen, aber irgendwann wird sich ja der gesunde Menschenverstand durchsetzen. Dass man nicht zwei Milliarden einfach aus dem Fenster rauswirft und nichts dafür bekommt.

Wuttke: Herr Geißler, dann wünsche ich sehr, dass Sie recht behalten, obwohl ich ganz ehrlich gesagt da ein ganz klein wenig skeptisch bin.

Geißler: Ja, bitte schön! Ich bin ein anthropologischer Optimist.

Wuttke: Wunderbar – bleiben Sie ein solcher. Ich danke Ihnen!

Geißler: Danke schön, Wiederhören!

Wuttke: Heiner Geißler im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur, bevor heute in Stuttgart Landesregierung und Bahn über die Zukunft von Stuttgart 21 verhandeln.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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