Geheimnisvolles in den Tiefen der Meere

27.05.2008
Riesenkalmare, die ihre Artgenossen verspeisen, metergroße Krakenweibchen, die sich mit zentimeterkleinen Männchen paaren, und Lichtblitze schlagende Knallgarnelen - davon berichtet Birgit Pelzer-Reith in ihrem Buch "Venus, Schildplatt, Knallgarnele -allles außer Fisch". Die Biologin präsentiert eine unglaubliche Fülle erstaunlicher Fakten.
Wenn von Artenvielfalt die Rede ist, dann denken nur wenige an die Meere. Kein Wunder, denn die Meere sind viel schlechter erforscht als etwa der Urwald. Um in sie einzudringen, braucht man leistungsfähige Tauchapparate und selbst dann ist angesichts der riesigen Unterwasserflächen keineswegs garantiert, dass man auch an den richtigen Stellen sucht.

Bislang sind zwar erst 250 000 Lebewesenarten identifiziert worden, aber vorsichtigen Schätzungen zufolge, tummeln sich im Salzwasser rund eineinhalb Millionen unbekannte Spezies. Dazu gehören zahlreiche Kuriositäten, von denen das Buch der Molekularbiologin Birgit Pelzer-Reith "Venus, Schildplatt, Knallgarnele - alles außer Fisch " höchst anschaulich berichtet.

Und die Kuriositäten tummeln sich eben nicht nur in den ersten dreißig, vierzig Metern der Wasseroberfläche, in die noch genügend Licht dringt, um Lebewesen einer bestimmten Mindestgröße erkennen zu können, sondern finden sich in Tiefen von bis zu dreitausend Metern. Hier hausen dann auch die seit mehr als zweitausend Jahren durch Erzählungen geisternde Meeresungeheuer, die ganze Schiffe in die Tiefe ge-zogen haben sollen.

Es gibt sie wirklich: Riesenkalmare mit meterlangen Fangarmen. Kameraüberwachte Futterfallen haben sie in Meerestiefen von vierhundert bis tausendzweihundert Metern aufgespürt. Doch wie sie leben, weiß niemand. Nur soviel ist bekannt: Sie verspeisen bisweilen auch ihre eigenen Artgenossen. Ungewöhnlich ist auch ihre Fortpflanzung. Die Männchen spritzen ihre Samen den Weibchen unter die Haut. Wie diese Spermien dann zu den Eiern gelangen und sie befruchten, ist unklar.

Doch Rätsel birgt die Meereswelt sowieso zahlreiche. So ist zum Beispiel das Männchen der Löcherkrake nur wenige Zentimeter groß. Das Weibchen ist dagegen mit zwei Metern ein Monstrum - hundertmal größer und vierzigtausend Mal schwerer. Und die Knallgarnele, eine Krebsart erzeugt durch das extrem rasche Zusammenschlagen ihrer Krebsscheren nicht nur einen Lichtblitz, sondern auch einen Knall, der mit hundertfünfzig Dezibel dem Start eines Düsenflugzeugs entspricht.

Nicht alles im Buch ist wirklich neu. Manches hat man schon anderswo gelesen. Doch die Zusammenstellung überzeugt. Hier gibt es Wissen kompakt. Gerade in der Tiefsee, also ab tausend Meter unterhalb der Wasseroberfläche finden sich viele merkwürdige Extremleistungssportler, die sich an außergewöhnliche Lebensbedingungen angepasst haben wie gewaltigen Druck, völlige Dunkelheit und Sauerstoffmangel. Viele von ihnen erzeugen sogar ihr eigenes Licht, locken damit Beute an oder gehen auf Partnersuche, warnen Fressfeinde.

Zu den verblüffenden Tieren gehören auch die Quallen, die nicht nur verlorene Körperteile ersetzen können, sondern sich nach ihrer vollständigen Zerstörung auch wieder regenerieren.
Den größten Teil des Buches widmet Birgit Pelzer-Reith allerdings denjenigen Mee-reswesen, die den Menschen seit alters her nützlich wie wertvoll waren, also in der Kulturgeschichte. Und auch da hat die Autorin immer wieder erstaunliche Details ausgegraben. Ausführlich erzählt sie von der Sucht der Menschen nach den Juwelen der Meere: den Perlen, den Korallen, dem Schildplatt - allesamt einst so kostbar, dass Kleidungsvorschriften erlassen wurden, die den Meeresschmuck bei Strafe den Adligen und Reichen vorbehielten.

Erschwinglicher waren dagegen solche Gebrauchsgüter wie Seegras als Matratzenfüllung oder Schwämme, die sich heute vor allem bei Forschern großer Beliebtheit erfreuen. Die interessieren sich für die zahlreiche Schutzstoffe, mit denen sich die Tiere gegen das Gefressenwerden wehren. Fast die Hälfte aller neuen Wirkstoffe gegen Krebs, Schmerzen und Infektionen, so berichtet Birgit Pelzer-Reith, werden derzeit aus Schwämmen isoliert.

Natürlich behandelt die Autorin auch ausführlich die Genüsse, die das Meer parat hält. Von Krabben und Austern über die Seegurke bis zur Alge gibt es kaum eine Meerespflanze oder -geschöpf, das nicht auf dem Teller landet. Viele von ihnen gel-ten nicht nur als Delikatesse, sondern zudem als ausgesprochene gesunde Nahrung. Die niedrige Brustkrebsrate der Japanerinnen wird nicht zuletzt auf den Verzehr von Braunalgen zurückgeführt.

Auch wenn die Autorin manchmal allzu ausführlich in alten Legenden schwelgt, so lässt man sich doch immer wieder gerne von der unglaublichen Fülle erstaunlicher und unbekannter Erkenntnisse und Tatsachen verblüffen.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Birgit Pelzer-Reith: Venus, Schildplatt, Knallgarnele - alles außer Fisch
marebuchverlag, Hamburg 2008
270 Seiten, 19,90 Euro