Gegenwartskunst

Feldforschung auf unbekanntem Terrain

Die amerikanische Künstlerin Jill Baroff steht in der Ausstellung "Lichtwark revisited" in der Kunsthalle in Hamburg vor ihren Werken.
Die amerikanische Künstlerin Jill Baroff steht in der Ausstellung "Lichtwark revisited" in der Kunsthalle in Hamburg vor ihren Werken. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Carsten Probst · 22.05.2014
Zum 100. Todestag des ersten Direktors der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, zeigt eine Ausstellung, wie sich Gegenwartskünstler mit der Hansestadt auseinandersetzen - und führt so Lichtwarks Idee weiter.
Keine Malerei! Petra Roettig, zuständig für die Gegenwartskunst an der Hamburger Kunsthalle, zeigt sich bewusst, dass man als Museum heutige Einladungen an Gegenwartskünstler nicht mehr in derselben Weise vornehmen kann wie noch zu Alfred Lichtwarks Zeiten:
"Das ist natürlich heute, 100 Jahre später, etwas ganz anderes als früher, teilweise auch sehr ähnlich. Das Thema Schifffahrt, See ist immer aktuell, aber es ist natürlich heute ein Blick auf Hamburg. Damals sind die Künstler nach Hamburg gekommen, um in der Stadt zu malen, und heute guckt man natürlich von der Ferne: Was liegt hier eigentlich an? Also es ist eine ganz andere Ebene, die heute hier thematisiert wird."
Ausgewählt wurde von den Hamburger Kuratorinnen diesmal weniger nach Namen, mehr nach Kunstgattungen, die zum einen Alfred Lichtwark in seiner Zeit noch bekannt waren, wie der Zeichnung, der Bildhauerei und der Fotografie, diese zum anderen aber auch aktualisierten etwa durch Performance, Video oder Installation.
Gewisse Inhalte erweisen sich bei den sechs eingeladenen Gegenwartskünstlerinnen und -künstlern Jill Baroff aus New York, Julius von Bismarck, Michaela Melián, Jorinde Voigt und der in Frankfurt lebenden Amerikanerin Adrian Williams tatsächlich als zeitlos, wie die erwähnte Seefahrt - aber bei allen ortsspezifischen Strategien, die Künstler heute anwenden, ist der zugrundeliegende Kunstbegriff doch ein völlig anderer.
Feldforschung auf unbekanntem Terrain
Kunst versteht sich heute mehr denn je eine Art Feldforschung auf unbekanntem Terrain. Hamburg als Gebilde, das man malen kann, gibt es nicht mehr. Die Videos und Fotografien des 1973 geborenen Tobias Zielony zeichnen ein ganz anderes Bild der Seefahrt als noch von 100 Jahren. Tobias Zielony:
"Ja, ich hab zuerst im Seemannsheim und in der Seemannsmission übernachtet und hatte erst was überlegt, was über die Seefahrt, Seemannsgeschichten, Seeleute eine Arbeit zu machen, und bin dann auf die Idee gekommen, das zu verbinden mit der Geschichte der Bootsflüchtlinge, die ja auch eine Form von Seeabenteuer, Seegeschichte hinter sich haben, wo man sozusagen auch das Selbstmarketing der Stadt Hamburg als Seefahrtstadt der Geschichte dieser Bootsflüchtlinge gegenüberstellt..."
Die Verheißung des sicheren Hafens, mit der Hamburg über Jahrhunderte als Stadt reich geworden ist, spiegeln sich in Zielonys schnell hintereinander projizierten Fotografien der Lichter von Reeperbahn und Hafenanlagen. Aber was haben von einem solchen Glitzer die Flüchtlinge? Solcherlei Mehrdeutigkeiten waren der Sammlung Lichtwarks, die bis heute den Grundstock und die Ordnung der Hamburger Kunsthalle bildet, eher fremd, obwohl auch er durchaus den Widerspruch in seiner Zeit suchte. Schön zu sehen in einem der ersten Säle, in denen die altmeisterlichen Bürgermeisterporträts der Hamburger Künstler aus Lichtwarks Zeit, etwa eines Leopold von Kalckreuths oder Wilhelm Trübners, den Bildnissen von außerhalb eingeladener Zeitgenossen wie Max Liebermann, Pierre Bonnard oder Lovis Corinth gegenüberstehen. Kunsthallendirektor Hubertus Gassner:
"Ich finde das hier besonders gut gelungen, man hat ja hier das Gefühl, man ist im 17. Jahrhundert - entweder bei den niederländischen Gildemeistern, bei einem Frans Hals oder bei Velazquez. Und gleichzeitig 1913 Bonnard und Vuillard, ein Quantensprung um mehrere Jahrhunderte im gleichen Jahr entstanden - man sieht, wie in einem Jahr in Hamburg die Spanne zwischen altem und neuem Stil sein kann ...."
"Lichtwark war damit durchaus Trendsetter"
"Sie müssen sich vorstellen, dass damals das Museum, so wie wir es heute kennen, eigentlich noch nicht existiert hat und dass diese Gründungsgeneration der Direktoren, zu der eben auch Lichtwark gehört, eigentlich erst das Museum so gestaltet hat, wie wir es heute kennen - nämlich dass es eben Alte Kunst gibt, Kunst des 19. Jahrhunderts und eben Gegenwartskunst."
Ergänzt die für die Alten Meister zuständige Kuratorin Ute Haug und fährt fort:
"Man gestaltete eigentlich nicht durch Aufträge, durch Anregungen vom Museum aus durch den Direktor eine Sammlung. Und genau das tat Lichtwark und war damit durchaus Trendsetter und das ist eben auch der Punkt, wo man heute auch überlegen kann: Ist das eine Funktion, die ein Museum heute noch ausfüllen darf?"
Das Museum wird durch die Einladung von Gegenwartskunst zu einer kritischen Institution, ein Aspekt, den man heute, wenn man das Stichwort Museumspädagogik in den Mund nimmt, nicht unbedingt annehmen würde. Lichtwark hat rückblickend einen Weg vorgezeichnet, der seit den 1980er-Jahren, seit weltweit die Museen für Gegenwartskunst ins Kraut schossen, den Institutionen bei der kritischen Sichtung der Kunst das letzte Wort lässt.
Die Hamburger Kunsthalle gehört heute vielleicht nicht mehr im selben Maß wie Anfang des 20. Jahrhunderts zu den meinungsbildenden, streitbaren Institutionen in Deutschland. Aber, wenn man sie mit anderen vergleicht, hat sie sich doch gut erhalten.