Gefühle in der Politik

"Emotionen sind handlungsmotivierend"

Bundeskanzlerin Merkel bei einer Diskussion mit Jugendlichen in Rostock
#merkelstreichelt: Bei einer Diskussion mit Jugendlichen in Rostock zeigte auch die Kanzlerin mal Gefühl © Steffen Kugler/Bundesregierung/dpa
Der Politikwissenschaftler Gary Schaal im Gespräch mit Ute Welty · 18.07.2015
Was wäre, wenn Wolfgang Schäuble und Angela Merkel im Umgang mit Griechenland nicht immer nur über Geld redeten, sondern über Solidarität und die humanitäre Katastrophe? Das würde die Bürger ganz anders in die Politik einbringen, meint Politikwissenschaftler Gary Schaal.
Emotionen in der Politik - das hat hierzulande einen schlechten Klang. Viele Menschen wünschen sich, dass Politik berechenbar sein soll, meint der Politikwissenschaftler Gary Schaal von Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. "Das Emotionale ist schwankend, es ist unstet, und gerade vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrung möchte man das Gegenteil haben."
Politik ohne Emotionen verhindert Solidarität
Emotionen können jedoch handlungsmotivierend sein, betont der Emotionsforscher. "Schäuble gilt zum Beispiel als ein sehr kühler, rationaler Politiker, und auch die Reaktionen von Merkel auf die Griechenland-Krise sind angeblich entemotionalisiert. Aber diese Kühle hat natürlich eine emotionale Dimension." So führe sie dazu, dass bei den Menschen kaum Gefühle von Solidarität aufkämen.
"Stellen Sie sich einfach mal Merkel oder Schäuble vor, die an unsere Solidarität, an die humanitäre Katastrophe appellieren und nicht an Kredite und die Tatsache, dass wir Deutschen dann vermutlich irgendwie mehr Geld zu zahlen haben. Das wäre eine ganz andere Debatte und würde uns Bürger auch anders in die Politik einbringen", so Schaal. "Insofern hat Politik natürlich auch die Möglichkeit, über Emotionen Diskussionen in ganz andere Richtungen zu lenken."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ist das jetzt witzig oder unhöflich oder gar sexistisch? Jedenfalls ließ sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann während der Griechenland-Debatte im Bundestag zu folgender Bemerkung hinreißen:
O-Ton Thomas Oppermann: Liebe Frau Wagenknecht, Ihre Rede hat auf mich eine eigenartige Wirkung! ((Gelächter aus dem Auditorium)) Wenn ich Ihnen sechs Minuten zuhöre, dann finde ich – was sonst nicht der Fall ist –, wenn ich Ihnen sechs Minuten zuhöre, dann finde ich Alexis Tsipras gar nicht mehr so schlecht! ((Gelächter aus dem Auditorium))
Welty: Solche Bemerkungen sind übrigens keineswegs parteigebunden. So warf Unionsfraktionschef Volker Kauder der Familienministerin Manuela Schwesig in der Debatte über die gesetzliche Frauenquote öffentlich vor, sie sei weinerlich. Zwei Männer, zwei Themen, zwei Beispiele, die eines mit Sicherheit nicht sind, nämlich Beispiele für sachliche Argumente. Welche Rolle also spielt Emotion in der Politik? Darüber forscht Gary Schaal an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, das ist die Universität der Bundeswehr. Guten Morgen!
Gary S. Schaal: Guten Morgen, Frau Welty!
"Eine rein rationale Debatte gibt es nicht"
Welty: Lässt sich an diesen beiden Beispielen schon ablesen, wie viel Emotion eine politische Debatte verträgt oder ob Emotion die Debatte eher befördert oder behindert?
Schaal: Das kommt darauf an, ob wir uns die Debatte innerhalb der Politik oder innerhalb der Gesellschaft anschauen. Und eins ist vollkommen klar, eine rein rationale Debatte gibt es nicht. Rationalität und Emotion gehören immer zusammen. Und Emotionen sind das, was uns Menschen am Ticken hält, sie sind handlungsmotivierend. Und rationale Einsicht allein wird Menschen nicht zum Handeln bringen. Und wenn Politik darauf zielt, tatsächlich die Welt irgendwie zu verändern, vielleicht sogar besser zu machen, dann brauchen wir auch Emotionen. Die Frage ist bloß: Welche Emotionen werden angesprochen? Also nicht dass, sondern welche und in welcher Form!
Welty: Welchen Effekt hat es denn grundsätzlich, wenn eine politische Debatte emotionalisiert wird, welchen direkten Effekt? Erfährt sie dadurch zum Beispiel mehr Öffentlichkeit?
Schaal: Emotionalisiert ist ja an sich schon eine Kritik. Man könnte auch sagen, Politik braucht immer Emotion, weil es etwas ist, was uns wirklich angeht. Und die Idee, dass man rein rational etwas sozusagen kühl abgewogen diskutiert, ist ja auch sozusagen eine falsche Erwartung. Und vor dem Hintergrund, glaube ich, wenn wir als Bürger angesprochen werden sollen, wenn wir glauben sollen, dass ein Politiker sich tatsächlich mit dem, was sie machen, emotional auseinandersetzt, was ihm wichtig ist, dann brauchen wir das Gefühl von Emotionalität auch seitens der Politiker. Insofern ...
Welty: Wa...
Schaal: Ja?
Welty: Ja, bitte!
Schaal: Nach Ihnen!
Politik soll berechenbar sein - gerade in Deutschland
Welty: Woher kommt es denn, dass wir solche Berührungsängste mit Emotionen haben? Sie haben es ja gerade beschrieben, als Sie gesagt haben, emotionalisiert bedeutet immer auch eher etwas Negatives denn etwas Positives!
Schaal: Dahinter steht die Idee, dass Politik etwas sein soll, was quasi berechenbar ist. Und Emotionen sind nicht berechenbar, aber Rationalität ist berechenbar. Und ein Staat oder Politiker, der quasi vorhersagbar ist, leistet genau das, was der Staat sein soll, nämlich erwartungsstabil, berechenbar, dauerhaft. Während das Emotionale istschwankend, es ist unstet und gerade vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrung möchte man das Gegenteil haben. Und diese Angst, dass quasi Gefühle überwältigend sein können, steht natürlich auch dahinter. Aber dass man damit den Kern von Politik natürlich desavouiert, nämlich dass man handlungsmotivierend sein soll, dass man engagiert sein soll, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Welty: Erleben Sie in der Politik, beobachten Sie das, dass Emotion auch kalkuliert eingesetzt wird?
Schaal: Natürlich werden Emotionen auch kalkuliert eingesetzt. In den Augenblicken, in denen Politiker emotional und bürgerverbunden rüberkommen wollen, wird eine andere Sprache genutzt. Es fließen manchmal Tränen, obwohl sich gerade Frauen in der Politik damit selber desavouieren.
Wobei, Ihre Fragen zielen alle auf die Richtung, welche Bedeutung hat Emotion in der Politik seitens der Politiker? Ich würde gerne noch mal einen Dreh machen und sagen, es geht vor allem auch darum, was macht Politik mit den Emotionen bei der Bevölkerung! Wir sind so fixiert darauf zu schauen, siehe die Diskussion über Merkel in den letzten Tagen, welche Gefühle Politiker zeigen, dass wir uns zu selten fragen, welche sollten wir vielleicht haben, Stichwort Solidarität oder Gerechtigkeitsempfinden. Aber noch viel wichtiger: Welche Gefühle werden bei uns eigentlich erzeugt?
Diffuse Ängste in konkrete Furcht übersetzen
Welty: Dieses Beispiel, was Sie gerade genannt haben, dieses libanesische Mädchen in Rostock, was weinend auf die Kanzlerin zugegangen ist, wo sie dann ja auch emotional reagierte und trotzdem sehr kühl blieb in ihren Äußerungen, das ist ja dann auch in den sozialen Netzwerken sehr diskutiert worden!
Schaal: Es ist in den sozialen Netzwerken diskutiert worden, ich habe mir das in der Vorbereitung noch mal angeschaut: Es gab so ungefähr 4.500 Posts, und es gab so ungefähr von allen Leuten, die getweetet haben, knapp 1,5 Millionen Follower. Das hat bei mir eine Frage wachgerufen, nämlich: Wann ist eigentlich so eine Geschichte tatsächlich relevant? Es gibt so 500, 600 Leute, die twittern über Merkel in diesem Kontext, wir unterhalten uns heute auch über die Frage, ob Merkel streichelt oder nicht. Ist das jetzt öffentlich relevant oder nicht?
Das ist hoch interessant, weil es natürlich auch eine Frage ist, welche Bedeutung hat Emotion im öffentlichen Raum und sind diese 500 Leute jetzt so was Ähnliches wie eine Meinungselite oder ist es das Gegenteil, weil wir glauben, Twitter ist so ein unglaublich demokratisches Medium, weil jeder sich beteiligen kann, was aber de facto nicht der Fall ist? Ich würde gerne bei diesem kleinen Mädchen bleiben und noch ein anderes Schlaglicht werfen, nämlich: Der Staat, auch der demokratische Staat hat ja lange ein Ziel gehabt, nämlich die Menschen in Sicherheit zu bringen. Das zeigt sich bei Debatten über Terrorismus oder Ähnliches.
Und Menschen haben typischerweise etwas Ähnliches wie eine diffuse Angst vor etwas. Und diffuse Ängste kann man nicht lösen. Man muss sie überführen in sozusagen eine konkrete Furcht vor etwas. Zum Beispiel: Die Bankenkrise wurde überführt in eine Furcht vor der Gier von Bankmanagern oder Hedgefonds-Managern. Genauso wie eine abstrakte andere Angst in etwas Konkretes überführt wird. Und das ist die Form von emotionaler Politik, die wir in den letzten Jahren andauernd erleben. Abstrakte Probleme werden quasi sicherheitstechnisch überführt in sehr konkrete Furcht vor etwas, und häufig in Bezug auf Personalisierung.
Und das haben wir auch bei Merkel erlebt: Es ging um eine Personalisierung, es ging um dieses kleine Mädchen, dessen konkretes Schicksal uns angesprochen hat. Und hier zeigt sich das, was ich vorhin sagte: Emotionen sind handlungsmotivierend. Es geht in den Social Media auf und ab, wir diskutieren darüber, aber die konkreten Probleme, die größeren, die dahinter stehen, werden so nicht adressiert.
Entemotionalisierte Reaktionen von Schäuble und Merkel in der Griechenlandkrise
Welty: Das heißt, Emotion ist womöglich ein Ablenkungsmanöver?
Schaal: Emotion kann ein Ablenkungsmanöver sein, aber Emotion kann auch etwas anderes sein, nämlich es kann die Möglichkeit sein, uns zu den Themen zu bringen, die uns wirklich interessieren sollten als Bürger. Wir gucken zu sehr auf die Politik und fragen, welche Emotion zeigen Politiker, und wir fragen zu wenig, welche Emotionen werden bei uns wachgerufen und auch welche Emotionen werden durch Politik wachgerufen? Schäuble gilt zum Beispiel als ein sehr kühler, rationaler Politiker und auch die Reaktionen von Merkel auf die Griechenland-Krise sind angeblich entemotionalisiert. Aber diese Kühle hat natürlich auch eine emotionale Dimension, nämlich es ist quasi sozusagen die Kühle, das Unemotionale, das scheinbar Distanzierte, das bei uns Gefühle von Solidarität kaum aufkommen lässt.
Stellen Sie sich einfach mal Merkel oder Schäuble vor, die an unsere Solidarität, an die humanitäre Katastrophe appellieren und nicht an Kredite und die Tatsache, dass wir Deutschen dann vermutlich irgendwie mehr Geld zu zahlen haben! Das wäre eine ganz andere Debatte und würde uns Bürger auch anders in die Politik einbringen. Und insofern hat Politik natürlich auch die Möglichkeit, über Emotionen Diskussionen in ganz andere Richtungen zu lenken!
Welty: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann beantworten Sie die Frage, die Sie eben aufgeworfen haben – nämlich die nach der Relevanz – eindeutig mit Ja!
Schaal: Ja! Emotionen sind relevant, Emotionen können sozusagen auch natürlich ablenkend sein. Aber vor allem sind sie eine Möglichkeit, einen Diskurs zu steuern, und zwar sehr implizit. Über die Frage, welche Emotionen angesprochen werden, und nicht über die Frage, worüber wir diskutieren. Sondern eher, wie wir darüber diskutieren!
Welty: Emotionen in der Politik, darüber habe ich mit Gary Schaal von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg gesprochen. Herzlichen Dank dafür, auch für dieses eindeutige Ja!
Schaal: Herzlichen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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