Geflügelte Worte

06.11.2009
Es waren immer die problematischen Epochen, in denen Schiller verstärkt rezipiert wurde. Angesichts des von Finanzdesaster, Reformstau, Überalterung und Terrorangst genährten Krisenempfindens sollte man also nicht zögern, zu Schiller – und zu diesem Hörbuch zu greifen.
"Am Körper war Schiller wie Kant ganz das Ebenbild seiner Mutter: langhalsig, rötlich behaart, sommersprossig, leberfleckig. Hatte er gerade keinen Tabak, so kitzelte er seine Geruchsnerven mit Staub. Kein Sinn für das Auserwählte, Erlesene. Im Sinnlichen ohne alles Feingefühl: Kratzende Weine, schlechter Schnupftabak, garstige Weiber."

Wahrheit und Legende bei einem Berühmten. Wer das aktuelle Schillerjubiläum unterm Kopfhörer begehen möchte, sollte sich das prägnante und lebendige Hör-Porträt von Norbert Oellers und Uwe Ebbinghaus gönnen. Vielfältigere Informationen zu Leben und Werk wird man in gut zwei Stunden nicht bekommen. Knapp, aber nicht trocken wird Schillers Lebensgeschichte erzählt, unter besonderer Berücksichtigung seiner Wirkung auf die Zeitgenossen. Die Stücke werden pointiert vorgestellt, ihr theoretischer und historischer Hintergrund mit Streiflichtern ausgeleuchtet.

Man spürt das solide Fundament: Oellers ist seit langen Jahren Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe. Umso bemerkenswerter, dass er nicht nur für Spezialisten, sondern für ein breites Publikum schreiben kann.

Höhepunkte aus Schillers Dramen in historischen Aufnahmen gewähren einen Einblick in die Inszenierungsgeschichte. Man hört große Stimmen wie Heinrich George, Gustaf Gründgens, Oskar Werner oder Paula Wessely. Hannes Messemer gibt der Rolle des Parvenus und Möchtegern-Revolutionärs Fiesko 1964 eine mephistophelische Note:

"Gewiss! Die Schande nimmt ab, je größer die Sünde wird. Es ist schimpflich, eine Börse zu leeren, es ist frech, eine Million zu veruntreuen, aber es ist namenlos groß, eine Krone zu stehlen."

Da nimmt Schiller beinahe schon Brechts kapitalismuskritisches Bonmot voraus, wonach der Einbruch in eine Bank nichts sei gegen die Gründung einer Bank. Das Freiheitsdrama "Wilhelm Tell" schließlich hatte soviel politische Sprengkraft, dass es von den Nazis verboten wurde. "Ausgerechnet Schiller musste diesen Schweizer Heckenschützen verherrlichen", meinte Hitler.

Der Tyrannenmörder Tell ist allerdings kein Revolutionär, sondern ein durch politische Willkür beschädigter Privatmann und Einzeltäter. Aufs Volk wollte Schiller nach den Schrecken der Französischen Revolution keine Karte setzen – ein Aspekt, den Oellers klug erörtert. Der "Tell" ist übrigens das Stück mit der höchsten Dichte an geflügelten Worten, was durchaus Spaß macht, vor allem, wenn Josef Bierbichler den Tell gibt:

Tell:"Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden."

Stauffacher: "Meint Ihr?"

Tell: "Die Schlange sticht nicht ungereizt."

Stauffacher:"Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden."

Tell: "Beim Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter."

Stauffacher: "So kalt verlasst Ihr die gemeine Sache?"

Tell: "Ein Jeder baut nur sicher auf sich selbst."

Stauffacher: "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig."

Tell: "Der Starke ist am Mächtigsten allein."

Oellers ist nicht jede Zeile des Dichters heilig. Aber er weiß eine Antwort auf die Frage, warum die "Räuber" ein gutes Stück sind, obwohl sie doch voller dramaturgischer und psychologischer Unmöglichkeiten stecken. Der Gang der Handlung mit seinen Schauereffekten erscheint sekundär – wichtig ist, was und wie gesprochen wird. Fünf Akte lang verschafft sich Schiller Gelegenheit, seine Ansichten über die Verkommenheit der Welt durch den Mund seiner destruktionslüsternen Figuren auszusprechen, in einer großartig bildkräftigen und verstandesscharfen Sprache.

Dem klischeehaften Freiheitspathos und manchen Vorurteilen – Schiller als "Moraltrompeter", wie Nietzsche lästerte – stellt Oellers den Geschichtspessimismus der Stücke gegenüber. Sie führten geradezu den Beweis, dass sich moralische Freiheit und politisches Handeln ausschließen. Nicht ohne Grund habe Hegel den "Wallenstein" als "Reich des Nichts und des Todes" bezeichnet.

Ein Kapitel für sich ist Schillers mythischer Ruhm und Nachruhm, den das Hörbuch mit einem Zitat Egon Friedells zu fassen sucht:

"Man polemisierte um ihn wie um einen Lebenden. Nie war man sich über ihn einig. Er war ein staatsgefährlicher Mensch und der Retter seines Volks. Er war der Kanon edelster Dichtkunst und das Muster roher Theatralik. Er war der Prediger der höchsten politischen und religiösen Ideale und der Vertreter einer inhaltlosen und abgelebten Ideenwelt. Und dies alles war er nicht etwa im läuternden Gang der Geschichte, sondern er war dies alles gleichzeitig, miteinander, gegeneinander, durcheinander – und ist es noch heute."

Noch heute? Tatsächlich waren es immer die problematischen Epochen, in denen Schiller verstärkt rezipiert wurde. Angesichts des von Finanzdesaster, Reformstau, Überalterung und Terrorangst genährten Krisenempfindens sollte man also nicht zögern, zu Schiller – und zu diesem Hörbuch zu greifen.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Uwe Ebbinghaus, Norbert Oellers: Schiller. Höhepunkte aus Leben, Werk und Wirkung
Mit historischen Aufnahmen
Hörbuch Hamburg 2009
2 CDs, 174 Minuten, 14,95 Euro