Geflüchtete in Bosnien

Am Nadelöhr der Balkanroute

30:15 Minuten
Ein Flüchtling an der bosnisch-kroatischen Grenze sitzt in einem abbruchreifen Haus in einem kalten Zimmer, umgeben von vielen Schlafsäcken.
Gewalt, Hoffnungslosigkeit und elende Lebensverhältnisse: Die Lage der Flüchtlinge an der bosnisch-kroatischen Grenze ist dramatisch. © Deutschlandradio / Paul Welch Guerra
Von Paul Welch Guerra · 13.05.2021
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In der Nähe der bosnischen Grenzstadt Velika Kladuša kampieren Hunderte Geflüchtete. Sie möchten von dort in die EU gelangen. Den meisten gelingt dies nicht. Bei den Migranten wachsen Wut und Verzweiflung, bei vielen Anwohnern auch.
Es ist der 3. April, ich liege auf meinem Sofa zu Hause in Berlin. Vor mir auf dem Bildschirm ein Video. Es zeigt einen Mann, der flieht. Er rennt, er schlägt Haken. Eine größere Gruppe verfolgt ihn. Einer der Verfolger schießt. Die Szene stammt von einer Überwachungskamera und spielt sich in Nordbosnien ab, sechs Kilometer vor der kroatischen Grenze.
Noch vor Kurzem war ich genau dort: in Velika Kladuša, einer kleinen bosnischen Stadt mit 40.000 Einwohnern, die zum Nadelöhr der Balkanroute geworden ist. Geflüchtete aus Afghanistan, Pakistan, Irak und anderen Ländern stecken hier fest. Sie sind verzweifelt. Aber auch die lokale Bevölkerung ist verzweifelt. Jetzt ist die Lage eskaliert.

Hilfsorganisation hinter Rüschengardinen

Anfang Februar, etwa zwei Monate vor diesem Zwischenfall, haben mich bei meiner Ankunft Fabrikruinen am Straßenrand empfangen. Velika Kladuša war vor dem Bosnienkrieg eine prosperierende Industriestadt.
Ich habe zuerst die deutsche NGO "Blindspots" besucht. Die Organisation hilft denjenigen, die in Abrisshäusern und Zelten in den Wäldern rund um die Stadt leben. Sie hat sich in ein unauffälliges Einfamilienhaus eingemietet, beige, mit Rüschengardinen, wie sie zu Hunderten das Stadtbild prägen. NGOs wie Blindspots sind bei vielen hier unbeliebt. In der Stadt wird behauptet, dass solche Hilfe die Geflüchtete anlockt. Ein Vorwurf, der angesichts der geografischen Lage an der Grenze abwegig wirkt. Laura koordiniert die Arbeit der Freiwilligen.

"Wir versuchen uns möglichst unauffällig zu verhalten, sind in kleineren Gruppen unterwegs, wenn wir Sachen erledigen oder Holz ausliefern, und versuchen immer genau herauszufinden, wie ist die Situation in jedem Squad, also jeder Unterkunft von Schutzsuchenden, um einschätzen zu können, wo muss man wie vorsichtig sein."
Am nächsten Tag begleite ich die Tour zusammen mit einigen Freiwilligen, die alle praktische Erfahrungen im Umgang mit Stichsäge und Akkuschrauber haben. Wir fahren zu einer Ruine, in der pakistanische Geflüchtete wohnen.
Über eine Ausfallstraße erreichen wir die Peripherie von Velika Kladuša. Vor gerade einmal 25 Jahren war hier noch Krieg. Daran erinnern Einschusslöcher in vielen Häusern. Überall sieht man kleine Gruppen von Menschen die Straßen entlanglaufen, viele von ihnen in Badelatschen und mit Plastiktüten in der Hand. Die Temperatur: knapp über Null.
Warum laufen hier alle, frage ich Pina. "Weil es die Regelung gibt, dass Personen, die als Migranten zu erkennen sind, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen dürfen und dementsprechend gezwungen sind, immer zu laufen", erklärt sie

Misshandlung und Diebstahl an der kroatischen Grenze

Über einen matschigen Feldweg erreichen wir eine kleine Ruine ohne Fenster und Türen, rundum Felder. Jeder Schritt endet zwangsläufig in einer Schlammpfütze. Überall liegt Müll auf dem Boden. Acht junge Männer warten in bitterer Kälte. Gemeinsam will man heute einen Schneeschutz bauen.
Die Ruine besteht aus drei Räumen. Wo früher Türen waren, hängen jetzt Planen. Ein kleiner Holzofen wärmt den mittleren Raum und dient als Kochstelle. Eine dicke Schicht schwarzer Ruß bedeckt die Wände über dem Ofen.
In einer Baupause komme ich mit Ahmed, 28 Jahre alt, ins Gespräch. Vor sechs Jahren hat er Pakistan verlassen, er will nach Italien. Seit einem Jahr sitzt er in Bosnien fest. Er kommt schnell zur Sache und zeigt auf die offensichtlich gebrochene Nase von seinem Freund Jabal, der neben ihm steht.
"Manchmal verprügeln sie dich, manchmal nicht", sagt er. "Wenn sie dich abschieben, nehmen sie dir alles weg: Handy, Sachen, deine Kleidung. Manchmal schieben sie dich in Unterwäsche ab."
Die kroatische Polizei, so erzählt Ahmed, misshandelt diejenigen, die sie an der Grenze schnappen. Sie schlägt und sie stiehlt. Sie sind gestern erst vom sogenannten "Game" wiedergekommen – so nennen sie den Versuch, die EU-Grenze zu überwinden. Jabal erzählt, wie er von der kroatischen Polizei verprügelt wurde und ihm alles, was er hatte, weggenommen wurde:
"Es ist okay, wenn sie mich stoppen. Kein Problem, es ist in Ordnung. Sie stoppen mich, weil es ihr Recht ist und sie im Dienst sind. Aber warum schlagen sie uns und nehmen uns alles weg? Das fragen wir uns. Warum? Sag es uns."
Ich kann es ihm nicht sagen. Jabal ist 25 und hat eine Frau und ein Kind in Pakistan. 23 vergebliche Versuche zählt er. Die sogenannten "Pushbacks", wie die informellen Abschiebungen heißen, von denen die beiden erzählen, verstoßen gegen das Völker- und EU-Recht – auch ohne Misshandlungen und Diebstähle. Dieses sieht vor, dass Schutzsuchende das Recht auf Asylanträge und faire Verfahren haben.

"Wir sind am Ende unserer Kräfte"

Von den Behörden erhofft sich Ahmed keine Unterstützung, aber ohne die Freiwilligen wäre das Überleben hier draußen undenkbar. Das Regendach ist fertig, wir fahren zurück. Wir halten an einem Parkplatz vor einem Supermarkt: "Migrants are forbidden to enter" steht auf einem großen Schild an der Eingangstür. Ahmed und Jabal versuchen seit mehr als einem Jahr vergeblich, einen Ort zu verlassen, der sie nicht will und den sie nicht wollen. Ein Ort, an dem sie den Supermarkt nicht betreten und mit dem Bus nicht fahren dürfen.
An einer Glastür zu einem Supermarkt ist ein Schild angebracht, auf dem steht "Migrants are forbidden to enter" - Migranten dürfen hier nicht hinein.
Im Supermarkt unerwünscht - und Bus fahren dürfen Migranten in der Stadt auch nicht.© Deutschlandradio / Paul Welch Guerra
Dabei hat Velika Kladuša auch ein ganz anderes Gesicht. Im Zentrum stehen cremefarbige, zweistöckige Häuser. Ein gepflegter Park im Stadtkern. Auf einem dicht bewaldeten Berg thront eine Burg, ein beliebtes Ausflugsziel. Eine Moschee mit ihrem Minarett steht an der wichtigsten Kreuzung. Davor ein weißes, rundes Kriegsdenkmal mit den Namen von Hunderten Soldaten der bosnischen Armee – alle gefallen zwischen 1992 und 1995.
Ich frühstücke in einem kleinen, unscheinbaren Café in der Nähe. Folien mit übergroßen Bildern von Eisbechern, Pizzas und Hotdogs kleben an den Wänden, der Geruch von Frittierfett liegt schwer in der Luft. An den Tischen sitzen kleine Gruppen von Männern, viele von ihnen stundenlang, ohne irgendetwas zu konsumieren.
Elvir, Mitte 20, begrüßt mich mit einem breiten Lächeln. Auf dem Weg in die Küche scherzt er in einer Mischung aus englisch und arabisch mit einigen Gästen. Das kleine Café und die dahinterliegende Herberge ist ein Familienbetrieb. Nebenbei studiert er Zahnmedizin.
"Ich, mein Bruder, meine Mutter und mein Vater, wir wollen einen guten Service bieten, für alle. Unser wichtigstes Motto ist, dass unsere Tür offen ist für alle guten Menschen und vor allem schutzlosen Menschen."

"Wir können das nicht mehr sehen"

Elvir erzählt, wie Velika Kladuša vor vier Jahren zum Nadelöhr der Balkanroute wurde und die anfangs sehr positive Stimmung gegenüber den Migranten langsam gekippt ist:
"Wir behandeln die Migranten in Velika Kladuša, so gut wir können. Aber jetzt, nach drei, vier Jahren sind wir am Ende unserer Kräfte. Tagsüber siehst du Menschen, die brutal gepushbacked wurden, die Atmosphäre in der Stadt ist sehr angespannt. Du weißt ja nicht, was du von Menschen erwarten kannst, die immer wieder gedemütigt und ausgeraubt werden und die eigentlich alles verloren haben. Täglich kommen neue und die lokale Bevölkerung bleibt immer am gleichen Ort und kriegt diese negative Energie ab. Wir halten es nicht mehr aus, frierende Menschen auf der Straße zu sehen, Menschen ohne Schuhe, Menschen, die bluten. Wir können das nicht mehr sehen. Das lässt sich nicht in einem Interview beschreiben. Was hier passiert, das lässt sich mit keinem Vokabular der Welt beschreiben."
Immer wieder entlädt sich diese Spannung auf der Straße in gewaltvollen und teils bewaffneten Konflikten zwischen Geflüchteten. Allein im Januar und Februar dieses Jahrs kam es hier zu drei Messerstechereien mit Schwerverletzten. Was bedeutet das für eine Stadt mit noch frischen Kriegserinnerungen? Elvir ist mitten im Krieg geboren, er erinnert ihn nur aus Geschichten. Doch die Folgen spürt er hier immer noch.
"Die Leute haben auf jeden Fall Wunden und Narben, die Zeit zum Heilen bräuchten, und dann geraten sie in so eine Situation. Die Leute haben definitiv Angst, dass hier etwas kollabiert."
Mit seiner Familie versucht er trotz der schwierigen Lage, den Durchreisenden einen Raum zu bieten, in dem sie wie Menschen behandelt werden: "Wir sind definitiv der sichere Ort für Migranten hier und versuchen, so gut es geht, das zu bleiben."

Im EU-Camp fehlt nicht das Geld, sondern der Wille

Das Flüchtlingscamp Miral, das von der IOM betrieben wird und völlig überfüllt ist, liegt ganz in der Nähe. Regelmäßig versammelt sich hier die Lokalbevölkerung und demonstriert gegen das Camp, fordert, das Camp zu schließen. Ich treffe hier Mite Cilkovski, den Direktor des Camps. Er hat mich schon vorgewarnt, dass wir das Camp wegen der Corona-Auflagen nicht betreten können. Also gehen wir in sein Büro.
"Miral ist das einzige Camp in Velika Kladuša. Wir bräuchten mehr, weil die Kapazität bei 700 Menschen liegt und hier heute 1063 Menschen schlafen. In der Stadt gibt es momentan insgesamt etwa 1500 Migranten, wir liegen also 60 Prozent über unseren Kapazitäten. Und viele Migranten schlafen in improvisierten Camps und Ruinen an den Rändern der Stadt."
Das Camp ist ausschließlich für alleinreisende Männer eingerichtet. Für die täglich neu in der Stadt Ankommenden gibt es hier keinen Platz mehr. Doch da kein Camp näher an der Grenze liegt als Miral, setzt die kroatische Polizei bei ihren Pushbacks immer wieder Verletzte hier in der Nähe aus. Für sie macht Cilkovski eine Ausnahme:
"Camp Miral war Zeuge von sehr schweren Pushbacks. In letzter Zeit ist es ruhiger aufgrund der Wetterbedingungen, aber vor zwei Monaten hatten wir an einem Tag 60 oder 70 Fälle vor der Tür. Für die wirklich Verletzten bieten wir medizinische Versorgung und sogar einen Schlafplatz, wenn die Behandlung länger dauert."
Etwa 20 bis 30 Prozent der Pushbacks gehen seiner Schätzung nach mit sehr schweren Verletzungen einher. Die IOM, so Cilkovski, melde jeden dieser Fälle mit Fotos an die bosnischen Behörden. Alles andere stehe außerhalb ihrer Macht.
Die UN-Migrationsagentur hat seit 2017 fast 77 Millionen Euro von der EU für ihren Einsatz in Bosnien bekommen. Warum gelingt es nicht, zumindest genügend Unterkünfte zur Verfügung zu stellen?
"Geld ist nicht das Problem. Die Europäische Union ist der Hauptgeldgeber und Geld war noch nie ein Problem."
Das Problem sieht Cilkovski bei den lokalen Behörden, die sich weigern, Grundstücke für neue Camps zur Verfügung zu stellen. Niemand will neue Camps, schon gar nicht die örtliche Bevölkerung.

Wer hilft, lebt gefährlich

Am Nachmittag fahre ich mit Luna von der NGO Blindspots zu einem jungen bosnischen Paar. Die beiden verteilen regelmäßig auf eigene Faust Essen und Sachspenden an die Gestrandeten. Sie fürchten Anfeindungen von Nachbarn und sollen hier deshalb Amir und Hatice heißen. Die beiden haben sich bei der NGO gemeldet, nachdem sie beim Spendenverteilen von bewaffneten Männern überfallen worden waren.
Amir und Hatice leben mit ihren beiden Söhnen in einem Einfamilienhaus im Grünen, nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Hatice arbeitet als Pflegerin. Amir ist Bauarbeiter. Sie erzählen:
"Vor zwei Jahren haben wir eine Familie in Gliniza kennengelernt. Sie wollte mit dem Auto mitgenommen werden. Sie haben unsere Telefonnummer bekommen und so sind wir in Kontakt geblieben. Dann haben sie sich jeden Tag gemeldet und gefragt, ob wir ihnen Essen oder andere Sachen geben können. So hat alles begonnen."
Schnell wurden es dann immer mehr Familien, die auf Hilfe angewiesen waren. Die beiden haben begonnen, andere Nachbarn in das Sammeln und Verteilen von Spenden einzubeziehen. Doch im Sommer eskaliert dann erstmals die Situation: Eine Gruppe von bosnischen Männern greift mehrfach jugendliche Migranten an, die sich mit Erlaubnis des Besitzers in einem verlassenen Haus im Nachbardorf niedergelassen hatten.
"Die Probleme fingen an, als die Einheimischen auf sie losgegangen sind. Dann habe ich mit anderen Organisationen Kontakt aufgenommen. Ich wollte, dass die Welt davon erfährt. Auch die Polizei haben wir jede Nacht angerufen und gesagt, dass sie verprügelt werden. Sie haben ihnen Arme und Beine gebrochen."
Eine Flüchtlingsgruppe an der bosnisch-kroatischen Grenze.
Traumziel EU: An der bosnisch-kroatischen Grenze sind viele Flüchtlinge und Migranten gestrandet.© Deutschlandradio / Paul Welch Guerra
Dann gab es einen Brandanschlag auf das Haus, in dem die Jugendlichen untergekommen waren. Festgenommen hat die Polizei trotz der Anzeigen bisher niemanden. Vor vier Tagen richtete sich die Gewalt das erste Mal gegen die Helferinnen und Helfer selbst. Es kommt zu einer körperlichen Auseinandersetzung und Schlägen. Dann gelingt es Amir und Hatice mit ihrem Kind im Auto zu fliehen. Die beiden Täter verfolgen sie mehrere Kilometer.
"Sie wollten uns vertreiben, dass wir auf keinen Fall zurückkehren. Aber wir machen weiter, wir waren gleich am nächsten Tag wieder dort. Nur jetzt nehmen wir die Kinder nicht mehr mit."
Was treibt sie an, weiter dieses Risiko einzugehen, will ich von Amir wissen.
"Ich habe früh meinen Vater im Krieg verloren. Ich bin ohne ihn aufgewachsen, meine Mutter war weit weg. Ich kenne das Leid."
Ein Moment der Stille nimmt sich Raum. Dann lacht Hatice die Beklemmung weg.

Kriegserinnerungen lösen bei vielen Ängste aus

Amir und Hatice ziehen aus ihren Kriegserinnerungen andere Schlüsse als manche Nachbarn. Sie können das Leid nachvollziehen und solidarisieren sich. Bei anderen lösen die Erinnerungen Ängste davor aus, wieder zurückzufallen in ähnliche Zustände.
Zurück im Zentrum von Velika Kladuša, besuche ich wieder das Café von Elvir. Doch die Stimmung ist heute anders als gestern. Elvir wirkt angespannt. Ihn hat die Nachricht erreicht, dass ein junger Kurde, der gestern noch bei ihm im Café saß, beim Versuch, die Grenze zu überqueren, vermutlich im Fluss ertrunken ist.
"Wenn du mit den Menschen hier isst, hörst du viele Geschichten. Jeder hat eine traurige Geschichte zu erzählen. Aber der Junge von gestern, den kenne ich. Er war jung, gerade mal 20 und voll mit Leben, voll mit Träumen und voll mit Dingen, die er noch tun wollte. Und er hat diesen Weg gewählt, um ein besseres Leben zu haben und seinen Bruder zu finden."
Die Situation an der nahegelegenen Grenze ist brutal – nicht nur, aber besonders wegen der kroatischen Polizei. Die Gewalt und Verzweiflung, die gerade einmal sechs Kilometer entfernt von Velika Kladuša das Leben beherrschen, schlagen mit voller Wucht zurück in die kleine Stadt und prägen das Zusammenleben.

Von der EU und der bosnischen Regierung im Stich gelassen

Die Leitragenden sind alle: die Menschen auf der Flucht. Aber auch Menschen wie Elvir, Amir und Hatice, die versuchen eine Verbindung mit den Migranten aufzubauen. Doch Elvir malt nicht schwarz-weiß, er kann auch Verständnis für diejenigen aufbringen, die gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Velika Kladuša protestieren.
"Wir haben so viele Stresssituationen, so viele Spannungen. Da sind die frustrierten Migranten, die gerade einen Pushback erlebt haben, dann die frustrierten Anwohnerinnen und Anwohner, die auf ihrem Feld etwas anbauen und dann kommen hungrige Migranten und essen alle Kartoffeln auf. Ich kann dem Anwohner nichts vorwerfen, bei dem die Kartoffeln für das ganze Jahr reichen müssen. Aber den Migranten, die Hunger haben, kann ich auch nichts vorwerfen. Du kannst dich auf keine Seite stellen, das System ist es, das falsch ist."
Elvir fühlt sich allein gelassen von allen: von den NGOs, die viel reden und zu wenig tun. Von der Presse, die kurz kommt, Fotos macht, aber nicht zuhört. Von der Politik, und vor allem von Europa.
"Wenn du versuchst mit dem Finger auf Verantwortliche zu zeigen, brauchst du definitiv mehr als zwei Hände. Das ist doch ein globales Problem und die Gemeinden von Velika Kladuša, Bihac und anderen Städten sind definitiv im Stich gelassen worden. Von der Europäischen Union und definitiv auch von unserer Regierung. Wir sind uns selbst überlassen."
Ich verabschiede mich von Elvir. Am nächsten Morgen ist es für mich Zeit, Velika Kladuša Richtung Berlin zu verlassen. Mit meinem deutschen Reisepass überquere ich die Grenze nach Kroatien. Es dauert keine fünf Minuten.
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