Gefangene im (N)Irgendwo

Von Jörn Florian Fuchs · 08.11.2009
Der rührige Frank Castorf erwiderte einmal auf den Vorwurf des exzessiven Selbstzitierens, seine Stilmittel seien nun mal Teil einer dialektischen Methode, die man prinzipiell auf jedes Werk anwenden könne. Und solange es noch Stücke gebe, die noch nicht der Castorf’schen Dekonstruktion unterzogen beziehungsweise unterworfen seien, gelte es eben weiterzumachen.
So wie der Volksbühnenkönig Frank Castorf, verwendet auch der Katalane Bieito in nahezu allen Inszenierungen die immer selben und immer gleichen Elemente: Körpertheater, drastische Bilder, Gewaltorgien, eine ordentliche Prise Pornographie, und dann ein paar wenige, ruhigere Bilder als Kontrast.

Leoš Janáčeks Gefangenenoper "Aus einem Totenhaus" bietet sich geradezu an für eine regietheatrale Schlachtplatte à la Bieito und doch gibt sich der Katalane in Basel erstaunlich handzahm. Janáčeks seelisch wie körperlich an den Abgrund geführte Protagonisten versetzt Bieito in einen düsteren, von Wellblechwänden umgebenen Raum. Man hockt beieinander auf Autoreifen, beobachtet und schikaniert vom Wachpersonal. Auch unter den Insassen gibt es Konflikte, es bilden sich Machtstrukturen heraus, neue Freundschaften und neue Feindseligkeiten entstehen. 100 Minuten lang finden an diesem nicht verortbaren Ort die Sehnsuchtsgesänge der Gemarterten statt, man sieht ein paar kurze Folterszenen, viel wird herumgelaufen und die Pantomime, das Stück im Stück, besitzt reichlich grotesken Humor, besonders auffällig sind dabei einige riesige Gummigenitalien. Auf dem Höhepunkt der Party kippt das Geschehen jedoch um und es gibt eine – erfreulicherweise – eher angedeutete Vergewaltigung.

Eigentlich kommt im Stück ja auch ein verletzter Adler vor, den die Gefangenen ebenso necken wie bewundern und später freilassen. Bieito setzt an die Stelle des Vogels ein Flugzeug, das vom Bühnenhimmel herabschwebt und am Ende ebendort wieder verschwindet. Der Metallvogel fügt sich nicht wirklich logisch ins szenische Geschehen, er ist eher ein Requisit, das als Schlaf- und Beobachtungsstätte der Wachen dient. Warum nun gerade ein Flugzeug zum Einsatz kommt, das im Übrigen natürlich flügellahm ist und an den starken Seilen des Schnürbodens hängt, das erklären uns weder Inszenierung noch Programmheft. Wäre es nicht eine alte Propellermaschine, so könnte man eine Verortung des Geschehens im Hier und Heute vermuten, durch diese nicht gerade tollkühne Kiste entsteht allerdings eine reichlich museale Atmosphäre. Das Ende des Ganzen ist noch trister als bei Janáček, auch der freigelassene Petrowitsch bleibt als zitterndes Menschlein im Lager, während sich der Blechflieger in die Bühnenlüfte erhebt.

Im Graben sorgte Gabriel Feltz für große Klarheit und einen ausgewogen dahineilenden Klangfluss, hervorragend gelang ihm das Ausbalancieren zwischen Volksliedton, manchmal fast aggressiv wirkendem Klagegesang und kirchentonal-liturgischen Elementen. Auch die Abstimmung mit den Sängern war exemplarisch, aus dem sehr guten Ensemble ragten vor allem Fabio Trümpy und Eung Kwang Lee heraus.