Gefangen hinter der unsichtbaren Mauer

Julian Roman Pölsler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.10.2012
In den 70er-Jahren wurde der Roman "Die Wand" von Marlen Haushofer zum Kultbuch des feministischen Aufbruchs. Jetzt hat ihn Julius Roman Pölsler verfilmt. Die Geschichte einer in den Bergen auf sich allein gestellten Frau habe ihn sofort begeistert, sagt er.
Liane von Billerbeck: Die Heldin in dem Film "Die Wand" nach Marlen Haushofers Roman - und mit dem Regisseur des Films sind wir jetzt verabredet, mit Julian Roman Pölsler. Ich grüße Sie!

Julian Roman Pölsler: Grüß Gott!

von Billerbeck: Eine Frau aus der Stadt, durch ein unerwartetes Ereignis, nämlich die Wand, völlig auf sich gestellt, allein in den Bergen. Was hat Sie an dieser Konstellation so gereizt?

Pölsler: Na ja, mich hat da mehreres sehr gereizt, zum einen habe ich diesen Roman vor 25 Jahren gelesen, war von dieser Konstellation im Roman sofort begeistert und dachte mir - der ideale Filmstoff, und zum Zweiten komme ich selbst, ich würde sagen, aus dem Wald. Ich bin auf einem Bergbauernhof groß geworden, meine Familie und unsere Tiere, wir haben sehr isoliert gelebt, umgeben von riesigem Wald, und für mich ist der Wald einfach der bevorzugte Lebensraum gewesen und geblieben.

von Billerbeck: Trotzdem hat es ja sehr lange gedauert, bis Sie wussten, ich mache das, und bis Sie den Film auch machen konnten. Was waren die Schwierigkeiten auf diesem Weg?

Pölsler: Also ich habe sofort gewusst, dass ich ihn machen will und werde, nur die anderen davon zu überzeugen, war nicht so einfach, weil zum einen galt ja der Roman als unverfilmbar, ...

von Billerbeck: Habe ich nicht verstanden. Erklären Sie mir mal, woran das liegt. Es ist ja eigentlich eine tolle Konstellation.

Pölsler: Ja, aber ich glaube, das lag daran, dass man sich nicht vorstellen konnte, wie man denn das Phänomen der Wand im Film darstellen kann. Und mir war sehr schnell klar, dass es hier nicht um eine physische Wand geht, sondern eher um diese Wände, die in uns sind, die wir selbst errichten, wenn wir nicht bereit sind, uns zu wandeln, uns zu verwandeln, und in diesem Wort kommt ja auch der Titel "Wand" vor. Die Schwierigkeiten waren auch, dass ich unbedingt original drehen wollte, ich wollte nichts im Studio drehen, und ich wollte alle vier Jahreszeiten im Film haben und alle Tages- und Nachtzeiten. Das hat bedingt, dass wir 14 Monate drehen mussten. Das hat natürlich bei einigen, sowohl bei den Sponsoren als auch bei den Produzenten, zu großer Skepsis geführt.

von Billerbeck: Die Geschichte von einer Frau allein mit Tieren, der Natur ausgeliefert und sich selbst vor allem - so eine Geschichte birgt ja viele Deutungsmöglichkeiten, das war ja schon nach dem Erscheinen und den Diskussionen von Marlen Haushofers Roman so. Die Wand kann das Abbild einer Depression sein, also da ist eine Wand zwischen mir und der Welt, das kann ein Krieg sein, die anderen sind tot, ich bin der letzte Mensch auf Erden, und es ist so eine Art weibliche Robinsonade auch, eine Frau, "hilflos", die lernt, sich allein durchzuschlagen, ja, fast zur Kriegerin wird sie. Wie haben Sie denn diesen Haushofer'schen Roman gelesen und verstanden?

Pölsler: Ja, also ich muss sagen, dass in den 25 Jahren, in denen ich mich damit beschäftigt habe, sich die Interpretation des Öfteren gewandelt hat. Das, was immer gleich geblieben ist, war das Thema, wie ich vorhin schon sagte, der Wandlung und Verwandlung. Ich glaube, dass diese Frau einfach durch diese unerklärte Katastrophe gezwungen ist, sich zu verwandeln, und ich glaube, dass alle Menschen, wir alle immer wieder gezwungen werden, uns einer Wandlung zu unterziehen. Und wenn wir das nicht tun, werden wir vielleicht eines Tages aufwachen und feststellen, dass wir von den anderen getrennt sind.

Ich habe das auch gelesen, was Sie eben aufgezählt haben, sowohl die Robinsonade als auch dieses Kriegsthema als auch der feministische Aspekt, das ist natürlich völlig richtig. Es wird ja nicht am Ende zufällig alle männliche Energie ausgelöscht, es stirbt ja der Mann, der Hund, der Stier, und die weibliche Energie bleibt über, die Frau, die Kuh, die Katze.

Aber ich erlebe jetzt bei den Festivals - ich fahre ja gerade rund um die Welt zu den Festivals mit den Film und der wird überall sehr begeistert aufgenommen -, und ich erfahre dann immer wieder neue Interpretationen, und ich sage dann immer im Publikumsgespräch nachher: Ah ja, sehr interessant. Und die Leute sind dann immer sehr erstaunt und sagen, aber das ist doch in Ihrem Film? Und dann sage ich, ja - auch. Und das Interessante ist, dass 90 Prozent aller dieser Fragesteller Frauen sind. Und der Film war ja in Leipzig bei der Filmkunstmesse Eröffnungsfilm, und am nächsten Tag ist eine Frau auf mich zugekommen im Kinofoyer und hat gesagt: Ihr Film und Sie haben mir eine schlaflose Nacht bereitet. Dann habe ich gesagt, ja, das war Absicht.

von Billerbeck: Bei mir hat es auch geklappt, ich bin als erstes nach den Film zu meinem Bücherregal und habe das Buch rausgezogen, habe gesagt, musst du wieder lesen. Aber was mich wirklich verstört hat - und das ist mir damals beim ersten Lesen auch so gegangen -, das ist ja, wie schnell die Frau zu akzeptieren scheint, dass da die Wand ist, dass sie eben keiner holt, keiner rettet. Hat Sie das nicht auch irgendwie irritiert?

Pölsler: Nein, also ich merke jetzt bei den Rezensionen und bei den Kritiken, dass viele das als Manko ansehen, warum sie sich so schnell in ihr Schicksal fügt. Ich glaube, sie sagt das ja - sie sagt ja, als sie über ihre Situation reflektiert, sagt sie: Ich könnte Selbstmord begehen oder mich unter der Wand durchgraben, was wahrscheinlich nur eine langsamere und mühevollere Art des Selbstmords wäre. Denn sie erkennt sehr schnell, dass jenseits dieser Wand alles Leben erstarrt ist und dass da draußen oder drüben, da hinten, hinter dieser Wand nur der Tod wartet.

von Billerbeck: In Ihrem Film ist ja die Hauptperson auch zurückgeworfen auf das ganz Existenzielle, und das ist natürlich, wenn man völlig allein lebt, abgesehen von den Tieren, lebt man ohne fremde Spiegelung durch andere Menschen. Welche Antwort bekommt man dann plötzlich auf die Frage: Wer bin ich?

Pölsler: Ja, das sagt Haushofer auch sehr schön in ihrem Roman, sie sagt, wer bin ich, wie sehe ich aus? Dieses Aussehen, das Äußerliche ist plötzlich nicht mehr wichtig, weil ihre Tiere erkennen sie am Geruch und nicht an dem, wie sie aussieht. Das Entscheidende ist: Wie geht sie mit ihrem inneren Aussehen um? Und da wird sie durch diese Katastrophe gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Ich glaube ohnehin, dass dieser Roman bei all der Düsternis und Dunkelheit, die darin vorkommt, ein sehr helles, lichtes Ende hat, denn sie verneint nicht nur den Selbstmord, sondern sie sagt am Ende ja auch, nach der großen Katastrophe, dass sie weitersieht jetzt und dass sie weiß, dass dies noch nicht das Ende ist. Etwas Neues wartet auf sie. Und das ist für mich etwas sehr Tröstliches.

von Billerbeck: Julian Roman Pölsler ist mein Gesprächspartner, der Regisseur des Films "Die Wand", gedreht nach dem Roman von Marlen Haushofer. Das ist ja eine sehr universelle und gleichzeitig eine sehr reduzierte Geschichte, reduziert auch auf eine Figur, auch auf eine Schauspielerin. Sie haben Ihre Hauptfigur mit Martina Gedeck besetzt. Wie haben Sie denn Ihre Hauptdarstellerin auf diese Situation vorbereitet? Also es ist ja das Außen, was gespielt werden muss, und vor allem aber das Innen, das auch gezeigt werden soll.

Pölsler: Nun, mir war klar, dass es hier nicht vieler Worte bedarf oder bedürfen darf. Es geht ja hauptsächlich um Wortloses, Frau Gedeck hat ja keinen einzigen Dialogsatz in dem Film. Die spricht ja außer auf dem Off nichts. Und da war mir klar, dass ich beim Arbeiten mit ihr auch in so eine wortlose Kommunikation kommen muss, und das ist dann auch sehr schnell gelungen. Wir haben uns nur durch Blicke verständigt, und ich kann sagen: Das funktionierte auch, besser vielleicht sogar als etwas, das man ohnehin nicht mit Worten ausdrücken kann.

von Billerbeck: Sie haben in Oberösterreich gedreht, das ist ja die Heimat von Marlen Haushofer, im Dachsteinmassiv. Sie selbst, Sie haben es geschildert, kommen auch aus den Bergen, von einem Berghof. Hat dieses Drehen und, ja, das Leben in dieser Gegend Ihr Verhältnis zur Natur, zu den Bergen noch mal verändert?

Pölsler: Verändert nicht, es hat mein Verhältnis bestätigt. Ich komme ja aus der Steiermark und ein großer steirischer Dichter ist Peter Rosegger, der hat gesagt am Ende seines Lebens: Ich bin zeitlebens ein Waldmensch geblieben. Und dieser Satz gilt auch für mich. Wenn es eine Heimat gibt, dann ist es für mich der Wald, wo immer der auch steht.

von Billerbeck: Das sagt Julian Roman Pölsler, der Regisseur von "Die Wand", dem Film, den er nach Marlen Haushofers Roman gedreht hat. Ab kommender Woche, ab 11. Oktober, läuft er in den Kinos. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Pölsler: Ich danke ebenso!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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