Gefährliches Doppelleben

20.09.2010
Halb fiktional, halb dokumentarisch erzählt die deutsch-türkische Autorin Güner Yasemin Balci in "Arab Queen" das absurde Leben einer 16-Jährigen zwischen zwei Kulturen im Berliner Bezirk Wedding. Ein exemplarischer Roman, der die aktuelle Debatte literarisch und humorvoll bereichert.
Die Autorin weiß, wovon sie erzählt: Die deutsch-türkische Journalistin und Filmemacherin Güner Yasemin Balci wurde vor 35 Jahren in Deutschland geboren und wuchs in Neukölln auf, jenem Berliner Stadtteil, der als exemplarisches Gebiet der Integrationsprobleme türkischer und arabischer Immigranten gilt und in der aktuellen Debatte um Thilo Sarrazins Streitschrift "Deutschland schafft sich ab" immer wieder genannt wird.

Güner Balci studierte Erziehungs- und Literaturwissenschaft, war Redakteurin beim ZDF, arbeitete in mehreren Neuköllner Jugendprojekten mit, unter anderem in einem Projekt für türkische Mädchen. Mariam, die sechzehnjährige weibliche Hauptfigur des halb fiktionalen, halb dokumentarischen Romans "Arab Queen oder der Geschmack der Freiheit" von Güner Balci könnte die Besucherin eines solchen Mädchentreffs sein.

Mariam lebt im Wedding, sie ist die Tochter einer sehr traditionellen türkischen Familie und eines tyrannischen Vaters, der seine Frau und seine heranwachsenden Kinder buchstäblich nach Lust und Laune schlägt, ihnen jede Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verbietet. Mariam richtet sich in einem gefährlichen Doppelleben ein, das von beständigen Lügen getragen wird: Jeder heimliche Schwimmbad- oder Kinobesuch, jedes heimliche Zusammensein mit ihrer deutschen Freundin Lena muss sie vor ihren Eltern geheim halten und mit großem Aufwand vorausplanen.

Balcis Roman zeigt den nahezu absurd großen Abstand, der zwischen den Welten der türkischen Familie Mariams und der deutschen Familie Lenas liegt, die äußerlich in der gleichen Straße leben, innerlich aber in weit entfernten Epochen und Kulturen. Der Roman zeigt auch, wie die tägliche Zerreißprobe Mariam verletzt und verhärtet, der Blick der Erzählerin schont sie nicht. Er nimmt die Grobheit wahr, die sich das türkische Mädchen zum Schutz zulegt, und die Naivität, aus der ihre deutsche Freundin im Lauf des Romans erwacht. Denn Lena sieht ohnmächtig zu, wie Mariams Situation eskaliert: Wie alle türkischen Mädchen und Frauen um sie herum, soll Mariam an einen jungen Mann verheiratet werden, den sie kaum kennt. Ein Skandal, der sich in der Realität tatsächlich dutzendfach in Deutschland ereignet.

In der literarischen Erzählung gelingt Mariam, was in der Realität nicht so häufig gelingen dürfte. Sie lehnt sich gegen die Familie auf und flieht. "Arab Queen oder der Geschmack der Freiheit" ist ein Roman mit ausgeprägt soziologischen und leicht pädagogischen Zügen. Ein literarisches Lehrstück, das seiner Intention nach an die Poetik Bertolt Brechts erinnert. Die Charaktere sind exemplarisch, die Handlung und ihr zentraler Konflikt sind es auch, die Sprache ist einfach und empirisch.

Temperament und Sinn für Humor drücken sich in der Schreibweise Güner Yasemin Balcis aus, die mit diesem Roman nah an die deutsche Realität heranrückt und tiefer in die politische Debatte um das umstrittene Sachbuch eines ehemaligen Vorsitzenden der deutschen Bundesbank eingreift, als sie bei der Niederschrift ahnen konnte.

Besprochen von Ursula März

Güner Yasemin Balci: Arab Queen oder der Geschmack der Freiheit
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2010
315 Seiten, 14,95 Euro