"Geduldete" Flüchtlinge

Jahrelang Warten auf nichts

Koffer und Taschen stehen vor einem Wohnhaus auf dem Gelände der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf (Bayern).
Duldung kann jahrelange Ungewissheit bedeuten. © dpa / picture alliance / Daniel Karmann
Von Vivien Leue · 08.10.2015
Wird der Asylantrag abgelehnt, ist man in Deutschland nur noch geduldet. Ein unsicherer Status, denn man kann jederzeit abgeschoben werden. Manchmal dauert dieser Zustand aber viele Jahre - und das hat Folgen für die betroffenen Menschen.
"Nur weil der Asylantrag abgelehnt wurde, heißt das nicht, dass subjektiv sie keine Verfolgung befürchten."
Klaudia Dolk sitzt in ihrem Büro bei der Flüchtlingsberatung der Düsseldorfer Diakonie. Die Herbstsonne scheint auf ihren Schreibtisch. Er ist übersät mit Fallakten.
"Das Beispiel Afghanistan finde ich da immer sehr erklärlich. Wir würden jetzt mal verstehen, warum jemand aus Afghanistan flüchtet. Andererseits ist die Rechtsprechung so, dass gesagt wird, man muss sagen, warum bin ich persönlich in Gefahr gewesen und nur dann bekommt man den Schutzanspruch."
Die Menschen, die in Klaudia Dolks Büro kommen, haben diesen Schutzanspruch meistens nicht bekommen. Ihre Asylanträge sind abgelehnt, gerichtliche Einsprüche abgewiesen. Sie werden dann aufgefordert, freiwillig wieder auszureisen, was auch einige tun. Die, die bleiben, werden vom Ausländeramt entweder abgeschoben oder geduldet.
"Oft auch über Jahre, weil eine Abschiebung aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist. Faktische Gründe wären zum Beispiel, dass kein Pass vorliegt oder unklar ist, aus welchem Land jemand kommt und die Ausländerbehörde eben keine Abschiebung vollziehen kann."
Zahl der Einsprüche steigt kontinuierlich
Rund 10.000 Abschiebungen gab es im letzten Jahr, allein im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es schon 8.000.
Ortswechsel: Im Verwaltungsgericht Köln, einem geschichtsträchtigen Bau aus dem 19. Jahrhundert, befasst sich auch Rita Zimmermann-Rohde mit Flüchtlingsschicksalen. Auf ihrem Schreibtisch landen die Einsprüche von Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde.
"Wir hören eigentlich alle Asylsuchenden an, denn sie müssen ihr Verfolgungsschicksal glaubhaft machen. Das gleichen wir ab mit Berichten, die wir vom Auswärtigen Amt oder von Menschenrechtsorganisationen haben, und wenn dann die Verfolgungsgeschichte dazu passt, dann kann eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgen."
Die Zahl der Einsprüche ist in letzter Zeit stark gestiegen – und sie wird wohl auch noch weiter steigen, sobald die neuen Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihre Arbeit aufnehmen:
"Wenn dann abgearbeitet wird, werden die Verwaltungsgerichte mit einem ganz verstärkten Zugang von Asylverfahren zu rechnen haben, zum Beispiel, wenn jetzt das Bundesamt ganz verstärkt Asylverfahren aus dem Westbalkan abarbeiten wird, wird das zu einer drastischen Erhöhung der Eingangszahlen führen."
Denn die Staaten des Westbalkans sind sogenannte sichere Herkunftsstaaten. Hier eine Verfolgung nachzuweisen, ist kaum möglich. Die Erfolgsquoten für Einsprüche liegen bei nahe null.
"Die Schwelle ist schon relativ hoch für eine Flüchtlingsanerkennung. Eine Verfolgung im Sinne dieser Genfer Flüchtlingskonvention muss eine schwerwiegende Verletzung von grundlegenden Menschenrechten sein und das, was die Menschen aus dem Westbalkan schildern, sind eher Benachteiligungen oder Schikanen, aber eben nicht schwerwiegende Verletzungen von grundlegenden Menschenrechten."
So sieht es das Gesetz. Die Menschen empfinden das anders, sagt die Düsseldorfer Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch:
"Solange das soziale Elend in den Balkanländern so ist wie es ist, werden die kommen. Da gilt es eben, dass die Familie, die gerade aus Albanien hierhergekommen ist, wo die Mutter Krankenschwester ist und der Vater Handwerker und die drei Kinder mitbringen, die wir als Kommune für's Gymnasium einschätzen würden, dass die bleiben dürfen."
Aber das dürfen sie zurzeit nicht, denn noch gibt es kein Zuwanderungsgesetz, was ihnen legale Wege der Einwanderung ermöglichen würde. Deshalb müssen sie wieder ausreisen, sobald ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Und das scheinen einige Ausländerbehörden auch durchzusetzen. Neben den Rückführungen in andere EU-Staaten liegen die Westbalkan-Staaten als Ziel-Region für Abschiebungen weit vorne.
Allerdings gibt es regionale Unterschiede – nicht jede Kommune schiebt sofort ab. Manche warten – auch sehr lange - darauf, dass die Menschen freiwillig gehen. Manchmal scheuen sie einfach den Aufwand einer Abschiebung oder wollen negative Schlagzeilen vermeiden.
Somit geht zurzeit vor allem die Zahl der Duldungen in die Höhe. Etwa 140.000 Menschen leben momentan in dieser Grauzone zwischen abgelehntem Asylantrag und vollwertigem Aufenthaltsstatus. Zu ihnen gehört auch eine Familie aus Afghanistan, die die Düsseldorfer Flüchtlingsberaterin Klaudia Dolk seit fast fünf Jahren betreut:
"Sie werden nicht abgeschoben, das ist eine politische Entscheidung, dass Flüchtlinge aus Afghanistan nur in Ausnahmefällen abgeschoben werden sollen, deshalb sind sie noch hier. Aber sie haben gleichzeitig kein anderes Aufenthaltsrecht."
Die Geduldeten leben in ständiger Sorge
Als Journalistin an diese Menschen heranzukommen ist schwer. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen, vielleicht die Behörden zu verärgern und letztlich ihre Duldung zu verlieren. Außerdem erklärt Flüchtlingsberaterin Dolk:
"Gerade die jungen Menschen für die ist das sehr schambesetzt mit der Duldung zu leben. Ich habe das oft erlebt, dass sie das gar nicht den Mitschülern sagen, weil sie gehören dann nicht dazu."
Und sie leben in ständiger Sorge:
"Die leben auf gepackten Koffern, weil viele ständig eine Abschiebung befürchten. Ich kenne welche, die haben mir gesagt, dass sie jahrelang in Kleidern geschlafen haben, weil sie gedacht haben, wenn die Polizei nachts kommt, dass sie sich nicht mehr anziehen können, rechtzeitig."
Daneben leiden viele Menschen darunter, sich nicht integrieren zu können: Geduldete erhalten nur sehr schwer eine Arbeitserlaubnis und auch Deutschkurse werden ihnen selten bezahlt – denn sie haben ja kein vollwertiges Aufenthaltsrecht im Land
"Man kann keine langjährigen Ziele entwickeln, weil man nie weiß, werde ich bald abgeschoben, wie lange darf ich bleiben und diese Perspektivlosigkeit und fehlende Möglichkeit, das zermürbt."
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