Gebremste Ekstase

Von Michael Hollenbach · 29.11.2008
Gospelmusik wird hierzulande immer populärer. Beim letzten Gospelkirchentag im September kamen 60.000 Besucher nach Hannover und den ZDF-Wettbewerb "Fest der Chöre" gewann ein Gospelchor. Eigentlich stammt die Gospelmusik aus den schwarzen Kirchengemeinden in den USA. Hervorgegangen aus den Spirituals, die oft eher Klagelieder waren, vermittelt die Gospelmusik vor allem Power und gute Laune.
Gospelhappening in Hannover. Auf dem letzten Gospelkirchentag traten mehr als 4000 Sängerinnen und Sänger auf und rissen die insgesamt 60.000 Besucher mit. Mittendrin: Sven Pagert, als Zuhörer und als Sänger der Stormarn Singers.

"Es bewegt mich einfach, es ist diese Dynamik, diese Kraft, die in der Musik steckt, das ist das, was mich daran so reizt. Es gibt durchaus beschwingte Stücke, man kann Freude ausleben und durchaus auch traurige Stücke singen, die einem dann Kraft geben."

Gospel ist schwer im Kommen. Das hat auch Petra Angela Ahrens erfahren. Sie arbeitet am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD und analysiert zur Zeit einer Studie die Gospelbewegung in Deutschland. Als erstes Zwischenergebnis aus den Befragungen hat sie festgestellt, dass immer Menschen zum Gemeindegospelchor stoßen, die bislang mit Kirche wenig am Hut hatten:

"In Kombination dazu habe ich auch entdeckt, dass fast die Hälfte der Sängerinnen und Sänger sagt, ihr Verhältnis zur Kirche habe sich durch die Mitwirkung im Gospelchor verändert, und zwar die Verbundenheit sei stärker geworden. Wenn das stimmt, dann ist auch was an der These, die die Aktiven selber in Gospelmusik vertreten, etwas dran, dass Gospelmusik geradezu einen missionarischen Charakter haben könnte."

Zugleich weiß die Sozialwissenschaftlerin, dass es in den Gemeinden nach wie vor große Vorbehalte gegen die Gospelmusik gibt:

"Ich nenne es immer das protestantische Naserümpfen über alles, was zu stark auf Emotionen, Bewegungen, Fröhlich-Sein abhebt, und auf den ersten Blick vielleicht etwas an Ernsthaftigkeit und Auseinandersetzung mit dem Wort vermissen lässt und so etwas schlägt sich auch in der Gestaltung des kirchlichen Lebens bisher nieder, dass solche Dinge wie Fröhlichkeit, Emotionen weniger vorkommen, und genau diese Bedürfnisse bedient der Gospel und er gestaltet die Atmosphäre entsprechend."

Genau diese Atmosphäre kann man in der hannoverschen Gospelkirche erleben. Verantwortlich für das Projekt sind Pfarrer Joachim Dierks und die Musikerin Christina Hamburger. Sie leitet seit fünf Jahren den Gospelchor "Sister T.". Das Faszinierende an der Gospelmusik?

"Ich glaube, es ist das Lebensgefühl, einerseits Power, sehr, sehr kraftvolle Musik, aber auch sehr stimmungsvolle, balladige Musik, die sehr tief geht, und es ist eine Gruppenmusik (...) jeder singt zwar in seiner Stimme, aber es fügt sich zu einem Klang zusammen."

"Stichwort Freiheit: das Evangelium soll ja befreiend wirken, und für manche geht das über Bach, über Motetten oder große Oratorien und ich glaube für einen ganz großen Teil geht das über Gospel."

"Gospel ist die beste Gute-Laune-Musik, die ich kenne."
Sagt Dieter Falk, Musikproduzent und bekannt als Jurymitglied der TV-Castingsendung Popstars.

"Es ist Gute-Laune-Musik, weil eine ansteckende Wirkung erzeugt wird. Fragen Sie mich nicht, wieso das so ist, ich glaube, dass da ein gewisser Spirit, ein gewisser Geist weht."

Dieter Falk, der im vergangenen Jahr eine CD mit neu arrangierten Paul-Gerhard-Lieder herausgebracht hat, ist mit Gospelmusik groß geworden. Mit 15 gründete er mit seinem Bruder einen eigenen Gospelchor:

"Chorsingen macht Spaß. (…) all das ist ein Gemeinschaftsaspekt, und beim Gospel kommt noch mal der Rhythmus dazu, viele Leite haben immer schon Spaß an rhythmischer Musik gehabt (…) und das kann man bei Gospel tun, man kann mit grooven und da kann man auch weiße Haut haben. Wenn man Dynamik mitbringt, das ist – glaube ich – das Zauberwort bei Gospel, man muss dynamisch sein, als Mensch, als Musiker, dann ist Gospel ein phantastisches Erlebnis, musikalisch und menschlich."

"Es hat auch einen therapeutischen Aspekt (…) wer einmal im Chor gesungen hat und ich komme aus einer Familie, die immer im Chor gesungen hat, meine Mutter ist Chorleiterin, die weiß, wie man soziales Denken in einem Chor lernen muss, auf den anderen zu hören ein Geben und Nehmen, bei Stimmproben auf den anderen zu hören, ich glaube ein Chor ist ein soziales Medium. (…) und es ist ein therapeutischer Aspekt, wo Menschen miteinander klar kommen müssen."

Dieter Falk verweist auf den Hit "Walking in memphis", in dem Mark Cohen die Anziehungskraft des Gospels beschreibt.

"Da gibt es eine Textstelle, sinngemäß, Mark Cohn geht nach Memphis, besucht das Elvismuseum, und geht in eine schwarze Kirche, wo gerade Mucke läuft, geht rein, hört zu und ist elektrisiert und fasziniert, dann geht eine dicke Dame auf ihn zu und sagt: Are you a christian? Und er sagt: Madam, I am tonight. Das ist ansteckend."

Auch Silvia Jagille- Lauenstein ist von der Gospelmusik religiös infiziert worden. Die 42-Jährige singt in dem Chor "Sister T." mit und ist mittlerweile auch Mitglied der hannoverschen Gospel-Kirchengemeinde.

"Ich hatte mit Kirche nicht so viel am Hut, wenn ich jetzt überlege, wie regelmäßig ich jetzt inzwischen in die Kirche gehe, zum Gospelgottesdienst, weil das wirklich für mich eine Gemeinde geworden, das ist wirklich durch den Gospel entstanden."

"Es ist so, dass ich irgendwann darüber nachgedacht habe, was ich da eigentlich singe, weil am Anfang ist es so, es sind schöne Melodien, es macht Spaß, es ist Bewegung drin, und irgendwann drangen auch die Texte durch und mittlerweile ist es so, dass ich nicht nur glaube, was ich da singe, sondern ich singe, was ich glaube."

Gospelmusik ist religiöse Musik, die ihre Wurzeln in den schwarzen baptistischen Kirchen der amerikanischen Südstaaten hat.

"Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man englisch singt, denn einmal ist es die Originalsprache der Gospels und das, was bislang an deutschen Gospels bisher auf dem Markt ist, überzeugt mich nicht, (...) ich denke, es ist die englische Sprache."

"Im Englischen klingt das alles ein bisschen sexier, ist nun mal so, die Fremdsprache macht das interessanter und spannender."

"Vielleicht ist es ja auch ein bisschen einfacher, wenn man diese Inhalte, die wenn man sie eins zu eins übersetzt, doch manchem schwer über die Lippen geht, auf Englisch ist das leichter zu sagen. (…) es sind ja im Gospel viele, die wieder erste Schritte auf Glauben und Kirchen zumachen, und das wäre vielleicht doch ein bisschen viel."

Gospel ist ursprünglich black music, und einige Musikkritiker sind der Meinung, nur Schwarze könnten so richtig gute Gospelmusik machen. Doch längst hat sich der Gospel auch in Europa etabliert; zuerst in den 70er Jahren in Skandinavien, und seit gut zehn Jahren immer stärker auch in Deutschland.
Pfarrer Joachim Dierks weiß um den emotionalen Gesang und die beeindruckende Atmosphäre in schwarzen Gemeinden in den USA. Aber:

"Man darf sich nicht mit den schwarzen Gemeinden vergleichen, ich glaube, wir müssen unseren eigenen europäischen Weg finden, ich nenne das immer augenzwinkernd gebremste Ekstase, es ist einfach norddeutsch, und wir machen unsere Version von Gospelkirche und ich glaube, was anderes wäre auch aufgesetzt."

Auffallend bei den Gospelchören ist, wie viele junge Sängerinnen und Sänger die Kirchen und Konzertsäle füllen. Sebastian Senzig von der Kreativen Kirche Witten:

"Die Popularmusik ist eine Musik, die sich in den deutschen Charts widerspiegelt, und in den Kirchen kommt sie nur teilweise vor und die Gospelmusik repräsentiert die Popularmusik in den Kirchen (…) und ich denke, dass die Gospelmusik kirchenfremde Menschen in die Gemeinden locken, weil die Musik da der Hauptanknüpfungspunkt ist, gerade auch bei jungen Leuten."

Wie bei Anne, Lydia, Katharina, Johanna, alle Mitglieder im Gospeljugendchor St. Afra aus dem sächsischen Meißen:

"Ich liebe es einfach, mit den anderen Leute zu singen, das ist ein Glücksgefühl, so eine Sache zusammen durchzuziehen.
Ja, es ist die Gemeinschaft, es macht ganz viel Spaß, Gospel ist wie ein riesengroßes Gebet. Man braucht keine Worte verlieren, wenn man singt eine Verbindung zu Gott."

Doch nicht alle im Chor sind fromme Jugendliche; manche – wie Anne – machen einfach mit, weil sie die Musik so cool finden:

"Es ist einfach der Stil, Gospel ist nicht einfach nur – okay wir singen auch Happy Day und Amen, es ist was anderes, es ist Rap, es ist HipHop, es ist Reggae, es ist alles, man kann es nicht richtig definieren, und das ist das Schöne an Gospel."