GDL-Chef Weselsky

"Der Traumberuf Lokführer geht nicht unter"

Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky
Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky spricht von einer "Riesenfrustwelle" bei den Lokführern. © imago stock & people
Claus Weselsky im Gespräch mit Moritz Behrendt · 11.06.2016
Die Vision vom führerlosen Zug: Claus Weselsky bezeichnet die Idee des Bahnchefs Rüdiger Grube als "hanebüchen". Der Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer ist im Gegenteil davon überzeugt, dass sein Berufstand noch Jahrzehnte bestand haben werde.
Moritz Behrendt: Kennen Sie das Buch "Lukas, der Arbeitslose"? Nein, es heißt natürlich "Lukas, der Lokomotivführer" – doch ob dieser Beruf noch eine Zukunft hat, ist durchaus fraglich, denn der Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, will nun in seinem Unternehmen durchsetzen, was bei U-Bahnen schon gang und gäbe ist: das führerlose Fahren. Spätestens im Jahr 2023 werde das vollautomatische Fahren in Teilen des Netzes möglich sein, so Grube. Am Telefon ist jetzt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokomotivführer, Claus Weselsky – guten Tag!
Claus Weselsky: Schönen guten Tag, Herr Behrendt!
Behrendt: Herr Weselsky, richten Sie und Ihre Mitglieder sich schon darauf ein, künftig bei der Bahn andere Aufgaben zu übernehmen?

"Lokomotivführer schieben Riesenfrustwelle vor sich her"

Weselsky: Nun, wissen Sie, auf was wir uns einrichten, dass meine Lokomotivführer eine Riesenfrustwelle jetzt vor sich herschieben. Wenn ihr eigener Vorstandsvorsitzender, also der Arbeitgeber, solche Latrinenparolen in die Welt setzt, dann sind die mehr als frustriert und fragen sich natürlich, was macht das Management der Deutschen Bahn. Die Eisenbahn fährt nicht mehr draußen, wir sind nicht mehr zuverlässig, wir sind unpünktlich ohne Ende, aber das Management träumt vom führerlosen Zug in einem offenen Eisenbahnsystem von 34.000 Kilometern in unserem Lande.
Behrendt: Sie glauben also nicht an die Pläne Grubes?
Weselsky: Also das will ich damit nicht sagen. Dass Herr Grube solche Pläne hat und dass da wieder Millionen oder Milliarden investiert werden, das ist ja leider oftmals nicht zu verhindern, wenn ein Management versucht, solche hanebüchenen Ideen umzusetzen. Ich stelle mir an der Stelle die Frage, was wir mit dem Tagesgeschäft machen. Was ist denn hier los in Deutschland? Die Infrastruktur funktioniert nicht. Wir sind mit Zugausfällen, wir sind mit Verspätungen, keine Anschlussgewährung täglich dabei, Tausende unserer Kunden zu ärgern. Wir haben selbst 70 Prozent Pünktlichkeit, die wir uns als Bahn bescheinigen, und stellen fest, wenn wir 80 haben, dann kriegt das Management einen Bonus. Da muss man sich die Frage stellen, in welchem Land leben wir. Im Nachbarland, in der Schweiz, fahren die Züge pünktlich, auf Zeigersprung, mit Anschlussgarantie – bei uns können Sie froh sein, wenn Sie bei 15 oder 20 Minuten Verspätung noch einen nächsten Zug bekommen.
Behrendt: Sie haben vorhin das offene System Bahn angesprochen, mit Güterregionalzügen und Schnellzügen – dass das sehr komplex ist, sagt auch Rüdiger Grube –, aber muss die Bahn nicht auf Techniken von morgen setzen, um den Fortschritt nicht zu verschlafen?
Weselsky: Nicht nur die Bahn, jedes Unternehmen muss auf Technik von morgen setzen, völlig unbestritten, und es wird sicherlich auch irgendwann der Tag kommen, wo wir in der Lage sind, Verkehrsmittel – ob es Maschine oder in einer Röhre – ohne jegliche Führung, ohne jede menschliche Steuerung am Ende des Prozesses zu erleben. Wenn jemand ein Gefäß durch eine Tube schickt, wie das jetzt gerade versucht worden ist, dann braucht man bestimmt keinen Lokführer dafür. Die würden sich auch langweilen auf dem Führerstand. Aber wenn Sie ein Eisenbahnsystem haben wie unseres, wo Sie in einer offenen verlegten Schiene ... Wenn Sie da durchs Land fahren und vor äußeren Einflüssen wir uns gar nicht retten können, dann ist es eben was anderes, als wenn man in der Retorte auf einer Versuchsstrecke, in einer Röhre eine U-Bahn automatisch betreibt. Sie sprachen in Ihrer Eröffnung so davon, als hätten wir massenweise U-Bahnen die vollautomatisch fahren – haben wir nicht. Wenn Sie in Frankfurt den Flughafen nehmen, den Skytrain, der fährt nun mal führerlos, mit einem riesigen technischen Aufwand, und der Knaller ist, im Hintergrund arbeiten 50 Leute, um das Ding am Leben zu erhalten. Und da sage ich immer, wir setzen da lieber noch eine ganze Weile – und da reden wir über Jahrzehnte –, wo wir Lokomotivführer brauchen, die Schnellzüge, die Nahverkehrszüge und auch Güterzüge durch dieses Land fahren.
Behrendt: Ist denn das Unternehmen eigentlich schon mit seinen Plänen auf Sie zugekommen?

"Der Vorstandsvorsitzende hat immer mal solche Ideen"

Weselsky: Na, das ist ja das Nette, der Vorstandsvorsitzende hat immer mal solche Ideen. Da setzt er sich in ein Google-Auto und lässt sich von irgendjemand aus Silicon Valley erklären, dass das dann vollautomatisch fährt. Dass das vollautomatisch fahren kann, bestreitet ja niemand, ich stelle mir nur die Frage, was wir dann auf der Autobahn machen, wenn alle Autos vollautomatisch gesteuert sind. Das kommt dann vielleicht zu dem Gag, den schon mal ein Verkehrsminister losgelassen hat: Wir kuppeln dann alle Lkws aneinander an einer großen Stange, und dann fahren wir auf der rechten Spur der Autobahn, die ist dann für Pkws nicht mehr frei. Und das Eisenbahnsystem, das bei uns im Lande vorhanden ist, das ökologisch ist, das sicher ist, das pünktlich und zuverlässig sein könnte, das lassen wir vergammeln, unterwerfen uns den Wirtschaftlichkeitsideen und bauen ringsrum Infrastruktur ab. Und deswegen habe ich die Bundesregierung mit unserer Pressemitteilung gestern aufgefordert, endlich mal in ihrer Eigenschaft als Eigentümer die Kontrolle zu übernehmen, dem Management klare Weisungen zu erteilen und als Erstes die Infrastruktur zu ertüchtigen, damit wir pünktlich sind, damit wir zuverlässig sind – was wir früher übrigens immer waren. Die Eisenbahn fuhr bei Wind und Wetter. Heute sind wir die Ersten, die an den Rand fahren, wenn ein Sturm kommt.
Behrendt: Würden Sie, Herr Weselsky zum Schluss, heute jungen Frauen und Männern dazu raten, noch Lokomotivführer zu werden?
Weselsky: Ja, immer wieder, nicht nur der Traumberuf von kleinen Kindern, sondern es ist ein wunderschöner Beruf mit hohen Verantwortungsanteilen, mit viel Freiheit, die man als Lokführer haben kann. Und nachdem wir uns durchgesetzt haben in mehreren Streiks, die eigentlich gar nicht nötig waren, haben wir es auch geschafft, den Beruf wieder attraktiver zu machen. Wir werden jetzt an den Arbeitsbedingungen noch Verbesserungen vornehmen, und dann ist es ein wunderschöner Beruf, wenn man hinter sich 500 Menschen durchs Land transportieren kann, verantwortungsvoll, zuverlässig und pünktlich, das ist was ganz Tolles. Deswegen rufe ich in aller Deutlichkeit: Der Traumberuf Lokführer geht nicht unter, weil irgendein Vorstandsvorsitzender gerade mal wieder eine Idee hat.
Behrendt: Klaus Weselsky, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokomotivführer, vielen Dank für das Gespräch!
Weselsky: Ich bedanke mich auch, Herr Behrendt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema