Gaza-Krieg

Hamas kann "eigentlich nur gewinnen"

Israelische Soldaten an der Grenze zum Gaza-Streifen.
Israelische Soldaten beschießen den Gaza-Streifen. © MENAHEM KAHANA / AFP
Carlo Strenger im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 29.07.2014
Der in Tel Aviv lehrende Psychologe Carlo Strenger hat wenig Hoffnung auf eine Deeskalation im Gaza-Konflikt. Auch die Linksliberalen in Israel seien an einen Punkt gekommen, wo sie sagten: "Mit dieser Gefahr können wir nicht leben." Jetzt drohe die Gefahr, dass auf beiden Seiten Extremisten die Oberhand gewinnen.
Der Psychologe Carlo Strenger sieht die Gefahr, dass sich im Gaza-Krieg auf beiden Seiten die Extremisten durchsetzen könnten. "Ich kann und darf die Hoffnung, dass ein Kompromiss noch möglich ist, nicht aufgeben, bin aber ehrlich gesagt, was die Fakten anbelangt, eher skeptisch", sagte Strenger am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Dabei verwies er auf Meinungsumfragen aus den Palästinensergebieten, denen zufolge inzwischen nur noch etwa 30 Prozent der Menschen für eine Zwei-Staaten-Lösung seien, nachdem zuvor eigentlich immer eine Mehrheit von 60 - 70 Prozent diese Ansicht vertreten hätten.
Vom Krieg profitiert vor allem die Hamas
Der gegenwärtige Krieg sei von der radikal-islamischen Hamas ausgelöst worden, betonte Strenger. Diese profitiere nun auch vom Krieg:
"Hamas, wie Sie wissen, war vollkommen isoliert, finanziell abgeschnitten ohne irgendwelche Verbündeten in der arabischen Welt. Und in dieser Situation greift es immerwieder auf seine Grundstrategie zurück, sich als der heroische Vertreter des Widerstandes gegen Israel zu profilieren, wobei die teuflische Logik daran ist, dass Hamas eigentlich nur gewinnen kann. Wenn viele israelische Soldaten umkommen, dann sind Hamas die großen Helden und wenn viele palästinensische Zivilisten umkommen, dann ist Israel das verteufelte Land, das außenpolitisch wieder isoliert ist. Und dann hat Hamas ebenfalls eines seiner Ziele erreicht."
Gaza-Krieg könnte auch neue Möglichkeiten bieten
Auf der anderen Seite befürchtet Strenger, dass sich Netanjahu zu sehr von Rechtsextremisten beeinflussen lassen könnten. So bestehe die Gefahr, dass er nicht die Möglichkeiten nutzt, "die dieser Krieg auch doch schafft." Eine solche könnte dem schweizerisch-israelischen Psychologen zufolge beispielsweise darin bestehen, "dass die Fatah und die palästinensische Autorität auch wieder den Gaza-Streifen übernehmen würden". Das sei im strategischen Interesse Israels und könne eine positive Dynamik auslösen.
Strenger betonte, gegenwärtig sei es vor allem die politische Führung, die militärische Risiken eingehe und eine militaristische Rhetorik betreibe und nicht das Militär selbst:
"Das Paradoxe ist: Wenn Sie die liberalsten und vorsichtigsten Meinungen hören wollen, dann sprechen Sie am besten mit hohen Offizieren und mit der Leitung von Sicherheitsdiensten."
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