Gauck-Besuch in Ungarn

"Ein sehr, sehr wichtiges Signal"

Der ungarische Dirigent Ádám Fischer
Man müsse aber akzeptieren, dass die ungarische Gesellschaft anders sei, sagt Fischer. © dpa / picture alliance / Claudia Esch-Kenkel
Adam Fischer im Gespräch mit André Hatting · 16.06.2014
Der ungarische Dirigent Adam Fischer hält den Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in seinem Heimatland für wichtig. Zugleich hat er aber wenig Hoffnung für die dortige Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
André Hatting: Im Frühjahr 1989 hatte die ungarische Regierung damit begonnen, die Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen, aus Kostengründen. Zehntausend DDR-Bürger reisten daraufhin ins Nachbarland und schließlich über Österreich aus.
Am Ende stehen der Zusammenbruch des gesamten Ostblocks und die deutsche Einheit. "Das werden wir den Ungarn nie vergessen" dieser Satz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl wird 25 Jahre später wieder mit Leben gefüllt. Bundespräsident Joachim Gauck ist nach Budapest gereist, er erinnert heute mit seinen Kollegen aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen an den Beginn der demokratischen Wende in Osteuropa.
An die kann sich auch Adam Fischer gut erinnern. Der Ungar ist ein international renommierter Musiker. Er dirigiert regelmäßig an den großen Opernhäusern in Europa und den USA. Ich grüße Sie, Herr Fischer!
Adam Fischer: Guten Tag!
Hatting: Als in Ungarn der eiserne Vorhang fiel, wie haben Sie die Ereignisse dort erlebt?
Fischer: Wir hatten damals in Eisenstadt, das ist ganz nahe der ungarischen Grenze in Österreich, Festspiele gehabt, wo ich ein ungarisch-österreichisches Orchester, die österreichisch-ungarische Haydn-Philharmonie zusammengestellt habe, und wir haben dort musiziert.
Das war schon ein paar Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, weil wir die Möglichkeiten der kleinen Freiheit in Ungarn ausnutzen konnten. Diese Möglichkeit hat es in Deutschland nicht gegeben. Also wir haben – ich kann mich erinnern, wie Trabis rübergekommen sind und so verlassen am Stadtrand standen – also unglaubliche Sachen.
Hatting: Mit welchen Hoffnungen haben Sie und Ihre Künstlerkollegen das damals beobachtet?
Fischer: Wir haben gedacht, Europa wird sich jetzt einigen, Europa wird frei. Also wir sind ein bisschen euphorisch und Illusionen haben wir gehabt, aber letztlich ist es wahr geworden, denn Europa hat sich irgendwie geeinigt, und es gibt Freiheiten, nur nicht in der Form, wie wir das uns damals vorgestellt haben.
Orban ist "auf die andere Seite gewechselt"
Hatting: Ja. Da sind wir im Prinzip in der aktuellen Zeit, da sind wir jetzt. Einer der demokratischen Hoffnungsträger damals war auch ein liberaler Studentenführer namens Viktor Orban. Als Regierungschef jetzt verfolgt er einen autoritären, eher demokratiefeindlichen Kurs.
Er verschafft sich und seiner Partei immer mehr Macht, schränkt die Pressefreiheit und auch die künstlerische Freiheit ein. Herr Fischer, wie ist dieser Wandel zu erklären?
Fischer: Ja, wie der Wandel zu erklären ist, dass der Herr Orban die Macht will und seine Überzeugungen gewechselt hat – ganz einfach, weil er gesehen hat, dass mit den liberalen Überzeugungen in Ungarn keine Mehrheiten zu machen sind. Und er ist auf die andere Seite gewechselt, hat gesehen und erspürt, dass in der ungarischen Gesellschaft Patriotismus, Nationalismus und Paternalismus sehr stark sind. Und es war seine Überzeugung, dass das ist, was er jetzt aus Überzeugung verkünden muss. Das ist natürlich eine Enttäuschung für uns alle, aber wir müssen akzeptieren, dass die ungarische Gesellschaft anders ist, als wir damals erhofft haben.
Hatting: Warum ist das so? Warum ist das so, wie Sie sagen, dass man mit liberalen Überzeugungen in Ungarn keine Wahlen gewinnt?
Fischer: Ungarn hat andere Gesetze. Das ist etwas, das ich nicht irgendwie erklären kann. Ich glaube, das hat auch ein bisschen mit der ungarischen Sprache zu tun. Das Land ist unter sich, Informationen aus dem Ausland kommen nur gefiltert. Die meisten Leute können auch gar keine andere Sprache als Ungarisch und leben ein bisschen in einer anderen Welt.
Ich glaube, dass der damalige Liberalismus vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, dass die Ungarn viel mehr Möglichkeiten hatten als die Ostdeutschen, hat auch ein bisschen damit zu tun, dass nicht die Gefahr bestand, dass die Ungarn eben weggehen oder zu sehr von diesen Ideen aus dem Westen infiziert werden, also in den Augen von den Machthabern.
Und heute ist der Grund genau derselbe - man schottet sich ab. Also die Gesellschaft schottet sich ein bisschen ab. Ungarn hat nie richtig demokratische Traditionen gehabt. Es hat immer schon in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit immer Staatsparteien gegeben und staatliche Führer, die zu allem - was soll ich sagen - zuständig waren. Und Begriffe wie Gewaltenteilung sind nicht so wichtig für die Ungarn.
Es tut mir leid, dass ich es so sage, ich hab das damals auch nicht so gesehen, ich habe gehofft, dass Ungarn europäischer ist. Wir mussten das akzeptieren.
Hatting: Die Fidesz-Partei unter Viktor Orban versucht seit Jahren einerseits, ihre Macht zu sichern, indem sie Gesetze ändern, andererseits aber auch, die Gegenmacht, also demokratische Kontrolle durch Medien zum Beispiel, einzuschränken, aber auch die künstlerische Freiheit einzuschränken, davon habe ich schon gesprochen. Inwiefern leiden Sie persönlich als Künstler unter dieser Politik Viktor Orbans?
Fischer: Ich persönlich weniger, ich bin ja existenziell nicht abhängig. Ich wohne ja nicht in Ungarn, ich besuche Ungarn. Die Struktur ist hier anders. Die staatlichen Fördergelder werden alle vom Staat kontrolliert, und das ist das Machtinstrument. Derjenige kriegt Geld, der die richtige Kunst macht, und eigentlich ist es sinngemäß so in der neuen Verfassung, dass (...) nationale Kunst bevorzugt wird.
Das heißt, Leute kriegen dann weniger Subventionen, werden nicht verboten, aber das wird unmöglich gemacht. Wobei ich jetzt persönlich einen Unterschied mache zwischen schaffender Kunst und interpretatorischer Kunst. Ich bin ja, wenn Sie so wollen, kein richtiger Künstler.
Hatting: Sehr bescheiden.
Fischer: Ich spiele ja nur die Werke anderer Künstler, und Mozart kann man nicht jetzt nationalistisch oder christlich oder jüdisch oder wie auch immer spielen. Aber sagen wir, Schriftsteller und Filmemacher und so weiter, Regisseure leiden mehr darunter.
Hatting: Sie haben selber, Herr Fischer, 2010 mit der gesamten Führung der Ungarischen Staatsoper das Haus vorzeitig verlassen. Sie haben gemeinsam mit dem Pianisten András Schiff und dem Schriftsteller György Konrád eine Petition gegen Rassismus und Ausgrenzung in Ungarn unterzeichnet.
Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Besuch in Tschechien
Bundespräsident Joachim Gauck besucht Ungarn.© dpa / picture-alliance / Michal Dolezal
Sie kritisieren immer wieder die Einschränkung der künstlerischen und der Pressefreiheit, und trotzdem ist Orban und seine Fidesz stark wie nie. Verzweifeln Sie manchmal an Ihren Landsleuten, Herr Fischer?
"Ich freue mich sehr, das er diese Zivilcourage noch aufbringt"
Fischer: Gut, wir müssen protestieren, wir müssen das, was wir sehen, müssen wir den anderen erzählen, aber ob das hilft, das weiß ich nicht. Es gibt einen englischen Spruch, ein Gentleman engagiert sich nur für verlorene Sachen - ich werde mich weiter engagieren, und wie viel Erfolg ich haben werde, weiß ich nicht. Eine Garantie, dass ich allein die Orban-Regierung zum Scheitern bringe, ist natürlich nicht gegeben.
Hatting: Wie wichtig ist es, dass Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Budapest-Besuch ...
Fischer: Sehr wichtig! Sehr, sehr wichtig. Das ist etwas, was eben – viele denken, dass Ungarn jetzt abgeschrieben wird, und das darf natürlich nicht sein.
Hatting: Ich wollte gerade noch die Frage zu Ende stellen ...
Fischer: Entschuldigung!
Hatting: Gar kein Problem. Ich wollte nämlich wissen, er spricht ja, oder hat ja vorher, bevor er heute seine Kollegen aus Ungarn und Polen und Tschechien trifft, mit Bürgerrechtlern gesprochen. Ist das ein wichtiges Zeichen, dass er genau das tut?
Fischer: Oh ja, natürlich. Weil, wenn man sich erinnert, was in den 70er-, 80er-Jahren passiert ist, diejenigen, die aus dem Westen gekommen sind und hier mit Oppositionellen gesprochen haben, die wurden immer so kritisiert, dass sie den Weltfrieden gefährden.
Und heute sind wir auf dem besten Wege dazu. Wenn ein amtierender deutscher Bundespräsident hier mit Oppositionellen auch spricht, das ist ein sehr, sehr wichtiges Signal, und ich freue mich sehr, dass er diese Zivilcourage noch aufbringt.
Hatting: Und wird das in Ungarn auch wahrgenommen von der Bevölkerung?
Fischer: Von der Bevölkerung wenig. Die Bevölkerung kriegt sehr, sehr wenig mit, vor allem die Landbevölkerung, das ist auch eine Politik der Regierung, dass Medien, die kritisch sind, die sollen also keine Verbreitung haben.
Und auf dem Lande hört man nur das öffentlich-rechtliche Radio, und man spricht eben keine Fremdsprachen. Aber für die Meinungsmacher unter den Intellektuellen hat es eine sehr wichtige Bedeutung, und das wissen die auch, dass Herr Gauck kommt.
Hatting: Der ungarische Dirigent Adam Fischer über die Entwicklung seines Landes vom Vorreiter für Freiheit zum autoritären Staat. Danke für das Gespräch, Herr Fischer!
Fischer: Vielen Dank Ihnen auch, alles Gute!
Hatting: Das wünsche ich Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema