Ganz - oder gar nicht

Von Wolf-Dieter Peter · 31.10.2007
Nach dem Schlussvorhang muss der Rat lauten: Besser gar nicht! Denn schon 1970 hat Ken Russell mit dem jungen Richard Chamberlain einen fabelhaften "Tschaikowsky"-Film gedreht, in dem die ganze Problematik mit der – von der damaligen UdSSR wissenschaftlich unterdrückten – Homosexualität des Komponisten hochkünstlerisch aufgearbeitet ist.
Der 45-jährige polnische Regisseur Krzysztof Warlikowsky hat aufgrund seiner eigenen Homosexualität in seiner Heimat gelitten und viel davon dann im Ausland inszenatorisch aufgearbeitet. Weder die Dreierdirektion der Staatsoper noch die Produktionsdramaturgie oder GMD und Dirigent Kent Nagano haben Warlikowski aber nun davon abgehalten, diese Problematik auch Tschaikowskys "Lyrischen Szenen" um den eitel-gelangweilten Dandy Eugen Onegin überzustülpen und vieles im Werk dafür zurechtzubiegen.

Warlikowskys "Eugen Onegin" spielt im Texas der späten 60er Jahre, bis zur Pause in einem "Fun&Dance-Saloon" mit Billardtischen und "Einarmigen Banditen". Die literarisch-lyrisch versponnene Tatjana(darstellerisch glänzend, zu oft höhenscharf Olga Guryakova) und ihre ganz auf "action" und Gaudi fixierte Schwester Olga (vokal und optisch hinreißend Elena Maximova) haben auch mal einen Karaoke-Auftritt. Dann spricht Tatjana in der berühmten Briefszene ihre Liebesgeständnisse per Mikro auf Kassette, entkleidet sich – gleichsam parallel zur Seele – bis auf die Unterwäsche und greift sich entflammt in den Schritt. Ihr Namenstagsball findet einen Höhepunkt in einer Imitation der Schlussszene aus der britischen Filmkomödie "Ganz oder gar nicht" – nur dass die Texas-Herren beim Striptease ihre Unterhosen anbehalten. Der Flirt Onegins mit Olga wird vorgeführt, doch reicht derartiges auch im Texas der (noch?)prüden 60er ganz und gar nicht zu so etwas wie einer Duell-Forderung durch den Dichter-Freund Lenski, der mit E-Gitarre auftritt.

Den zweiten Teil lassen Warlikowsky und seine Ausstatterin Margorzata Szczesniak eher in einem Traum-Raum spielen: Onegin und Lenski liegen in einem Doppelbett. Lenski singt seine durch Fritz Wunderlich weltberühmt gewordene Abschiedsarie durch eine Textumbiegung im zweiten Teil an Onegin als "Geliebten" – und wird von ihm in Abwehr einer homosexuellen Attacke auf dem Bett erschossen. Eingeleitet und dann mit der Ball-Polonaise tänzerisch gefüllt wurde diese Szene durch zehn homosexuelle Cowboys nach dem Vorbild des Films "Brokeback Mountain" – dabei singt Onegin von seinem unerfüllten Leben "ohne Frau", was die Übertitel zu "ohne Partner" umbiegen. Zu seiner nunmehr aufbrechenden, "zu späten" Leidenschaft für die inzwischen arrivierte, mit einem alerten US-General (glänzend Günter Groissböcks Fürst Gremin) verheiratete Tatjana tanzen dann diese Cowboys nochmals als tuntige Transvestiten um Onegin. Seinen finalen Zusammenbruch und zuvor seine Stenz-artige Arroganz singschauspielerte Michael Volle beeindruckend.

Zu all dem gelang Kent Nagano keine musikalische Interpretation: vieles klang an den Noten entlang dirigiert, vieles nur spröde und dunkel getönt – und dass ein paar dramatische Steigerungen gelangen, ist auf dem Niveau der Bayerischen Staatsoper kein Verdienst. Dem Abend fehlte ein starker Intendant, der im Konzeptionsgespräch vor ein, zwei Jahren genau nachfragt und Grenzen markiert – mehr noch: der den Satz "So kommt das nicht auf die Bühne!" nicht scheut. Denn Tschaikowskys Meisterwerk so – dann lieber gar nicht. Doch das Staatsballet bietet Trost: dort ist die hinreißende "Onegin"-Choreografie von John Cranko neu einstudiert im Programm.

Tschaikowskys "Eugen Onegin"
Bayerische Staatsoper München, 31.10.07
Dirigent: Kent Nagano
Regie: Krzysztof Warlikowsky
Ausstattung: Margorzata Szczesniak