"Ganz alte Strukturen, die sehr verkrustet sind"

Moderation: Matthias Hanselmann · 03.05.2011
Schwule und lesbische Fußballer haben immer noch mit Klischees und Anfeindungen zu kämpfen. Warum das Coming-Out vielen Sportlern bis heute schwerfällt, erklärt die ehemalige Bundesliga-Spielerin und Buchautorin Tanja Walther-Ahrens.
Matthias Hanselmann: Homosexualität ist abnormal. Ich werde niemals Homosexuelle in mein Team berufen. Das sagte der ehemalige Teamchef des kroatischen Nationalteams, Otto Baric. Und Corny Littmann, Präsident des FC Sankt Pauli und selbst homosexuell, sagt: Ich würde keinem Profi raten, sich zu outen. Der soziale Druck wäre nicht auszuhalten. Was diese beiden Zitate aussagen und von welcher Welt sie sprechen, darüber rede ich jetzt mit Tanja Walther-Ahrens. Sie ist ehemalige Bundesliga-Spielerin, von Beruf Lehrerin und Sportwissenschaftlerin sowie Autorin des Buches "Seitenwechsel – Coming-out im Fußball". Willkommen im Studio des "Radiofeuilleton"!

Tanja Walther-Ahrens: Schönen guten Tag!

Hanselmann: Es ist unglaublich, dass ein Nationaltrainer von Abnormalität spricht im Bezug auf Homosexualität. Dennoch, seine Haltung ist klar: Einen schwulen Fußballer darf es für ihn einfach nicht geben. Und Corny Littmann, den Sie ja ebenfalls zitieren in Ihrem Buch, beschreibt die Atmosphäre im deutschen Fußball: Denn wenn du schwul bist oder lesbisch, sagt er, dann verstecke das. Halte die Klappe, sonst hältst du den sozialen Druck einfach nicht aus. Das ist für mich absolut beklemmend, das bedeutet nämlich, wer sich outet, wird fertiggemacht. Littmann hat das allerdings vor sieben Jahren gesagt. Hat sich seither etwas geändert?

Walther-Ahrens: Das ist immer so ein bisschen schwierig zu sagen. Auf der einen Seite hat sich ganz bestimmt was geändert, weil so jemand wie zum Beispiel Theo Zwanziger auch bereit ist, das Thema Homosexualität im Fußballsport offen anzusprechen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer noch ganz, ganz viele Leute, wie Otto Baric, die eben diese Klischees, die ja schon ganz lange transportiert werden, weitertragen und einfach immer noch davon ausgehen, dass Homosexualität etwas ist, was krank ist, was abnorm ist, was einfach nicht in unsere Gesellschaft gehört. Kirche meint ja ähnliches, das hilft auch nicht unbedingt, und im Sport gibt es ja immer noch ganz, ganz alte Strukturen, die sehr verkrustet sind, und wo es, glaube ich, sehr lange braucht, bis da auch von oben nach unten und von unten nach oben irgendwas bewegt werden kann. Das sind so zwei Gegensätze eigentlich, und ich hoffe, dass die Seite, wo sich was bewegt, die andere, die sich so partout überhaupt gar nicht bewegen will, irgendwann mal mitnimmt.

Hanselmann: Aber ich meine, ich kann das eigentlich gar nicht fassen, dass der Großteil der Gesellschaft zu diesem Thema aufgeklärt ist und damit auch offen umgeht. Politiker outen sich, Medienmenschen outen sich, ohne inzwischen große Probleme zu haben. Nur beim Fußball wird absolut gemauert, und was Sie eben beschrieben haben – Theo Zwanziger, Philipp Lahm ist auch dabei, diese Kampagne zu unterstützen –, das ist ja eine ganz zaghafte Kampagne, Homosexualität überhaupt erst mal, sozusagen, für diese Klientel gesellschaftsfähig zu machen. Also, woher kommt das, dass der Fußball da so eine …

Walther-Ahrens: Na, ich würde Ihnen da auch so ein bisschen widersprechen, …

Hanselmann: Gerne!

Walther-Ahrens: … ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir in der Gesellschaft schon so viel weiter sind. Natürlich haben wir einen schwulen Außenminister, wir haben hier in Berlin auch einen schwulen Bürgermeister. Aber ich bin mir sicher, es gibt in der Politik auch noch mehr Schwule und Lesben als nur die beiden. Wo sind die denn sichtbar? Oder auch im oberen Management der großen Firma, wo sind da die Schwulen und Lesben, warum sieht man die nicht? Und ich denke, dass auch in der Fernsehwelt oder in der Radiowelt mit Sicherheit mehr Schwule und Lesben sind, als offen, als out sind.

Ein Coming-out ist für Homosexuelle ja ein ganz, ganz großes Thema. Ich muss erst mal für mich klarkriegen, dass ich schwul oder lesbisch bin, dann muss ich mir überlegen, wem sage ich das jetzt – meistens ist es die Familie oder der Freundeskreis –, und dann kommt ja irgendwann erst diese Berufswelt. Und die Menschen sind ja immer weiter weg von mir, also, da habe ich ja ganz viel mit Leuten zu tun, die ich gar nicht wirklich kenne. Und ich weiß natürlich auch nie: Wie reagieren die auf mich? Deswegen ist – klar! – der Sportbereich bestimmt einer, der noch total konservativ ist, einfach durch seine Strukturen so ein Männer-Bund ja immer noch – ganz wenige Frauen mit drin –, was, glaube ich, dazu beiträgt, und auf der anderen Seite glaube ich auch nicht, dass die Gesellschaft so viel weiter vorne ist. Das sehen Sie auch, wenn Sie hier in Berlin gucken, dass schwule Überfall-Telefon Maneo, die haben ansteigende Zahlen zu vermelden und nicht rückgängige Zahlen.

Hanselmann: Gut, ich wollte natürlich jetzt nicht eine heile Welt entgegensetzen gegen die Fußball-Männer-Welt, aber es ist schon sehr auffällig, denn ich wüsste jetzt nicht von irgendeinem Profifußballer – oder können Sie mir ein Beispiel nennen, ein prominentes Beispiel von Outing im Männerfußball?

Walther-Ahrens: Nein, also generell im Sport gibt es eigentlich kein prominentes Outing eines Mannes. Es gibt ein paar offen lesbische Sportlerinnen, das ist die Imke Duplitzer, unsere Europameisterin im Fechten, oder die Radsportlerin Judith Arndt, aber im Männerbereich gibt es nur international Coming-Outs, und die kamen eigentlich auch erst am Ende der Karriere.

Hanselmann: Diese Angst davor, seine Homosexualität zuzugeben, oder das Problem, es öffentlich bekannt zu geben, ist das genau so stark im Frauenfußball wie im Männerfußball?

Walther-Ahrens: Das sind zwei schon auch unterschiedliche Bereiche, weil einfach der Frauenfußball natürlich auch gar nicht so im Fokus steht wie der Männerfußball. Deswegen ist es da nicht ganz so interessant, weil der gesamte Frauenfußball nicht ganz so interessant ist, und die Vorurteile sind natürlich total konträr. Im Frauenfußball gibt es nur Lesben, das ist ja völlig illusorisch anzunehmen, dass da auch Heterosexuelle spielen, was natürlich Quatsch ist, und umgekehrt ist natürlich im Männerfußball, es kann ja gar kein Schwuler Fußball spielen. Die können vielleicht Eiskunstlaufen und Standardtanzen, aber bestimmt nicht Fußball spielen – was natürlich genau so ein blödsinniges Klischee oder Vorurteil ist. Aber das sind so grobe Unterschiede. Und ansonsten wird im Frauenfußball intern, in den Teams oder in den Freundeskreisen schon offener damit umgegangen, als im Männerfußball das der Fall ist. Was aber mit Sicherheit auch mit der Prominenz des Sports zu tun hat.

Hanselmann: Also wenn der Frauenfußball prominenter würde, dann würde auch der Druck größer werden.

Walther-Ahrens: Das glaube ich mit Sicherheit. Ja.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Tanja Walther-Ahrens, sie ist Autorin des Buches "Seitenwechsel – Coming-out im Fußball". Frau Ahrens, Sie selbst waren jahrelang Fußballerin, ich habe es gesagt, unter anderem bei Tennis Borussia und bei Turbine Potsdam. Wie haben Sie eigentlich in Ihren Vereinen den Umgang mit dem Thema Homosexualität erlebt?

Walther-Ahrens: Das war eigentlich ein relativ offener Umgang. Es gab nur einmal eine kleine Situation hier auch bei Tennis Borussia, es ist natürlich auch jetzt schon Jahre her, ich weiß nicht, ob es heute noch immer so wäre, aber da sagte uns die damalige Managerin – ich war damals mit einer Frau zusammen, die auch mit mir Fußball gespielt hat –, wir mögen bitte nicht mehr Hand in Hand zum Training kommen, weil es könnte sein, dass die Eltern von den Mädchen, die ja auch hier Fußball spielen, dann nicht mehr möchten, dass ihre Kinder in so einem "Lesbenverein" Fußball spielen. Und das hat mich damals schon sehr getroffen, weil auch der Rest des Teams uns da relativ alleine gelassen hat und da eigentlich ähnlicher Meinung war. Und das war schon sehr prägend.

Hanselmann: Es wird auch dauernd geredet vom gemeinsam mit homosexuellen Spielerinnen oder Spielern dann unter die Dusche gehen müssen, und so weiter – Sie beschreiben das auch in Ihrem Buch und haben Meinungen dazu eingefangen –, jetzt möchte ich doch mal wissen: Was soll denn Ihrer Meinung nach eigentlich passieren? Warum sagen Sie nicht: Möglichst alle Fußballer und Fußballerinnen, die nicht Heteros sind und die in einer Profiliga spielen oder wo auch immer, sollten sich outen?

Walther-Ahrens: Na, so einfach ist es eben nicht mit dem Outing, das habe ich eben schon versucht zu erklären.

Hanselmann: Ist klar, ja.

Walther-Ahrens: Das ist immer ja auch so ein innerer Kampf mit sich selbst. Wann ist das Outing passend? Und es hat natürlich auch mit der Atmosphäre um mich herum zu tun. Wenn die Atmosphäre nicht stimmt, dann oute ich mich nicht, es ist so. Und auf der anderen Seite würden sich eventuell auch mehr outen, wenn da schon mehr wären, die out sind. Das eine bedingt immer das andere, deswegen ist es auch immer so ein bisschen schwierig, zu sagen: Ihr müsst das alleine machen oder ihr müsst das alleine machen. Ich glaube, die Schwulen und Lesben alleine schaffen es einfach nicht, solange die Gesellschaft an bestimmten Punkten auch noch so verbohrt ist. Also muss auch die Hilfe der Heterosexuellen kommen. Das ist ganz wichtig, dass das auch … zum Beispiel fängt es ja schon in der Schule an: Ich unterstelle ja den Kindern eigentlich, dass sie heterosexuell sind. Wenn ich einen kleinen Jungen da habe, frage ich dann immer: Und hast du schon eine Freundin? Warum frage ich den nicht: Hast du schon einen Freund oder eine Freundin?, also gebe ihm auch die Möglichkeit, beides zu sagen. Das finde ich ganz wichtig, dass wir da einfach ein bisschen mehr drüber nachdenken, alle.

Hanselmann: Sie sind auch international unterwegs. Gibt es vielleicht irgendein Land, wo die Sache schon besser läuft?

Walther-Ahrens: Im Sportbereich nicht, im Sportbereich sind wir mit Deutschland und dem DFB, die ja sehr viel unterstützen – zum Beispiel jetzt hier auch beim Berliner CSD, der ja im Juni ist, werden wir wieder mit einem Wagen teilnehmen, den der DFB auch unterstützt –, da ist es eher so, dass die anderen Länder so ein bisschen hier rüberschielen und denken: Das hätten wir auch gerne. Ansonsten ist es natürlich prinzipiell so, dass die EU-Länder ja schon mal auf die gleichen Rechte zurückgreifen können, was sehr vorteilhaft auch für den Sport ist, weil man immer noch sagen kann: Wenn das alles ganz schief läuft, müssen wir halt gucken, ob wir vor Gericht gehen können. Aber im Sportbereich sind wir in Deutschland hier schon die, die am weitesten vor sind.

Hanselmann: Immerhin! Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Ende dieses Gesprächs. Beim CSD wird wieder Joseph Blatter zitiert werden oder wurde zitiert: "Die Zukunft des Fußballs ist weiblich!", was auch immer …

Walther-Ahrens: Genau, das steht auf unserem Wagen wieder drauf.

Hanselmann: Ob er sich damit jetzt ranschmeißen will an die Fußballerinnen oder nicht, lassen wir mal dahingestellt sein. Ab 26. Juni wird es ein riesiges Fest geben in Deutschland, nämlich die Frauenfußball-WM. In welcher Form werden Sie dabei sein?

Walther-Ahrens: Oh, ich habe ganz viele Karten für ganz viele Spiele, und zwar nicht nur für deutsche Spiele. Ich mache so eine kleine Deutschlandrundreise und guck mir ganz viele Spiele an und werde auch im Rahmenprogramm des einen oder anderen bei irgendwelchen Veranstaltungen auftreten.

Hanselmann: Jetzt erklären Sie bitte mir zum Schluss noch: Was ist ein schwuler Querpass?

Walther-Ahrens: Ja, das sind die Pässe, die jedes Wochenende ganz oft passieren, und ich hab mir überlegt, das sind wahrscheinlich die ganz tollen Pässe, wo alle immer denken: Das ist ja ein richtig cooler Pass. Aber natürlich ist damit in der Regel der Pass gemeint, der überhaupt nicht ankommt.

Hanselmann: Vielen Dank, Tanja Walther-Ahrends, Autorin des Buches "Seitenwechsel", Untertitel "Coming–Out im Fußball". Dankeschön!

Walther-Ahrens: Ich danke auch!