Gala oder Aufgabe?

Von Kirsten Westhuis · 19.05.2012
Nach 50 Jahren ist immer noch nicht alles umgesetzt, was das Zweite Vatikanische Konzil an Reformen angestoßen hat. Und viele Katholiken beklagen, dass es nicht weiter geht, dass sie den frischen Wind von damals heute nicht mehr spüren.
"Herzlich Willkommen beim 98. Deutschen Katholikentag in Mannheim, herzlich Willkommen im Rosengarten. Wir gratulieren dem zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr seines 50. Geburtstags."

Perfekte Dramaturgie, Lightshow, die größten Hits der neuen geistlichen Lieder, Kabarett und Zeitzeugen aus den 60ern - mit einer großen Inszenierung, der Konzilsgala, feiert der Katholikentag das zweite vatikanische Konzil. Aber nicht alle feiern mit: der Konzilsteilnehmer Hans Küng hatte im Vorfeld seine Teilnahme aus Protest abgesagt und knapp 20 Aktive der Reformgruppen wie "Wir sind Kirche" halten vor der Feier friedlich singend eine Mahnwache:

"Dialog -jetzt" und "Aufbruch - jetzt!" steht in schwarzen Buchstaben auf gelben Schildern. Sie fragen, was es zu feiern gibt, sagt Christian Weisner von der Reformbewegung "Wir sind Kirche":

"Konzil ist sehr wichtig und es hat auch gute Veranstaltungen zum Konzil gegeben, aber die Frage, ob eine KonzilsGALA als historisch-heitere Erinnerung an das Konzil, ob das in der augenblicklichen Kirchensituation das richtige ist, das finden wir doch sehr, sehr fragwürdig."

"Aggiornamento" hieß der Aufruf von Papst Johannes XXIII. vor 50 Jahren: er wollte mit dem Konzil die Kirche öffnen und mit der Welt der Moderne zusammenbringen. Und tatsächlich kam Neues: zum Beispiel war die Gottesdienstsprache nicht länger Latein, sondern es wurde in den Landessprachen gefeiert. Die Laien, also die Katholiken an der Basis, wurden wichtiger und bekamen Mitspracherechte. Der Geist des Konzils prägte eine ganze Generation von Gläubigen - unter ihnen auch prominente Politiker wie Wolfgang Thierse und Norbert Lammert:

"Ich habe damals Stellungnahmen von Konzilstheologen mit einer Aufregung verfolgt, wie heute junge Leute ähnlich bedeutende Statements von Schauspielern und Fußballstars."

"Ich erinnere mich sehr gut an die Begeisterung über das, was wir vom Konzil mitbekommen haben. Ein verändertes Kirchenbild, die Kirche ist nicht etwas fertiges, ein großartiges Gebäude, sondern sie ist wanderndes Volk Gottes, sie ist unterwegs."

"Und nie ist meine Identifikation mit der katholischen Kirche auch nur annähernd so groß gewesen wie in diesen drei Jahren."
Diese Erfahrungen von Thierse und Lammert teilen viele Katholiken, die nach Mannheim gekommen sind: Die Turnhallen und Säle mit den Veranstaltungen zum Konzil sind voll. Doch nur mit schöner Erinnerung begnügt sich hier niemand. Norbert Lammert spricht bei einer Podiumsveranstaltung deutlich aus, dass von dem frischen Konzilswind heute nicht mehr viel zu spüren ist - und trifft damit den Nerv der Zuschauer, die ihn immer wieder mit lautem Beifall unterbrechen.

"Wenn ich, zugegeben zugespitzt, die Situation heute mit meiner Wahrnehmung damals vergleiche, registriere ich Stagnation statt Aufbruch, den Vorrang der Dogmatik vor der Pastorale, die konsequente Zentralisierung aller kirchenpolitischen Zuständigkeiten vor der damals verkündeten Selbstverantwortung der Ortskirchen."

Statt mit einer prunkvollen Gala zu feiern, sollte der Katholikentag das Kernanliegen des Konzils noch mal besonders deutlich machen und auf das Jahr 2012 beziehen, meint der Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach. Die tiefen Risse in der Gesellschaft, die Kluft zwischen arm und reich, alt und jung, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern - das seien die prägenden Zeichen dieser Zeit, die Lebenswirklichkeit der Menschen heute, sagt der Sozialethiker:

"Da meine ich, wäre dieser Verteilungskonflikt regional, weltweit und innerhalb der nationalen Gesellschaft, eigentlich die zentrale Herausforderung gewesen für so nen Katholikentag!"

Wie weit Kirche und Welt vor 50 Jahren auseinander lagen, zeigt das Beispiel der Ökumene. Dass sie als wichtiges Thema im Konzil landete, sei nur einem "grandiosen Missverständnis" zu verdanken, wie es der Theologe Otto Hermann Pesch nennt:

"Der Papst hatte dem Konzil die Aufgabe gestellt, die Einheit der Christen zu stärken. Dabei hatte er nachweislich an die Einheit der Katholiken gedacht, aber die Weltöffentlichkeit verstand das Stichwort von der Einheit der Christen auch im Blick auf die von Rom getrennten Christen überall auf der Welt."

Ein Dammbruch für die Ökumene, sagt Pesch. Fünf Jahrzehnte später geht es vielen Katholiken nicht mehr genug voran mit der Ökumene. Im Gegenteil - sie befürchten einen Rückfall hinter das Konzil.

"Wenn man so in die katholische Szene zurzeit reinschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, da ist ein großes, strategisch-gezieltes Rollback in Gange. Das ist nicht der Fall. Es sind nur die vielen kleinen Einzeldinge, da wieder mal die Verurteilung eines ökumenisch engagierten Theologen und so weiter und so weiter. Dass das den Eindruck des Rollback macht, liegt daran, dass es in Rom in der Kurie keine Regierung gibt, also auch keine Kabinettssitzungen und daher die römischen Behörden aneinander vorbei und ohne den nötigen Kontakt miteinander agieren."

Dabei sollten Machtstrukturen und Zentralismus mit dem Konzil abgebaut werden. Die Bischöfe in den einzelnen Ländern wurden gestärkt und - das wichtigste - an vorderster Stelle sollten nun die Gläubigen stehen. Nicht länger waren sie nur Beiwerk, sie selbst bilden als Volk Gottes die Kirche:

"Das Konzil war und bedeutete und bedeutet einen Geist großer Sympathie für den Menschen,"

sagt Cesare Zucconi von der Gemeinschaft St. Egidio, die sich als Studentenbewegung in der Aufbruchszeit nach dem Konzil gründete. Für die Menschen heute, im Jahr 2012, bedeutet das Konzil Hoffnung und Anspruch gleichzeitig, sagt die Pastoraltheologin Regina Leimgruber:

"Es macht Mut, dass das Evangelium, das heißt die Wurzel unseres Glaubens, die Tradition, heute in der Gegenwart tatsächlich relevant für das Leben der Menschen ist und zwar für meins, für Ihrs und für aller Leben. Und: es erfordert Mut, sich der theologischen Botschaft und der pastoralen Aufgabe auszusetzen, denn die Botschaft ist nicht für die Kirche da, sondern die Kirche für ihre Botschaft und für die Menschen."

Und zwar besonders für die Menschen am Rande, betont sie. Das sind heute innerhalb der Kirche auch die nach Scheidung Wiederverheirateten, Homosexuelle, die in Partnerschaft leben oder die Frauen, die geistliche Ämter ausüben wollen.

50 Jahre Konzil - das ist auf dem Katholikentag nicht nur die feierliche Gala, sondern auch die klare Konfrontation mit den Dingen, die in der katholischen Kirche aus Sicht der Gläubigen heute nicht rund laufen. Darunter mischt sich die wehmütige Erinnerung an eine Zeit der großen Hoffnungen einer aufbrechenden, lebendigen und freien Kirche - nach der sich viele Katholiken an der Basis auch heute sehnen:

"Ich bin dafür, dass die Sachen umgesetzt werden, die damals beschlossen worden sind. Dass WIR Kirche sind vor allem, dass ich als Laie was zu sagen hab."

"Das zweite vatikanische Konzil ist also mindestens mal die Grundlage dessen, was wir heute in der Kirche."

"Es hat sich anscheinend immer noch nicht rumgesprochen, dass Frauen wichtig wären für die Kirche und dass sie was zu sagen hätten und ich begreif immer noch nicht, warum es keine weiblichen Diakone gibt."

"Es gibt halt so Lichtblicke, zum Beispiel Jugendarbeit, Jugend die Gebete vorbereitet, die sich engagiert und das sind dann für mich so Sachen wo man sieht, dass die Kirche doch noch lebt und die einem auch Hoffnung geben, damit weiterzumachen, was man macht."


Weitere Informationen zum Deutschen Katholikentag auf dradio.de:

Eine zukunftsfähige katholische Kirche? - 98. Deutscher Katholikentag in Mannheim