Gaddafi-Verfahren hängt in der Luft

Kai Ambos im Gespräch mit Katrin Heise · 02.11.2011
Solange der Tod des Ex-Machthabers nicht hundertprozentig erwiesen ist, zum Beispiel durch eine Autopsie unabhängiger Mediziner, bleibt die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof bestehen. Verschwörungstheorien wären sonst Tür und Tor geöffnet, sagt Kai Ambos.
Katrin Heise: Die Bilder des am 20. Oktober getöteten libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi gingen ja um die Welt, lösten Diskussionen aus, ebenso die tagelange Zur-Schau-Stellung des Leichnams in einem Kühlhaus in Misrata. Die genauen Umstände des Todes sind nicht geklärt. Den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) stellt das vor Probleme, denn Gaddafi ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, und der Gerichtshof hat sich von dem Tod Gaddafis nicht richtig überzeugen können. Was diese Unsicherheit bedeutet, darüber möchte ich jetzt mit Kai Ambos sprechen, er ist Professor für Strafrecht mit Schwerpunkt Internationales Strafrecht an der Universität Göttingen. Ich grüße Sie, Herr Ambos!

Kai Ambos: Ja, guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Warum und von wem werden eigentlich Zweifel angemeldet, ob Gaddafi wirklich tot ist? Ich meine, die Bilder des Leichnams gingen ja tatsächlich um die Welt, wir haben sie alle gesehen.

Ambos: Na, in der arabischen Welt wird zumindest diskutiert, ob tatsächlich Gaddafi tot ist, auch wenn das für uns offensichtlich zu sein scheint. Da gibt es doch eine gesunde Skepsis hinsichtlich des Todes, auch weil dort gesagt wird, ich zitiere jetzt Kollegen, dass es natürlich gewisse Interessen gibt von der NATO, insbesondere von den USA, Gaddafi für tot zu erklären, weil er ja doch sehr viel Kenntnisse hat über die Zusammenarbeit mit den USA und anderen NATO-Staaten.

Heise: Geht es jetzt um den Zweifel an der Art und Weise des Todes oder ob er überhaupt tot ist?

Ambos: Also skeptische arabische Kollegen würden jedenfalls nicht aufgrund von Erklärungen des libyschen Übergangsrates und der Autopsie, die in Libyen durchgeführt wurde von einem libyschen Arzt, das so ohne Weiteres glauben, dass die Person, die da für tot erklärt wurde, auch wirklich Gaddafi ist.

Heise: Der Strafgerichtshof hatte keine Gelegenheit, sich vom Tod zu überzeugen, oder?

Ambos: Weder der Strafgerichtshof noch irgendeine andere unabhängige Organisation, auch nicht die UNO etwa, also auch keine sonstige Organisation, die nicht direkt mit den Libyern verbunden ist. Die Libyer selbst haben das nur erklärt.

Heise: Bei vor dem Strafgerichtshof Angeklagten – ist das normalerweise üblich, wenn die zu Tode kommen, dass der Strafgerichtshof sich überzeugt?

Ambos: Wir haben zwei Präzedenzfälle im Bereich Uganda. Es gibt ja ein Ermittlungsverfahren wegen dieser sehr bekannten Rebellenorganisation, der Lord‘s Resistance Army, gegen Führer von dieser Organisation, und da gab es auch zwei für tot erklärte Angeklagte, mit Haftbefehl gesuchte Personen, und in beiden Fällen hat der Strafgerichtshof erst gehandelt, nachdem ein DNA-Bericht des niederländischen gerichtsmedizinischen Instituts vorgelegen hat. Interessanterweise hat er in einem Fall dann das Verfahren eingestellt, weil der Tod bestätigt wurde, allerdings hat das zahlreiche Monate gedauert, und im anderen Fall ist das DNA-Ergebnis zu einem anderen Ergebnis gekommen, da wurde nämlich keine Übereinstimmung festgestellt, und die Person, die für tot erklärt worden war und die vom IStGH gesucht wurde, wurde dann nicht … es wurde dann nicht bestätigt, dass die wirklich tot war, und da wurde das Verfahren dann nicht eingestellt. Und gerade aufgrund dieser Erfahrungen wird natürlich der Strafgerichtshof keine Entscheidung treffen, ohne eine ähnliche Bestätigung zu haben.

Heise: Das heißt, die Akte Gaddafi kann nicht geschlossen werden?

Ambos: Die kann so lange nicht geschlossen werden, solange man eben keine unabhängige Bestätigung hat, und letztendlich: Ganz sicher kann der Strafgerichtshof natürlich nur sein, wenn seine eigenen Ermittler vor Ort eine Untersuchung durchführen können, auch einen DNA-Test durchführen können. Das wird dann in der Regel delegiert, etwa an das niederländische gerichtsmedizinische Institut, aber vorher kann man das Verfahren nicht einstellen. Das würde man ja auch im nationalen Strafverfahren nicht tun. Also man stellt eben wegen Todes nur dann ein, wenn tatsächlich bestätigt ist, hundertprozentig bestätigt ist, dass die Person, gegen die das Verfahren laufen soll, auch wirklich tot ist.

Heise: Das heißt momentan: Wenn man sich eben gerade… Ist man im Begriff, mit der libyschen Übergangsregierung zusammenzuarbeiten, um so einen DNA-Test durchführen zu können?

Ambos: Na ja, es gibt Druck auf die libysche Übergangsregierung, nicht nur jetzt im IStGH, auch von der EU oder auch von den USA, auch von Nichtregierungsorganisationen, dass man die Autopsie durchführen muss, wobei da natürlich auch nicht so sehr der Grund im Vordergrund steht, dass der Tod bestätigt werden soll für das Verfahren in Den Haag, sondern auch die Frage der Umstände, worauf Sie ja eben schon angespielt hatten. Aber es gibt natürlich allgemein die Auffassung in der Szene, will ich mal sagen, dass man in einem solchen doch sehr delikaten Fall eines ehemaligen Staatschefs unabhängige Gutachter braucht, die bestätigen, erstens, dass es die Person ist, die da tot ist, und zweitens, wie sie zu Tode gekommen ist.

Heise: Ja. Was für Folgen hätte eine andere Verfahrensweise für künftige Fälle?

Ambos: Wenn jetzt der IStGH aufgrund der Meldung, sozusagen der Pressemeldung oder der Aussage der libyschen Übergangsregierung das Verfahren einstellen würde, …

Heise: Ja, und auch der Bilder, Bilder haben wir auch gehabt, aber gut, wir wissen ja, wie Bilder manipuliert werden können.

Ambos: Klar. Wir hatten ja den ähnlichen Fall, wenn ich Sie erinnern darf, dass es hieß, der Sohn Al Saif war festgenommen worden und dann hat sich der Chefankläger gleich per Interview geäußert, dass er in Verhandlungen steht mit der Übergangsregierung zur Überstellung, und dann kam eben raus, dass der überhaupt nicht festgenommen war. Und auch aufgrund dieser Erfahrung in solchen Konflikten in der arabischen Welt, in Afrika oder auch in anderen Teilen der Welt muss man sehr vorsichtig mit solchen Aussagen sein. Und wenn man das anerkennen würde und zu einer Verfahrenseinstellung kommen würde, dann würde man ja geradezu andere Personen, die gesucht werden – und das sind noch einige, wenn Sie mal auf die Webseite des IStGH gehen, die sich irgendwo in der Welt befinden –, dazu einladen, sich irgendwie für tot erklären zu lasen. Und es ist sehr, sehr einfach, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, in Afrika eine Todesurkunde zu bekommen. Das kostet halt ein bisschen was, aber die bekommt man da ohne Weiteres. Also wenn man sich darauf einlässt, dann öffnet man da alle Schleusen für irgendwelche Missbräuche.

Heise: Die Akte von Gaddafi beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird also nicht geschlossen wegen Unsicherheit über seinen Tod. Im Deutschlandradio Kultur hören Sie dazu den Strafrechtler Kai Ambos. Herr Ambos, wie war eigentlich der Stand des Verfahrens zum Zeitpunkt der Todesmeldung?

Ambos: Na ja, wir haben einen Haftbefehl, es gibt ja im IStGH einen Antrag auf einen Haftbefehl durch die Staatsanwaltschaft, durch die Verfolgungsbehörde, und der muss dann bestätigt werden von den Richtern. Da gibt es eine Kammer mit drei Richtern, die darüber entscheiden muss, und die hat den eben bestätigt, und wenn der richterlich bestätigt ist, hat man einen richtigen Haftbefehl, der an alle Staaten geht, an Interpol und so weiter, und der dann eben exekutiert werden muss, und das ist der Stand der Dinge, und solange man den nicht exekutiert, solange man die Person nicht in Den Haag hat, kann man da auch nicht viel mehr weiter machen.

Heise: Jetzt gibt es einen anderen Fall oder beziehungsweise im Fall Gaddafi noch eine andere Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof: Die Familie Gaddafis soll angeblich Anklage erhoben haben, Anzeige wegen Tötung als Kriegsverbrechen.

Ambos: Genau. Also man muss ja unterscheiden, das ist eine Anzeige, wie Sie jetzt zuletzt richtig gesagt haben. Es ist ja auch im Gaddafi-Verfahren gegen Gaddafi, seinen Sohn und den Senussi, den Geheimdienstchef, ist ja auch noch keine Anklage ergangen, sondern zunächst mal nur ein Haftbefehl. Man hat eben gewisse Informationen. Woher bekommt man die Informationen? Die kann man bekommen von Opfern, von Betroffenen, und in dem Fall hat eben die Familie Gaddafi eine Anzeige erstattet, wobei das zunächst mal nur die faktische Information ist, die nach Den Haag geliefert wird, es gibt tausende von Anzeigen, die da nach Den Haagn kommen zum IStGH. Und das muss dann eben jetzt weiter behandelt werden, zunächst mal die Solidität der Information, aber auch dafür müsste man natürlich eine unabhängige Autopsie durchführen und feststellen, wie Gaddafi zu Tode gekommen ist.

Heise: Sie haben vorhin einen Verdacht geäußert, nämlich den Verdacht, der im arabischen Raum besteht, dass Gaddafi auf Betreiben der USA und der NATO getötet worden wäre, weil er eben zu viel wusste. Wie verbreitet ist eigentlich im arabischen Raum das Misstrauen gegen den Westen in diesem Fall?

Ambos: Es ist ziemlich verbreitet. Es erscheint diese Tage ein Artikel in der wichtigsten ägyptischen Zeitung "Al Ahram" zu diesem Thema, wo diese ganze Problematik – Gaddafis Tod, Tötung – problematisiert wird. Viele Leute können das natürlich nicht unbedingt schreiben, was sie denken, auch weil sie in offiziellen Positionen sind, aber ich weiß das aus Gesprächen: Auch die Art und Weise der Tötung, also wer da genau Gaddafi getötet hat, ob das jetzt ein Rebell war oder ob die NATO doch irgendwie beteiligt war, ist alles nicht geklärt. Und für die Verschwörungstheoretiker, zu denen ich mich jetzt nicht zählen würde, ist das natürlich ein gefundenes Fressen, wenn man solche Sachen nicht eindeutig klärt. Es ist ein ganz schlechter Start auch für eine neue Regierung, dass man das nicht endgültig klärt und da nicht alle Zweifel aus dem Weg räumt.

Heise: Es gibt Präzedenzfälle, von denen haben Sie uns am Anfang erzählt, und man will mit Gaddafi keinen neuen Präzedenzfall vorm Strafgerichtshof führen oder sich anmaßen. Würden denn auch irgendwelche Konsequenzen gezogen werden vom International Strafgerichtshof aus diesem Fall?

Ambos: Na ja, der Inhalt seines Strafrechts, der macht eben nichts, also das wäre formal ja so: Die Staatsanwaltschaft könnte beantragen, das Verfahren einzustellen, oder die Kammer, die Richter machen das von Amts wegen, aber die werden eben nichts tun, wie sie es eben vorher auch schon gemacht haben im Falle Ugandas: Die Initiative muss ausgehen von den Libyern oder von eben … der Möglichkeit zu eröffnen, dass man das untersucht, und erst, wenn man eine sichere, solide, wissenschaftliche, gerichtsmedizinische Auskunft hat, dann kann man im Verfahren selbst die entsprechenden Schritte vornehmen. Aber sonst wird das eben so in der Luft hängen. Wenn wir vielleicht in sechs Monaten oder in einem Jahr es tatsächlich wissen, dann wird es vielleicht eingestellt, aber solange das nur auf der Grundlage der bisherigen journalistischen Informationen und Auskünfte des libyschen Übergangsrat ist, wird da nichts passieren.

Heise: Informationen von Kai Ambos, Strafrechtler an der Universität Göttingen. Vielen Dank, Herr Ambos, für das Gespräch!

Ambos: Bitte schön!

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"Aktuell" vom 20.10.2011: Gaddafi auf der Flucht erschossen - Nationaler Übergangsrat meldet Tod des früheren Machthabers