G7-Gipfel in Kanada

Da waren's nur noch sechs

G7 in Kanada
Kanada: Aktivisten von Oxfam mit Masken der G7-Gipfel-Teilnehmer Giuseppe Conte (l-r), Angela Merkel (CDU), Justin Trudeau, Theresa May, Shinzo Abe, Donald Trump und Emmanuel Macron. © picutre alliance/dpa/Foto: Michael Kappeler
Von Jörg Himmelreich · 08.06.2018
Beim G7-Gipfel in Kanada, der am Freitag beginnt, steht Trump mit seinem nationalen Protektionismus wohl gegen alle anderen. Wenn Europa in diesem Machtspiel nicht untergehen will, muss es sich endlich neu aufstellen, findet Politikwissenschaftler Jörg Himmelreich.
Wenn sich heute die Gruppe der Sieben in Kanada trifft, so ähnelt ihre 44. Gipfelkonferenz mehr denn je dem Ritual eines Oberammergauer Historienschauspiels. Eine nostalgische Erinnerung an längst vergangene Zeiten, und nicht mehr. Damals, 1975, ging es den westlichen, größten Volkswirtschaften der Welt darum, sich in allen Fragen der Weltwirtschaft miteinander abzustimmen. Heute hingegen durchzieht ein tiefer Bruch diese einstige westliche Gemeinschaft: eher G1 vs. 6 statt G7.
Denn wie ein irrer, politischer Amokläufer zerstört Trump all das, wofür die G7 einst stand. Seine Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran ist nur der letzte Höhepunkt seiner blinden Zerstörungswut. Rücksichtslose, nationalistische Alleingänge statt westlicher Kooperation und multilateraler Diplomatie. Mit US-Strafzöllen für europäische Stahl- und Aluminium-Importe und Zollerhöhungen für den Auto-Import erklärt Trump jetzt sogar seinen westlichen Verbündeten den Wirtschaftskrieg.
Wirtschaftssanktionen, amerikanische Wirtschaftsmacht und amerikanische Absatzmärkte sind die neue Währung der Macht, mit der Trump jetzt auch die Europäer versucht, auf seinen nationalen politischen Kurs zu zwingen. Mit G7 hat dieser kurzsichtige Wirtschaftsprotektionismus eines "America first" nichts mehr zu tun.

Nach Trump wird es nicht unbedingt besser

Das die Welt prägende Kapitel einer engen transatlantischen Gemeinschaft zwischen den USA und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gelangt damit an sein Ende. Die USA werden wieder die pazifische Macht, die sie nach ihrem Selbstverständnis historisch immer waren. Denn machen wir uns nichts vor: so erratisch, kindisch und verrückt die Politik Trumps ist, oft setzt sie Politik seiner Vorgänger nur fort.
Auch George W. Bush teilte die Welt in Freunde und Feinde der USA auf, nur: jetzt sind auch die Europäer Wirtschaftsfeinde. Obamas Politik des Vorrangs von Asien in der amerikanischen Weltpolitik ist der Vorläufer von Trumps Fixierung auf Chinas Wirtschaftsmacht und Koreas Nuklearmacht. Die Nachfolger von Trump werden diese neuen Grundorientierungen amerikanischer Weltpolitik im Grundsatz fortsetzen. Die Hoffnung, wir müssten nur Trump aussitzen, dann werde alles besser, ist eine Chimäre.

Notwendige Reformen für Europa

Das jetzige, neue Kapitel der Weltgeschichte birgt jedoch neue Chancen für eine Vertiefung der europäischen Gemeinschaft. Denn ohne den wirtschaftlichen und militärischen Schutz der USA ist Europa zu höherer Geschlossenheit gezwungen. China und Russland erhöhen zügig ihre wirtschaftlichen und militärischen Einflussmöglichkeiten weltweit, auch in Europa. Um unter diesen rasant sich verändernden Rahmenbedingungen Europa wirtschaftlich und sicherheitspolitisch überhaupt noch in der Weltpolitik eine Stimme zu geben, bedarf es dringender und schmerzlicher Reformen, vor allem für eine gemeinsame Verteidigungs-, Außen- und Wirtschaftspolitik.
Der Reformkatalog ist schier endlos. Dazu gehört: in der Außenpolitik das Einstimmigkeitsprinzip aufzugeben, aber auch Mechanismen zu schaffen, Mitglieder aus der EU oder dem Euro auszuschließen, die die Demokratiegrundsätze der EU verlassen haben oder die Euro-Bedingungen dauerhaft nicht mehr erfüllen. Dabei bleibt der Begriff eines "Kerneuropa", der zentrale Gedanke des Schäuble-Lamers-Papiers von 1994, unverändert aktuell: Berlin und Paris treiben als Kerneuropa solch revolutionäre EU-Reformen mit aller gebotenen Rücksichtslosigkeit voran.
Andere EU-Staaten müssen dann entscheiden, ob sie an solch einem neuen Kerneuropa später noch teilnehmen wollen – oder eben nicht. Das wird wie immer viel Geschrei und Gezeter verursachen. Aber andernfalls wird Europa in der Welt gar keine politische Bedeutung mehr haben, und andere werden versuchen zu bestimmen, was Europa zu tun hat. Heute sind es die USA, und morgen?

Der Politikwissenschaftler Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent in Washington, Moskau, und London.

© Peter Ptassek
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