G20 und Afrika

Wenig Hoffnung bei Malis Flüchtlingen

Jugendliche und junge Männer im Haus der Migranten in Gao im Nordosten von Mali
Jugendliche und junge Männer im Haus der Migranten in Gao im Nordosten von Mali © Bettina Rühl
Von Bettina Rühl · 06.07.2017
Perspektiven für Afrika eröffnen, ist ein Thema beim G20-Gipfel in Hamburg. So soll Flucht verhindert und aus Europa abgeschobenen Menschen wirtschaftlich auf die Beine geholfen werden. Dass die Vision wenig mit der Realität zu tun hat, konnte Bettina Rühl in Mali beobachten.
Der Fernseher läuft, Ibrahim sitzt zwischen jungen Männern auf einer schmalen Holzbank und starrt teilnahmslos auf den Bildschirm. Der 17-Jährige kann sich nicht konzentrieren, denkt ständig an das, was er in den vergangenen sechs Wochen erlebt hat: Der Jugendliche aus Guinea wollte mit seinem Freund Mamadou quer durch Burkina Faso, Mali und Algerien bis in die algerische Hauptstadt Algier. Bevor sie dort ankamen, haben sie aufgegeben und sind jetzt wieder auf dem Rückweg. Verstört beschreibt Ibrahim einzelne Erinnerungen.
"Ich hatte Angst, weil ich gesehen habe, dass andere das nicht überleben. Ich habe Menschen sterben sehen. Jetzt möchte ich nur noch nach Hause."
Ibrahim hat eine zierliche Figur, wirkt jünger als die 17 Jahre, die er als sein Alter angibt. Sobald er über das Erlebte spricht, ist er den Tränen nahe. Die beiden Jugendlichen sind jetzt im "Haus der Migranten", das die Caritas in Gao betreibt und das seit vielen Jahren von der deutschen Caritas unterstützt wird. Mamadou will die bruchstückhafte Erzählung seines Freundes ergänzen, sucht nach den richtigen Worten. Er ist ein Jahr älter als Ibrahim und wirkt auch etwas gefasster als sein Freund.
"Diejenigen, die da gestorben sind, haben sogar Kinder zurückgelassen. Sie wurden zu Tode geprügelt. Geschlagen und geschlagen, bis überall Blut rauskam."
Mamadou zeigt auf seine Ohren und seine Nase.
"Ich habe gesehen, wie Menschen vor mir zusammen brachen. Das hat mir große Angst gemacht."

Milizionäre rauben Flüchtlinge aus

Drei Tage lang mussten die beiden durch die Wüste marschieren. Einer ihrer Schlepper hatte sie 25 Kilometer vor dem vereinbarten Ziel ausgesetzt, zusammen mit 23 weiteren Passiergen: sie sollten zu Fuß in die nächste Stadt gehen. Drei Menschen legten sich vor den Augen der Jugendlichen zum Sterben in den Sand. Vor ihrer Reise Richtung Algier hatten die beiden noch nie einen Toten gesehen. Sie wuchsen zwar in bescheidenen Verhältnissen, aber behütet auf. Ibrahim ist in der 10. Klasse, sein Freund Mamadou in der 11. Trotzdem wollten die beiden nach Algerien, weil die Erdölnation viel reicher ist als Guinea. Europa sei nie ihr Ziel gewesen, sagen sie.
"Wir dachten beide, dass sich auf jeden Fall etwas ändert, wenn wir aus Guinea weggehen. Dass wir einen Job finden und weiter zur Schule gehen können."
Das war ihr Traum. Die Realität: Unterwegs wurden sie immer wieder ausgeraubt und geschlagen. Von Militärangehörigen oder Milizionären, die in allen Sahel-Ländern illegale Straßensperren errichten, an denen sie Migranten abfangen. Wenn die nächsten Wegelagerer bei ihren Opfern nichts mehr finden, geraten manche darüber so in Wut, dass sie die Reisenden zu Tode prügeln. Ibrahim und Mamadou überlebten immerhin bis Khalil, eine Stadt an der malisch-algerischen Grenze.
Dort wollten sie zunächst auf einer Baustelle Geld verdienen, um für die restlichen 2000 Kilometer bis nach Algier bezahlen zu können. Sie schliefen auf dem nackten Boden, aßen wenig, verdienten fast nichts. Bald wollten sie nur noch nach Hause. Sie fanden jemanden, der ihnen Geld für die Rückfahrt schenkte und schließlich Unterschlupf bei der Caritas in Gao, einer Etappe auf ihrem Weg nach Guinea.
"Hier tun einige so, als sei das alles nicht ihr Problem – und damit meine ich jetzt malische und andere Regierungsvertreter."

EU-Gelder für Rückkehrer versickern

Eric Alain Kamdem leitet das "Haus der Migranten" in Gao. Wer es bis hierhin schafft, bekommt eine Unterkunft, zu essen und zu trinken. Im Notfall wird die medizinische Behandlung bezahlt. Und Kamdem hilft den Reisenden weiter, wenn sie zurück nach Hause wollen. Aber er ist spürbar frustriert. Auf die Frage nach dem Geld, das die EU Mali und anderen Staaten schon vor zwei Jahren auf dem Migrationsgipfel von Valetta versprochen haben, lacht er kurz bitter auf.
"Ich finde das alles ein bisschen jämmerlich. Wem nutzt dieses ganze Geld? Vor Ort spüre ich davon nichts. Nehmen wir unsere Einrichtung als Beispiel. Wir sind schon lange als seriös bekannt, Vertreter der malischen Regierung und die Bevölkerung schicken Migranten zu uns, die in Schwierigkeiten sind oder zurück nach Hause wollen. Eigentlich müssten wir genug Geld haben, um den Menschen die Rückfahrt bis in ihre Heimat zu zahlen. Es reicht aber höchstens für die Fahrt bis in die malische Hauptstadt Bamako."
Dort hängen dann viele Migranten für Monate fest – ohne einen Cent in der Tasche, im besten Fall notdürftig untergebracht bei anderen Hilfsorganisationen, die ebenfalls kaum genug Geld haben. Und das trotz aller Versprechungen nach dem Migrationsgipfel vor gut anderthalb Jahren. Wegen dieser Erfahrung erhofft sich Kamdem weder von dem G20-Gipfel etwas, noch glaubt er an die Afrika-Agenda der deutschen Kanzlerin Merkel, also an das Versprechen eines besseren Migrationsmanagements.
"Wenn man an die ganzen Summen denkt, die sie unserer Regierung versprochen haben – es tut mir leid, aber wir wissen doch, dass hier öffentliche Mittel veruntreut werden."
Kamdem ist fest davon überzeugt, dass die versprochenen Gelder auch in Zukunft nicht den Migranten vor Ort zugute kommen werden. Ibrahim und Mamadou jedenfalls wissen noch nicht einmal, wie sie zurück nach Hause kommen sollen, um dort ihre neuen Träume zu verwirklichen:
"Wenn ich geahnt hätte, was man auf so einer Reise durch die Wüste erleidet, wäre ich nie losgezogen. Es ging mir zu Hause gar nicht schlecht. Ich hoffe, dass die Leute hier uns helfen, nach Hause zu kommen. Ich würde gerne weiter zur Schule gehen und meinen Abschluss machen, aber wir haben kein Geld für die Rückfahrt."
Der aus Deutschland abgeschobene Mamadou Dramé
Der aus Deutschland abgeschobene Malier Mamadou Dramé will nicht zurück in sein Heimatdorf.© Bettina Rühl
1200 Kilometer weiter südlich, in Bamako, ist Mamadou Dramé gestrandet. Der 23-Jährige ist Malier und somit immerhin in seinem Heimatland, stammt aber eigentlich aus einem kleinen Dorf etwa 30 Kilometer entfernt. Nach Bamako ist er nicht freiwillig gekommen, sondern als Abgeschobener aus Merseburg bei Halle.
"Ja ich bin da fünf Jahre Deutschland. Ich kann sagen Deutschland.... Deutsch aber ich kann nicht schreiben, ja. Autorin: Was haben Sie denn in Deutschland gemacht? 3:05 keine Papiere in Deutschland, ich muss nach Hause gehen. Ohne Papiere."

Aus Scham keine Rückkehr ins Heimatdorf

Jetzt wohnt er in einem kleinen Zimmer, das leer ist bis auf eine Matte auf dem Boden. Dramé hat keinen Job, kein Geld, kann die Miete nicht zahlen. Der Vermieter ist der Freund eines Freundes, hatte zunächst Mitleid und deshalb Geduld, aber die ist nun, nach drei Monaten, verbraucht: Dramé soll jetzt ausziehen. Der aber hat keine Ahnung wohin. In sein Heimatdorf will er auf gar keinen Fall, er schämt sich für sein Scheitern. Sein Vater sieht das genauso, spricht nicht mehr mit seinem Sohn. Außerdem hat Dramé auch noch Schulden bei seinem Onkel:
"Ich bin mit einem Boot übergesetzt, er hat dafür bezahlt. Ich glaube, ungefähr 1000 Euro."
Wie viel es genau war, hat Dramé nie gefragt – er hat seinen Onkel einfach alles bezahlen lassen. Der will sein Geld natürlich zurück, das er selbst hart genug als Händler in Mali verdient hat. Der Onkel sei gegen sein Abenteuer gewesen, räumt Dramé ein, aber in ihrer Kultur fällt es schwer, sich dem Wunsch eines Verwandten zu verweigern. Also zahlte der Onkel obwohl er nicht daran glaubte, dass sein Neffe in Europa eine Chance haben würde: Dramé besuchte nur zwei Jahre die Koranschule, selbst sein Französisch ist schlecht, von seinem Deutsch ganz zu schweigen. Fünf Jahre lang wartete Dramé in Deutschland auf seinen Asylstatus und eine Arbeitserlaubnis. Beides wurde abgelehnt, Dramé schließlich abgeschoben.
"Hier habe ich keine Arbeit gefunden. Ich habe mit einem Freund ein Projekt entwickelt, wir wollen eine Farm gründen und Salat und Tomaten anbauen, aber wir haben noch niemanden gefunden, der das finanziert."
Drei Monate nach seiner erzwungenen Ankunft in Bamako ist Dramé fast verzweifelter, als am Tag seiner Abschiebung.
"Wenn es hier kein Projekt für mich gibt, und wenn ich es schaffe jemanden zu finden, der mir nochmal das Geld für die Überfahrt gibt, dann werde ich mich wieder auf den Weg machen. Von nichts kann ich hier nicht überleben."
Von Deutschlands Plänen, Rückkehrern in ihrer Heimat wirtschaftlich auf die Füße zu helfen, hat er noch nicht einmal gehört.
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