Fußball in Afrika

Rezensiert von Florian Felix Weyh · 01.05.2010
Oliver G. Becker und Bartolomäus Grill beschreiben in ihren Büchern den afrikanischen Fußball vor der ersten Weltmeisterschaft auf dem Kontinent. Während "Voodoo im Strafraum" auf außergewöhnliche Dinge wie spezifische "Mannschaftsbetreuer" eingeht, zeigt "Laduuuuuma!", dass Fußball in Afrika ein viel großräumigeres soziales und gesellschaftliches Phänomen als hierzulande ist.
52 zu Null ist im Weltfußball ein eher seltenes Ergebnis und klingt nach dem Zusammentreffen einer perfekten mit einer grotesk unterlegenen Mannschaft. Betrachtet man dieses Ergebnis jedoch durch die Brille örtlicher Besonderheiten, spiegelt es nicht mal einen außergewöhnlichen Triumph wider, sondern scheint eher zu bestätigen, was man als Europäer schon mal naserümpfend über den schwarzen Kontinent denkt:

"Vermutlich wird auf keinem Kontinent so häufig aus drei Metern Entfernung über die Querlatte oder neben die Pfosten gedroschen wie in Afrika."

Denn was war in diesem Spiel zweier afrikanischer Nationalmannschaften in den 1970er-Jahren passiert? Das ugandische Team bewegte sich auf dem Spielfeld überhaupt nicht, weil es glaubte, vom Gegner in die Erstarrung gehext worden zu sein, und unter diesen Umständen sind 52 Tore in 90 Minuten eine eher unterdurchschnittliche Ausbeute. Fußball in Afrika – wie in dieser Episode aus Bartholomäus Grills fulminanten Reportagen "Laduuuuuma!" – ist ein viel großräumigeres soziales und gesellschaftliches Phänomen als hierzulande.

Der Dokumentarfilmer Oliver G. Becker lässt in seinem Buch "Voodoo im Strafraum" beispielsweise "Mannschaftsbetreuer" zu Wort kommen, deren spezifische Funktion es nirgendwo im Profifußball außerhalb Afrikas gibt. Es sind "Witchdoctors", Zauberer, auf die kein Verein verzichten mag. Denn sie versprechen Ungeheures:

"Man kann mit einer Ziege, genauer gesagt: dem Kopf einer Ziege, eine magische Zeremonie vor einem Spiel durchführen. Dazu wird der Kopf der geopferten Ziege zuerst in der Sonne getrocknet und später mit einer Zauberflüssigkeit behandelt. Du versteckst den behandelten Ziegenkopf vor dem Spiel in deinem Haus. Wenn du dann später im Spiel aufs Tor schießt, wird der Torhüter nicht glauben, dass es der Ball ist, der rasend schnell auf ihn zufliegt.

Er wird nämlich den verzauberten Ziegenkopf auf sich zufliegen sehen und ausweichen! Wenn der Ball dann im Netz liegt, ist es ein blitzsauberes Tor. Der Torwart wird nach dem Treffer erkennen, dass es ein ganz gewöhnlicher Fußball ist, denn der Ziegenkopf wird sich in einen Ball zurückverwandelt haben. Er wird zur Seite treten, denn der Torhüter kann keinen Ziegenkopf fangen, oder?"

Schwarze Magie kann allerdings auch nach hinten losgehen. Wenn eine Mannschaft nachts um zwei auf dem Friedhof Ahnenrituale durchführt, ist sie naturgemäß am nächsten Morgen nicht sehr fit - so wie westliche Trainer klagen, dass in Afrika das Aufwärmen vor dem Spiel allzu oft von magischen Prozeduren überlagert wird.

Ja, die Folgen der Magie-Besessenheit gehen noch weiter: Weil es keinen offiziellen FIFA-Zauberei-Etat gibt, werden andere Mittel zweckentfremdet, bis dann manche Matchs mangels Reisespesen ausfallen. Auch vor der profanen WM bleibt das Phänomen Zauberei in Afrika ubiquitär und ist unserer Aufmerksamkeit wert.

Doch Oliver G. Beckers Bemühungen um den Kulturtransfer sind für den hiesigen Leser eine eher missvergnügliche Sache. Becker schreibt nicht nur auf Kreisklasse-Niveau, er kommt als Filmemacher sogar aus einer ganz anderen Disziplin. Dies merkt man dem Buch mit seinen langatmigen, transkribierten Originalpassagen aus Interviews und umstandshuberischen Ankündigungsphrasen à la "Im Folgenden möchte ich genauer vorstellen" leider allzu deutlich an. Gekonntes Erzählen ist des Autors Sache nicht, und 50 Seiten weniger hätten dem Buch nicht geschadet. Tiefer gehende Analysen bleiben rar oder gipfeln in sprachlich verquasten Banalitäten:

"In mir hat sich das Verständnis verfestigt, dass Magie im afrikanischen Fußball so lebendig ist, weil sie in weiten Teilen Afrikas schlicht und einfach eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit ist - wieso sollte also ausgerechnet der Fußball frei davon sein?"

Ganz anders dagegen der mehrfach preisgekrönte "ZEIT"-Reporter und Afrikaexperte Bartholomäus Grill, dessen Reportagen großen Lesegenuss bereiten. Auch ihm ist die Magie im afrikanischen Fußball ein Kapitel wert, und das reicht völlig aus, um das Thema erschöpfend zu behandeln. Den kulturellen Stellenwert der Rituale erklärt er in wenigen Sätzen:

"Was wir soeben erlebt haben, ist nichts anderes als ein gruppendynamisches Initiationsritual, das die männliche Kampfgemeinschaft stärken soll. So haben sich die Krieger der Zulu seit Menschengedenken auf ihre Schlachten gegen die Feinde vorbereitet, gegen rivalisierende afrikanische Völker wie die Xhosa oder die Ndebele und gegen die weißen Kolonialisten, die Briten und die Buren, die in ihr Reich eindrangen, um das Land zu rauben."

Ansonsten führt uns Grill plastisch vor Augen, welche identitätsstiftende Funktion der Fußballsport auf dem schwarzen Kontinent hat. Herausragend sind sein Bericht über die Gefängnisliga auf Nelson Mandelas Kerkerinsel Robben Island und seine Reportage über die plötzliche Aufgabe, ein jugendliches Straßenfußballer-Team zu trainieren (und mit ausgemusterten oberbayrischen Leibchen auszustaffieren).

Manchmal könnten die Gegensätze in Grills Texten dabei kaum größer ausfallen: Fußball als Macht, einen Bürgerkrieg zu entschärfen - wie an der Elfenbeinküste mit Hilfe des fast als Heiligen verehrten Superstars Didier Drogba –, und das ernüchternde Gegenbeispiel während des ruandischen Völkermords in den Neunzigern:

"Nicht ein Spieler von Bugesera Sport hat versucht, einem Mannschaftskameraden zu helfen. Fußball schützt nicht vor der Barbarei."

... resümiert Bartholomäus Grill, der frei von allen europäischen Ressentiments auf den Fußball des Schwarzen Kontinents blickt, dabei aber keineswegs der örtlichen afrikanischen Selbstüberschätzung anheimfällt. Die meisten Profi-Klubs hält er im Vergleich zur Bundesliga für nicht mal zweitligatauglich, wofür es eine Menge Erklärungen gibt.

Die mangelnde Treffsicherheit afrikanischer Durchschnittsstürmer ist so ein Beispiel. Als Barfuß-Straßenkicker wüchsen die Kinder, sagen europäische Trainer, einfach mit einer weniger kraftvollen Schusstechnik auf, die sich später nur schwer verändern lasse.

Doch der begehrte Torschrei – "Laduuuuuma!" - scheint ohnehin nur ein Aspekt im Gesamtkunstwerk Fußball zu sein. "Soccer took our mind away", sagt einer der langjährig auf Robben Island eingekerkerten Apartheids-Gegner. Das ist wohl der entscheidende Punkt: Fußball kann einen für 90 Minuten in eine andere, erträumt bessere Welt tragen.

Individuell lässt sich das zwar für nur ganz wenige afrikanische Akteure im Big Business des Weltfußballs behaupten – aber vielleicht mischt eines Tages der Sohn oder Enkel dabei mit. Das reicht als Verheißung im zumeist armen Alltag zwischen Ägypten und Lesotho.

Oliver G. Becker: Voodoo im Strafraum - Fußball und Magie in Afrika Verlag C. H. Beck (beck'sche reihe), München 2010

Bartholomäus Grill: Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009