"Für mich sind das Künstler"

Marcel Bugiel im Gespräch mit Christine Watty · 13.05.2013
Im Theaterstück "Disabled Theater" stehen geistig behinderte Menschen auf der Bühne. Eine Seltenheit im Theater - nach wie vor. Der Dramaturg Marcel Bugiel wünscht sich, dass sich das ändert und Behinderte als ganz normale Schauspieler wahrgenommen werden.
Christine Watty: In Berlin findet seit Anfang Mai das Theatertreffen statt, dazu werden traditionell die zehn bemerkenswertesten Produktionen der vergangenen Saison eingeladen. Und zu Gast am Wochenende war ein Ensemble aus der Schweiz, das Theater HORA. Die Mitglieder dieses Ensembles sind geistig behindert, und für besonders gelungen hielt die Jury des Theatertreffens das Stück "Disabled Theater", das der französische Tänzer und Choreograf Jérôme Bel für und mit der HORA-Truppe konzipiert hat. Behinderung und Theaterbühne ist beim Theatertreffen auch ein Podiums- und damit Diskussionsthema. Und darum wird es auch gleich bei uns gehen im "Radiofeuilleton".

Marcel Bugiel, der Dramaturg, ist jetzt bei uns zu Gast, schönen guten Tag!

Marcel Bugiel: Schönen guten Tag, hallo!

Watty: Sie haben gerade die Zuschauerreaktionen mitgehört. Eigentlich könnte man es so nach jedem Theaterstück hören: Manche sind beeindruckt, andere konnten es schwer ertragen. Die Körperlichkeit wurde gelobt, die Tanzszenen. Heraus fällt natürlich die Einschätzung, dass die Schauspieler eventuell vorgeführt wurden. Ich nehme an, Sie kennen Reaktionen jedweder Art auf dieses Stück. Was macht das mit Ihnen, was Sie jetzt gerade gehört haben, sind Sie so zufrieden, mit den Publikumsreaktionen?

Bugiel: Na, was heißt zufrieden? Ich registriere das erst mal als den Stand der Dinge. Ich finde, das, was man jetzt gehört hat, ist nur ein Bruchteil von dem, was es an Überraschendem gibt, an Publikumsreaktionen. Also die Publikumsreaktion – das ist ja einfach schon der Applaus während der Vorstellung, wo applaudiert wird. Jemand sagt: Meine Eltern haben gesagt, das ist eine Freakshow. Daraufhin gibt es Szenenapplaus. Also, da gibt es ja jede Menge Momente, wo man sich einfach wundern kann: Was passiert da mit dem Publikum? Auf was reagieren die Leute da? Warum kriegt jemand Szenenapplaus, wenn er einfach nur seinen Namen sagt? Und so weiter So, da passieren unglaubliche Sachen. Und im Laufe der Zeit haben wir irgendwann festgestellt: Gut, es ist vielleicht auch einfach ein Stück über Publikumsreaktionen darauf. Und das sind Reaktionen, die mich – nicht freuen, die meiste Zeit, also die mich eher überraschen, zum Teil auch frustrieren. Und gleichzeitig muss man einfach feststellen: Gut, das ist augenscheinlich der Stand der Dinge in der Gesellschaft gegenüber von Menschen irgendwie mit einer Behinderung.

Watty: Wie gehen Sie damit als Dramaturg um, wenn Sie auch diese Reaktionen hören und wissen, dass es immer in Reaktionen um die Schauspieler geht in allererster Linie? Wie ist es dann, so ein Stück, die Dramaturgie für so ein Stück aufzubauen, wenn man weiß, am Ende werden die Zuschauer damit beschäftigt sein: Was hat diese Existenz dieser Schauspieler, was hat das mit uns gemacht?

Bugiel: Na ja, also, in dem Stück ist es – Auf der einen Seite ist es klar, weil: Es geht um die Schauspieler. Ich finde es frustrierender, muss ich sagen, wenn es in einer Arbeit eigentlich um was anderes geht. Wenn es darum geht, irgendwie jetzt einen klassischen Stoff zu bearbeiten oder so was, und die Gespräche gehen danach nur über die Schauspieler, was auch oft vorkommt, öfter als man denkt – dass die Leute gar nicht in der Lage sind, zu sehen: Was wird uns da als Handlung präsentiert. Weil diese Frage trotzdem im Vordergrund steht. Und das war auch für Jérôme Bel so ein bisschen mit eine Motivation, abgesehen davon, dass er immer nur die Schauspieler und die Tänzer so zeigt, wie sie sind. Trotzdem finde ich es ja auch da wieder – gut, das ist so, das ist der Stand der Dinge. Ich würde mir wünschen, dass die Wahrnehmung weiter gehen würde, aber sie geht jetzt erst mal nicht unbedingt weiter.

Also, ich würde mir wünschen, dass die Wahrnehmung weiter gehen würde, weil ich einfach finde, da passieren Sachen auf der Bühne auch, in diesem Stück, die sind über diese Frage: Ist da jetzt ein Behinderter auf der Bühne oder nicht? Ist das in Ordnung, dass der da steht? Und so was – über diese Frage hinaus, finde ich, passieren da Sachen in dem Stück, die einfach für das Theater interessant sind, die für die Gesellschaft interessant sind und die so ein bisschen verdeckt werden von dieser Frage. Das ist, was ich persönlich, der ich mich einfach sehr viel damit beschäftige – ich finde das schade. Aber gleichzeitig muss man auch da wieder konstatieren: Das ist so, und das ist einfach der Stand der Dinge, das hat diese Produktion gezeigt: Wo wir weiterarbeiten müssen.

Watty: Heute wird auf einem Podium im Rahmen des Theatertreffens über das Thema Menschen mit Behinderung im Theater gesprochen. Die Frage heißt da ganz zugespitzt: "Behinderte Menschen auf der Bühne – Künstler oder Exponate?" Welche Antwort haben Sie auf diese Frage?

Bugiel: Aus dieser Position, aus der heraus ich agiere: Mich interessieren diese Leute als Künstler in verschiedenen Formen. Und meine Arbeit besteht ja auch über diese Produktion hinaus irgendwie zu gucken: Wie verschafft man diesen Leuten, die einfach eine Lust haben, auf der Bühne zu stehen, eine Fantasie und eine Tiefe haben, sich mit Sachen auseinanderzusetzen, wie bekommt man die auf die Bühne, und wie verschafft man denen Sichtbarkeit? Mich interessieren die als Künstler. Gleichzeitig, finde ich, wird in dieser Szene, die solche Arbeiten normalerweise präsentiert, finde ich, wird oft so ein bisschen lax auch umgegangen mit diesem Begriff "Künstler" einfach. Aber erst mal eindeutig: Für mich sind das Künstler.

Watty: Ja. Wie ist es für die Schauspieler selbst, diese Frage … Also vielleicht nicht unbedingt die Frage nach Künstler oder Exponat. Das ist wahrscheinlich auch zu theoretisch und auch dann zu draufgesetzt auf das, was sie auf der Bühne tun. Aber wie gehen die Schauspieler selbst mit diesem Moment um, auf der Bühne zu stehen und dann eben auf dieses Publikum zu treffen, was eben auch womöglich in einer betroffenen Art und Weise reagiert?

Bugiel: Na ja, erst mal muss man jetzt einfach noch mal, um auf das zurückzukommen "Künstler oder Exponat? ": In dieser Aufführung findet ja schon eine Entwicklung statt vom Exponat zum Künstler. Das heißt, am Anfang, die erste Szene geht damit los, dass die sich einfach alle eine Minute vor das Publikum stellen und da präsentieren. Da gehen sie natürlich – treten sie natürlich als Exponat hervor. So, und dann mündet das Ganze in Choreografien, die sie selber entwickelt haben, wo ich eindeutig sagen würde: Gut, da erlebt man sie als Künstler. Insofern ist es gar nicht diese Entweder-oder-Frage, sondern da findet in dieser Aufführung eine Wandlung statt. Ansonsten … Also, ich glaube, das Problem grundsätzlich ist: Diese Leute mit Downsyndrom zum Beispiel, die haben ein auffälliges Äußeres und die befinden sich ihr ganzes Leben lang – im Alltag - befinden sie sich wie in einer Aufführungssituation. Wenn die auf die Straße treten, dann kämpfen die Leute damit: Darf ich da hingucken? Und eigentlich wollen sie irgendwie hingucken, die befinden sich unfreiwillig die ganze Zeit in einer Theatersituation. Und das Tolle einfach, finde ich, bei denjenigen, die das Glück haben, irgendwie Theater machen zu können und die Theater machen wollen, ist: Da sind sie plötzlich in einer Situation, da zahlen die Leute wenigstens dafür, dass sie sie angucken. Und das sind Leute, die sagen: Ich will irgendwie den Leuten was zeigen. Also, da ist wenigstens dieses Verhältnis, das Spektakuläre, ist da zumindest geklärt. Insofern –So, und sie bekommen Applaus und sie – ihnen wird zugehört. Das sind alles erst mal Sachen, die im Leben so nicht stattfinden. Und das, glaube ich, genießen sie absolut.

Watty: Sagt Marcel Bugiel, Dramaturg von dem Stück "Disabled Theater", gespielt vom Theater HORA aus der Schweiz, zu Gast beim Theatertreffen in Berlin und heute auch auf dem Podium – eben dort sitzt Marcel Bugiel –, das den Titel trägt: "Behinderte auf der Bühne – Künstler oder Exponate?". Danke, dass Sie vorher noch hier zu uns ins Studio gekommen sind, vielen Dank!

Bugiel: Ja, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema:

Beim Berliner Theatertreffen beeindrucken behinderte Schauspieler

"Stückemarkt" beim Berliner Theatertreffen feiert 35-jähriges Jubiläum

Eine Arche aus dem Baumarkt