"Für Isländer ist ein Vulkanausbruch nichts Ungewöhnliches"

Hans-Ulrich Schmincke im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 16.04.2010
Der Vulkanologe Hans-Ulrich Schmincke hält das isländische Naturereignis für normal - und sieht in der Streichung vieler Flüge eine Vorsichtsmaßnahme. Asche setze den Turbinen zu, und die Flugzeuge könnten deshalb an Schub verlieren, sagte Schmincke.
Matthias Hanselmann: Der Eyjafjallajökull-Gletscher liegt in Island – ich habe eben schon gesagt – 1600 Meter hoch, und das Brisante ist, unter ihm ein Vulkan. Der gleichnamige Vulkan ist ausgebrochen vor rund 48 Stunden und hat in Europa ein Chaos verursacht, besonders was den Flugverkehr betrifft.

Zehntausende Menschen mussten am Boden bleiben, die Hälfte aller Transatlantikflüge wurde gestrichen, die deutschen Airports sind nach wie vor alle geschlossen, bis auf München, soweit wir informiert sind. Ob und in welcher Stärke die Aschewolke Deutschland erreicht, ist zurzeit noch unklar.

Jedenfalls, der Vulkanausbruch beschäftigt die Gemüter und wird natürlich von vielen Menschen als Bedrohung empfunden, auch wenn Island weit weg ist. Wir sprechen jetzt mit einem der führenden Vulkanologen Deutschlands, ich begrüße Dr. Hans-Ulrich Schmincke von der Universität Kiel. Guten Tag, Herr Schmincke!

Hans-Ulrich Schmincke: Guten Tag!

Hanselmann: Hat Sie der Ausbruch überrascht?

Schmincke: Insofern nicht ganz, weil es ja in Island sehr viele aktive oder kurzfristig schlafende Vulkane gibt. Also für Isländer ist ein Vulkanausbruch nichts Ungewöhnliches.

Hanselmann: Und das heißt, man hätte es vorhersehen können auf irgendeine Art und Weise, diesen Ausbruch?

Schmincke: Im Groben sicher. Wir können heutzutage fast alle großen Vulkanausbrüche vorhersagen – durch Aufwölbung der Erde, durch Gase, durch Erdbeben. Ob das hierbei passiert ist, bei dem Vulkan, weiß ich nicht, weil ich nicht die Informationen von den isländischen Kollegen habe. Aber dass es an der Stelle wieder zu einem Ausbruch gekommen ist, ist insofern nicht ungewöhnlich, weil es in der Gegend sehr viele, relativ junge Vulkanausbrüche gibt, auch historische.

Hanselmann: Was meinen Sie, wie lange wird denn jetzt die Aktivität dieses Vulkans anhalten?

Schmincke: Das ist eine Frage, die ich leider nicht beantworten kann, denn wie gesagt, den Anfang eines Vulkanausbruchs, den kann man heutzutage bei den meisten Vulkanen vorhersagen, aber wenn es mal angefangen hat, ist es sehr schwer zu sagen, ob das jetzt ein paar Stunden, paar Tage, paar Wochen, paar Monate oder manchmal sogar ein paar Jahre anhält. Man kann das manchmal etwas abschätzen, wenn die Erde über einem zukünftigen Vulkanausbruch stark angeschwollen ist oder wenn es noch viele vulkanische Erdbeben gibt, die entstehen, wenn sich das Magma durch die starre Erdkruste zwängt – dann entstehen ganz bestimmte, manchmal harmonische Erdbeben, so nennt man die. Und ich weiß nicht, was dort die Kollegen im Augenblick messen. Ich denke, auch sie werden diese Frage nicht positiv oder präzise beantworten können.

Hanselmann: Also in manchen Meldungen wird ja regelrecht schon Panik geschoben und gesagt, das sei sozusagen nur die Vorhut, und der große Knall, der käme erst. Würden Sie sagen, das ist Panikmache?

Schmincke: Also bei allen Naturereignissen heutzutage ist Panikmache eigentlich an der Tagesordnung. Das gilt auch bis zu solchen Naturereignissen wie der Schweinegrippe. Das ist ja nun bekannt, wir sind in einem Sensationszeitalter.

Und auch die Frage, ob die Größe des Luftraums, der gesperrt ist, absolut angemessen ist, kann ich nicht beurteilen. Wie gesagt, heutzutage muss man immer damit rechnen mit diesen Übertragungen unserer gesamten Gesellschaft. Es gibt natürlich die reale Gefahr, die ist inzwischen, glaube ich, in Deutschland allen Leuten durch viele Interviews bekannt geworden, dass sehr viel Asche, das von den Turbinen angesaugt wird, dort die Turbinen zusetzt, schmilzt und dann die Flugzeuge an Schub verlieren, oft werden alle vier Turbinen ausfallen.

Und dann ist es zum Glück bisher immer wieder passiert, dass die Piloten die Maschinen wieder anwerfen konnten, sodass bisher noch kein großes Unglück entstanden ist. Das ist die Grundlage dafür, dass der Flugraum gesperrt ist in Mitteleuropa. Aber wie gesagt, das wissen Sie wie ich, dass heute unsere Gesellschaft immer dazu neigt zum Übertreiben.

Vielleicht noch ein Wort zu dem Wort Katastrophe, Naturkatastrophe und Vulkankatastrophe im Besonderen: Ich vermeide diese Begriffe eigentlich fast immer, weil es gesellschaftliche Katastrophen sind. Vulkane sind nicht wütend, nicht aggressiv, nicht gefährlich, sondern nur für den Menschen. In diesem Fall ist die Gefahr durch den Menschen der seit Jahrzehnten extrem verstärkte Flugverkehr. Darum ist es jetzt gefährlich geworden, denn Vulkanaschen von Island sind in den vergangenen Hunderten von Jahren häufig auch in Schleswig-Holstein und in Norddeutschland niedergegangen, aber es gab noch keinen Flugverkehr.

Hanselmann: Dadurch relativieren Sie natürlich die Aussage über Gefährlichkeit von Vulkanen, aber Sie haben die Gefahr für den Flugverkehr eben beschrieben. Wie gefährlich kann denn Vulkanasche für den Menschen sein, zum Beispiel wenn sie eingeatmet wird oder sich auf die Natur legt, auf Felder und Wiesen?

Schmincke: Das hängt davon ab, in welcher Entfernung das passiert. Wenn Sie in der Nähe eines Vulkans sind und zum Beispiel durch Glutlawinen oder auch derartige Eruptionen wie jetzt im Augenblick in Island Asche noch heiß ist und eingeatmet wird, dann kommt es oft zu Verbrennungen von Lungen und zu Todesfällen, das passiert ab und zu mal.

In 2000 Kilometer Entfernung, das ist also hier zwischen Deutschland und Island, ist die Gefahr vernachlässigbar, denn die Größe der Aschenpartikel und vor allem ihre Konzentration sind so niedrig, dass nur ein ganz, ganz leichter Aschenschleier – also das sind immer diese Glaspartikel, das nennen wir Asche – hier auf unser Land fällt.

Wir haben vor einigen Jahren in verschiedenen Mooren in Schleswig-Holstein und Mecklenburg so bis sieben Meter tief in alten Mooren gebohrt, und da hat eine Doktorandin von mir eine ganze Reihe von Aschenlagen aus Island nachweisen können, allerdings nicht mit bloßem Auge, sondern nur mikroskopisch und mit chemischen Methoden.

Hanselmann: Ein interessanter Einblick in die Arbeit von Vulkanologen. Wir haben alle die Bilder von der gigantischen Aschewolke gesehen, die bis zu elf Kilometer hoch geschleudert wurde in Island. Hat diese Wolke denn schon Einfluss auf das Klima?

Schmincke: Ich vermute nein, denn wir wissen heute, wie die Kausalkette geht zwischen Vulkanausbrüchen und Klima. Folgende Randbedingungen müssen erfüllt sein: Erstens muss das, was wir Eruptionssäule nennen, also das Gemisch von heißen Gasen und Partikeln, bis sehr hoch steigen in die Stratosphäre, die ist nun in Island schon bei sieben, acht Kilometern erreicht, bei uns erst in zwölf.

Und zweitens, das Magma muss sehr schwefelreich sein, denn das, was das Klima beeinflusst, sind nicht die glasigen Aschenpartikel oder Mineralstücke, sondern Schwefelsäure-Aerosole, die sich bilden aus dem SO2, also aus dem Schwefeldioxid der magmatischen Gase und noch ein bisschen OH, der Wasser- und Sonnenenergie. Und diese Aerosolschleier können sich nach großen Ausbrüchen, wie 1991 am Pinatubo, mehrfach um den Erdball verbreiten, manchmal jahrelang, und einen Teil der Sonnenenergie zurückstrahlen – sie werden auch dabei aufgeheizt –, und jedenfalls kommt weniger Sonnenenergie auf der Erde an. Und das kann global zum halben Grad oder mehr Abkühlung führen, das kann lokal aber wärmer werden oder besonders kalt, das ist lokal sehr unterschiedlich.

Hanselmann: Da ich nun alles andere bin als ein Vulkanologe, erlaube ich mir eine Frage, die Sie vielleicht für naiv halten: Der höchste Vulkan Europas ist ja der Ätna, vor vier Jahren zum letzten Mal heftiger aktiv gewesen, und wir sehen im Fernsehen immer wieder Bilder von Ausbrüchen des Ätna, da fließt dann so relativ gemütlich die Lava an der Seite runter und der Flugverkehr bleibt aber jeweils aufrechterhalten. Also spuckt denn der isländische Vulkan keine Lava?

Schmincke: Doch, der spuckt Lava. Beim Ätna sind in den vergangenen Jahren mehrfach, ist der Luftraum über Catania über Tage geschlossen worden, aber der Ätna speit vor allem Lavaströme. Er kann mal explosiv sein, aber das ist nicht so häufig.

Dieser Vulkan jetzt in Island, ich nehme an, dass ein Großteil seiner offensichtlichen Explosivität daran liegt, nicht, dass er viel Gas enthält, sondern dass er so viel Eis aufschmilzt und daher sehr viel, eine große Mischung entsteht zwischen magmatischen Gasen und Wasserdampf. Und das sieht man ja in jedem Satellitenbild, was man im Fernsehen sieht, das sind alles weiße Wolken. Und die weiße Farbe rührt von dem hohen Anteil an Wasserdampf hier.

Hanselmann: Noch eine letzte Frage: Island ist ja selbst nur der sichtbare Teil eines unterirdischen Gebirgszuges oder eines Gebirgszuges unter dem Meer, die Insel ist eine Vulkaninsel. Steht jetzt zu befürchten, dass doch mehr Vulkane der Insel aktiv werden, also gibt es da eine Art Ansteckungseffekt?

Schmincke: Kann ich nicht präzise beantworten, aber wahrscheinlich nicht. Man weiß heute im Unterschied zur Zeit von vor etwa zehn Jahren, dass große Erdbeben auch in der Entfernung von 1000 Kilometer und mehr ein, sagen wir mal, nicht ganz so stabiles, ein metastabiles System in einem Vulkan, in dem sich vielleicht schon Magma aus der Tiefe angesammelt hat, und aufgeheiztes Grundwasser, dass das ausgelöst getriggert werden kann durch auch ein Fernbeben. Das weiß man heute.

Vor zehn Jahren dachte man, das ist eigentlich nicht möglich, aber heute weiß man das. Aber kleinere Ausbrüche – und der jetzige ist ja im gewissen Sinne ein relativ kleiner Ausbruch, jedenfalls im Augenblick – hat Auswirkung auf die unmittelbare Umgebung, aber ich wäre zurückhaltend, anzunehmen, dass der jetzt andere Ausbrüche auslösen kann.

Hanselmann: Wir halten fest: Gesundheitliche Gefahren für uns hier in Deutschland bestehen nicht, und auch Ihre anderen Ausführungen waren sehr interessant im Zusammenhang mit den Vulkanen. Vielen Dank! Das war Dr. Hans-Ulrich Schmincke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften der Universität Kiel. Dankeschön und schönen Tag noch!

Schmincke: Bitteschön, Ihnen auch!