Für Frieden und Versöhnung

Von Jutta Schwengsbier · 27.10.2007
Der Streit um Macht und Öl-Ressourcen galt als einer der Hauptkriegsgründe im Sudan. Nun wirken vor allem die christlichen Kirchen entscheidend am Prozess von Frieden und Versöhnung mit.
Gesang Kirche

Bishop Nataniel Garang: "Ich bin Bischof Nataniel Garang. Aus der Diözese Bor. 1972 kam ich als Flüchtling aus Ostafrika in den Südsudan und begann hier zu predigen."

Doch Nataniel Garang hat sich nicht nur darauf beschränkt, Gottesdienste abzuhalten. Der anglikanische Bischof hat sich sein ganzes Leben für Frieden und Gerechtigkeit im Sudan eingesetzt. Seinem unermüdlichen Engagement ist es mit zu verdanken, dass die christlichen Kirchen heute im Sudan eine unanfechtbare Autorität haben, als Mittler zwischen den Volksgruppen und beim Friedensprozess.

Bischof Nataniel Garang gilt als absolut integer und unerschrocken, weil er einer der wenigen Bischöfe war, die während des ganzen Krieges im Südsudan geblieben sind.

Bishop Nataniel Garang: "Ich wurde 1984 als Bischof von Bor eingesetzt. Da fing auch der Krieg gerade wieder an. Er dauerte 21 Jahre lang."

Eine direkte Kriegsfolge: Die Entwicklungen dieses Jahrhunderts scheinen am Südsudan fast spurlos vorbei gegangen zu sein. Die Zeit scheint stehen geblieben. Geteerte Straßen gibt es fast keine. Nur Sand und Lehmwege schlängeln sich durch die weiten Savannen und Wälder. Während der Regenzeit werden sie zu Schlammpfaden und völlig unbefahrbar. Steinhäuser stehen auch in größeren Orten nur wenige. Die meisten leben in Tukuls, in Lehmhütten mit Strohdach, umzäunt mit Dornenhecken gegen wilde Tiere. Unweit der Gehöfte finden sich noch große, in den Boden gegrabene Löcher, als Unterstand gegen die Luftbombardierungen im Krieg.
Die Diözese von Bischof Nataniel Garang in Bor war mehrere Jahre lang regelrecht von der Welt abgeschnitten. Viele glaubten, auch er sei bei Gefechten getötet worden. Doch versteckt mitten im Busch, baute er eine lebhafte und stark wachsende christliche Gemeinde auf.

Bishop Nataniel Garang: "Die Arbeit der Kirche im Südsudan während des Krieges war sehr hart. Meine Kirche in Bor wurde von der Regierungsarmee angegriffen. Mit all ihren Kugeln haben sie mich nicht getroffen, aber einer meiner Pastoren starb an meiner Stelle. Ich musste fliehen. Im Busch fing ich an, ein Schulungszentrum für junge Leute aufzubauen, die dann auch predigten. Ich hatte nur eine Bibel. Weil es nichts zu schreiben gab, haben wir Kuhhäute verwendet mit Kassawa Erdkreide. So lebte ich sechs Jahre ganz versteckt im Busch. Die Menschen nannten mich schon den verlorenen Bischof."

Bischof Nataniel Garang betreute schließlich sieben Diözesen gleichzeitig, Den Nil mußte er im Kanu überqueren und lief zu Fuß von der Provinz Oberer Nil bis nach Bhar El Ghazal - mehr als 1000 Kilometer weit. Doch trotz aller Schwierigkeiten, unter seiner Führung wuchs die Kirche unglaublich schnell.

Bishop Nataniel Garang: "So haben wir gelebt: Nachts sind wir gereist und tagsüber haben wir uns unter Bäumen und Büschen versteckt, wegen der Bombardierungen von Antonov Flugzeugen. Wir haben unter den Bäumen gepredigt und sind von Dorf zu Dorf gezogen. (...) Gott hat mir durch Krankheit und die Bombardierungen geholfen. All die Jahre gab es keine Ärzte und zwei meiner Töchter starben. Zu der Zeit gab es keine humanitäre Hilfe, aber Gott hat uns mit Früchten im Wald versorgt. Wir hatten Kühe und Ziegen. Im Nil haben wir Fische gefangen. Davon lebten wir. Zu der Zeit wusste niemand, wo ich war. Bis zum Jahr 1990. Da ging ich nach Torit und habe mich mit dem katholischen Bischof Taban zusammengeschlossen."

Gemeinsam gründeten alle christlichen Kirchen dann den Neuen Sudanesischen Kirchenrat. Sie organisierten internationale Hilfe und machten mit vereinter Stimme den weltweit lange übersehenen Krieg im Südsudan bekannt.

Bishop Nataniel Garang: "Ich bin Protestant, Anglikaner, aber wir haben uns mit den Katholiken zusammengeschlossen. Deshalb hat uns sowohl der Papst unterstützt als auch die anglikanische Kirche in England. In Genf beim Weltkirchenrat waren sie überrascht, einen Katholiken mit einem Protestanten zusammenarbeiten zu sehen. Das finden sie bei keiner anderen Kirche. Nur im Sudan. Die Kirche im Sudan ist wegen ihrer Einheit sehr stark. Das ist das Zeichen für alle Christen und für unsere Führer. Kommt zusammen."

1991 hatte sich die Befreiungsbewegung im Südsudan gespaltet. Viele forderten mehr Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte. In der Folgen wurden jedoch Tausende entlang ethnischer Linien getötet, viele Familien, viele Freundschaften zerbrachen daran. Die Regierung im Nordsudan hatte schon immer eine Politik des "Teile und Herrsche" betrieben, - mit enormen Geldsummen zur Bestechung. So wurde der Schrei nach Frieden immer wieder von Kriegsgesängen übertönt.

Ich war reich, hatte große Viehherden. War Medizinmann und heilte die Kranken. Ja, Regen machen konnte ich auch, opferte meine Kühe dafür. Ich war ein angesehener Mann in Bor, erzählt Agit Tong Iron in seinen Liedern. Dann kam Riek Machar mit seinen Nuer. Sie wollten die Dinka vertreiben. Ermordeten so viele sie konnten, stahlen das Vieh und die jungen Mädchen. Wenige haben das Bor-Massaker überlebt. Agit Tong Iron konnte fliehen.

Agit Tong Iron: "Wir Dinka waren Anhänger von John Garang. Deshalb wollte Ri-ek Machar uns alle umbringen. Damit John Garang geschwächt wird und er der Führer der Befreiungsbewegung werden kann."

George Makuer Benjamin: "Ich heiße George Ma-ku-er Benjamin. Als der Krieg 1983 begann, bin ich der Volksbefreiungsbewegung beigetreten. Damals war sie eine Massenbewegung, wir hatten riesige Gebiete erobert. Viele von uns dachten, wir müssten jetzt Institutionen aufbauen. Die Leute sollten sehen: Wir sind besser als die Regierung. John Garang hatte wohl Angst, wir wollten ihn stürzen und hat viele von uns eingesperrt. Ich selbst saß fünf Jahre im Gefängnis. Als Riek Machar 1991 die Spaltung verkündete, hat er die allgemeine Forderung nach Demokratie aufgegriffen. Was er wollte, war aber nur Macht. Er arbeitete bald mit der Regierung zusammen und schürte einen Stammeskonflikt."

Nur dank der Vermittlung der Kirchen im Südsudan gelang es nach langen Jahren des Kampfes, die Volksgruppen im Süden wieder zu vereinen. Erst dadurch wurde im Jahr 2005 auch der Friedensvertrag zwischen dem Nord- und dem Südsudan möglich. Doch vieles steht bislang nur auf dem Vertragspapier. Die christlichen Kirchen engagieren sich dafür, dass Frieden auch wirklich spürbar wird.


Peter Tibi: "”Unser Modell ist eine Mischung aus modernen und traditionellen Methoden der Konfliktverarbeitung und aus unserem christlichen Glauben. Es ist ein Prozess der Annäherung von Mensch zu Mensch. Die Ursachen für Konflikte müssen analysiert und darüber gesprochen werden.""

Peter Tibi, der Generalsekretär des Sudanesischen Kirchenrates, hat das im Südsudan entwickelte Modell für Ausgleich und Versöhnung inzwischen auch schon in benachbarten Ländern vorgestellt. Ob Eritrea und Äthiopien, Ruanda oder der Kongo. Der erste Schritt für einen dauerhaften Frieden sei ein Ausgleich zwischen Opfern und Tätern, eine direkte Versöhnung der Gemeinschaften, sagt Peter Tibi.

Peter Tibi: "Es geht nicht um geben und nehmen. Wer gewinnt und wer verliert. Es wird nicht verhandelt. Das Opfer muss bereit sein zu verzeihen und der Täter muss bereit sein zu gestehen. Dann erst kann es einen Ausgleich geben. Traditionell wird im Sudan Blutgeld gezahlt als Entschädigung. Wir respektieren diese traditionelle Form der Heilung. Nach der öffentlichen Beichte wird eine Ziege oder ein Lamm geschlachtet. Erst dann kommen wir als Christen und beten gemeinsam."

Kriegsbedingt waren auch die Kirchen im Sudan lange getrennt. Bei der Generalversammlung aller christlichen Kirchen in Khartum hat Bischof Nataniel Garang vor kurzem Peter Tibi als neuen Generalsekretär des gemeinsamen Sudanesischen Kirchenrates vereidigt. So hat er als Gründer des Kirchenrates für den Südsudan jetzt nach 17 Jahren auch die zwei Kirchenräte des Nord- und des Südsudan zusammengebracht.

Mit ihrem Zusammenschluss wollen die Kirchen ein Zeichen setzen, sagt Bischof Garang. Dass auch die Menschen zusammenkommen müssen und niemand zurückgelassen wird.

Bischof Nataniel Garang: "Wir verlassen die Nordsudanesen nicht. Wir werden ihnen immer helfen, damit sie nicht leiden müssen. Selbst wenn sich das Land teilt. Unsere Einheit als Christen wird dadurch nicht gebrochen. Vielleicht wird sich die Regierung trennen, aber die Kirche wird vereint bleiben."

Viele im Sudan fühlen sich vom Friedensvertrag zwischen dem Nord- und dem Südsudan ausgeschlossen. Er wurde nur zwischen den beiden Hauptkriegsparteien geschlossen, die darin eine neue Macht und Ressourcenverteilung regelten. Eine direkte Folge war jedoch der Kriegsausbruch in Darfur. Auch die Menschen in den anderen bislang benachteiligten Randgebieten fordern, an Macht und gesellschaftlichem Reichtum beteiligt zu werden. Sie fordern in die Friedensvereinbarung mit gleichen Rechten aufgenommen zu werden. Eine sehr verständliche Forderung, sagen viele, auch der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber. Doch trotzdem sei der bislang geschlossene Friedensvertrag das beste, was bislang erreicht werden konnte. Daran müsse nun mit ganzer Kraft weiter gearbeitet werden.

Bischof Huber: "Die Frage des Gelingens dieses Friedensprozesses hat nicht nur für die Lebensbedingungen im Süden selber eine ausschlaggebende Bedeutung, sondern für die Zukunfts- und Friedensfähigkeit des Landes insgesamt. Ich glaube sofort, dass diejenigen ganz recht haben, als Friedensmodell ist das comprehensiv peace agreement das relativ beste, was man überhaupt bekommen konnte. Auch wenn wir einen ganz Klugen getroffen haben, der noch ganz viele auch wichtige Ergänzungsvorschläge hatte. Aber in dem Augenblick, in dem die Bevölkerung im Südsudan, keine erlebbare Friedensdividende bekommt, also eine erfahrbare Verbesserung der Lebensumstände. In dem man nicht spürt, dass die Selbstbestimmungsrechte des Südsudan auch tatsächlich zu etwas führen, nämlich zu einer veränderten Lage, steht man plötzlich wieder vor dem Nichts."

Bei allen Rückschläge: Wir dürfen jetzt nicht aufgeben, fordert auch der katholische Erzbischof Paulino Lukudu aus Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Wir alle sind traumatisiert, vom Krieg, aber auch vom dem, was heute immer noch passiert. Eigentlich müsste er selbst auswandern und irgendwo Asyl beantragen, meint der Erzbischof halb lachend, halb ganz ernsthaft. Doch das sei keine Lösung. Nur Menschen, die sich für Frieden engagieren, könnten auch etwas verändern.

Bischof Lukudu: "Der Sudan war immer im Krieg. Das ist alles was wir kennen. Dieses Friedensabkommen war der Durchbruch. Für uns Kirchenleute ist dieses Abkommen der Weg, der zum Frieden führt. Deshalb engagieren wir uns so dafür. Das Friedensabkommen ist wie ein Katechismus, mit dem wir den Menschen Frieden vermitteln können. Wir haben es gesegnet, als Weg aus dem Krieg."

Während internationale Organisationen im Sudan oft nur mit den bewaffneten Gruppen verhandeln, versuchen die christlichen Kirchen Basisbewegungen eine Stimme zu verleihen. Damit soll einen neue Friedenskultur von unten aufgebaut werden, als Gegenmodell zum ewig gleichen Kreislauf der Gewalt.

Bishop Nataniel Garang: "”Viele haben Waffen in Händen und wollen Ärger machen. Der Feind hat den Tribalismus gefördert, indem sie die Leute bewaffneten, damit sie sich gegenseitig töten. Das passiert noch immer. Die Kirche versucht dagegen, die Menschen zu versöhnen. Die meisten hören auf uns. Viele Frauen sind entführt worden. Jetzt bringen sie die anderen Stämme wieder zurück. Das war harte Arbeit.""

Die Kirchen unterstützen vor allem Frauengruppen, weil sie sich besonders für einen gesellschaftlichen Ausgleich stark machen. Zum Beispiel Zeinap Mohamed Balandia von der Frauenorganisation Ruja, zu deutsch – Die Vision.

Ruja hat Frauen in Dorfgruppen organisiert. Sie zahlen Geld in eine gemeinsame Kasse und organisieren so Selbsthilfeprojekte. Mal werden Hühner gekauft, mal bekommt eine der Frauen Seife. Vor allem aber sprechen sie über Probleme und versuchen Konflikte schon im Vorfeld zu lösen.

Zeinap Mohamed Balandia ist es gelungen, Frauen ehemals verfeindeter Volksgruppen zu vereinen. So diskutieren jetzt etwa in einer Dorfgruppe Bäuerinnen mit Viehzüchterinnen. Früher gab es im Streit um Weideflächen und Wasser oft Tote. Die Frauen suchen jetzt schon vorab nach Lösungen, falls das Vieh der Nomaden wieder einmal die Ernte der Bauern auffrißt.

Insgesamt 4000 Frauen hat Zeinap Balandia Mohamed inzwischen in Dorfgruppen organisiert. Zum Jahresende sollen es schon 7000 sein. Eine mächtigen Frauenbewegung. Einmal im Jahr machen ihre Abgesandten eine Tour durch die umliegenden Dörfer. Damit treten die Frauen für Frieden, Vertrauensbildung und Versöhnung ein, erzählt Zeinap Mohamed Balandia.

Zeinap: "Dieser Konflikt hat eine grosse Zerstörung hinterlassen. Viele Menschen wurden ermordet, aus ihrer Heimat vertrieben. Wir haben unsere Kultur und unsere Traditionen verloren. Keiner will in diese Vergangenheit zurück. Wir wollen nicht über die schreckliche Geschichte des Krieges sprechen."

Bei Hochzeiten und zahlreichen anderes Festen singen alte Frauen immer noch ihre traditionellen Lieder, versuchen den Jungen ihre eigene Kultur wieder zu vermitteln. Mit stampfenden Füßen wirbeln sie große Staubwolken auf. Dabei klatschen die Hände ekstatische Rhythmen. Die Menschen wollen einfach nur Leben und zur Normalität zurückfinden, sagt Zeinap Mohamed Balandia.

Zeinap Mohamed Balandia: "”Wir wollen in Frieden leben und über Frieden sprechen. Ab heute für die Zukunft. Deshalb hat unsere Graswurzelbewegung die Initiative ergriffen, über Frieden zu sprechen und Frieden zu praktizieren. Was die Politiker sagen, interessiert uns nicht.""