Für Einsteiger und Eingeweihte

17.04.2009
Joseph Roths Meistererzählungen bieten einen Querschnitt seines Könnens. Die fünf CDs bieten auch Neulingen einen Einstieg in das Werk des österreichischen Jahrhundertkünstlers. Die kongeniale Lesung des Schauspielers Peter Simonischek verschafft den Genuss, sich dieser Kunst anstrengungslos hingeben zu können.
"Als Barbara 20 war, verlobte sie der Onkel mit einem starkknochigen Tischlermeister mit breitschwieligen Händen, die schwer und massiv waren wie Hobel. Er drückte ihre Hand bei der Verlobung, dass es knackte und sie aus seiner mächtigen Faust mit Not ein Bündel lebloser Finger rettete."

"Ich möchte gern der erste Satz in einem Roman von Joseph Roth sein", soll ein überwältigter Kurt Tucholsky in einer schwachen Minute einmal gewünscht haben. Und wenn man Peter Simonischek beim 340 Minuten langen Vorlesen der sechs Erzählungen von Joseph Roth zuhört, spürt man, dass er nicht nur den ersten Satz, sondern jeden genießt. Denn Roth ist umwerfend, herzerweichend, scharf und zart - alles zugleich. Und Simonischek besitzt genau das richtige Stimm-Instrument, um Roths Musik hörbar zu machen.

"Nach einem Jahr glücklicher Ehe, oder was man so nennt, hatte die Frau angefangen, über Schmerzen im Kopf, im Rücken, im Bauch, im Hals, in der Nase, in den Augen ... in den Füßen zu klagen."

In den vom Diogenes Verlag versammelten "Meister-Erzählungen" Roths geht es viel um Frauen. Sie hatten in dem Leben des Journalisten und Schriftstellers keine glücklichen Rollen und in seiner Literatur ebenfalls nicht. Vielleicht lag’s daran, dass der 1894 im heute ukrainischen Brody geborene jüdische Knabe seinen Vater früh an eine Geisteskrankheit verlor und die dann alleinerziehende, unglückliche Mutter ihr Leben ausschließlich auf den Sohn konzentrierte. In Roths Erzählung "Barbara", in der es um solch eine Mutter geht, heißt es:

"Barbara wollte mit ihrem Kinde höher hinaus. All die Opfer sollten nicht umsonst gewesen sein."

"Das bin ich: böse, besoffen, aber gescheit", hat der schwere Trinker Joseph Roth einmal unter eine Karikatur geschrieben, die ihn mit geschwollener Nase und stierem Blick aufs Glas zeigt. Nicht besonders schön, aber gescheit geht’s auch aus, wenn Roth die Frau als sexuelles Wesen unter die Lupe nimmt. Besonders kritisch, fast feindselig tut er das in der Titelgeschichte der Meister-Erzählungen "Triumph der Schönheit". Der Frauenarzt Dr. Skowronnek schildert da das Schicksal seines besten Freundes, der von einer hübschen aber psychotischen Ehefrau in den Selbstmord getrieben wird. Roths kurze Ehe mit der schizophrenen Friedl wird für diese Erzählung Pate gestanden haben. Wobei er seinem Frauenarzt eine konsequent abstinente Haltung andichtet, die niemals die seine war.

"Viele, viele Frauen gingen an mir vorüber. Manche lächelten mir zu. Lächelt nur, dachte ich. Lächelt nur, dreht euch, wiegt euch; kauft euch Hütchen, Strümpfchen, Sächelchen. Rasch naht euch das Alter. Noch ein Jährchen, noch zwei. Kein Chirurg hilft euch. Kein Perückenmacher. Entstellt, vergrämt, verbittert sinkt ihr bald ins Grab. Und noch tiefer, in die Hölle. Lächelt nur. Lächelt nur."

Peter Simonischek – mit seiner Art der stimmlichen Darstellung eines meisterhaften Textes – schafft es, auch noch einen ängstlichen Frauenverächter Skowronnek fast sympathisch erscheinen zu lassen.

Ein Opfer des schwachen Geschlechts, - oder sollten wir besser sagen, seiner eigenen Sehnsüchte - wird auch der brave Bahnstationsvorsteher Adam Fallmerayer aus Roths gleichnamiger Erzählung. Ein eigentlich durch und durch maßvolles Wesen, verheiratet, pensionsberechtigt und pflichtbewusst. Bis zu dem Tag, an dem ein Expresszug in seinem Provinz-Bahnhof entgleist, der ihm die ätherisch schöne russische Gräfin Valewska beschert. Erst jetzt, und wie sich herausstellt, schließlich zu seinem Unglück, bemerkt Fallmereyer die kleinkarierte Enge seiner Existenz: Er ist zum ersten Mal und maßlos verliebt. Seine Ehefrau sieht er jetzt ganz anders:

"Ihre Augen waren stahlblau und pflichtbewusst. Frau Klara Fallmerayer besaß die Fähigkeit, sogar Sorgen als Pflichten zu werten und im Kummer eine Genugtuung zu finden. Das glaubte Fallmerayer, dem derlei Überlegungen immer fremd gewesen waren, auf einmal zu erkennen."

Wie Roth diesen an sich harten, sturen Mann aus seiner Nicht-Existenz reißt, ihn beseelt und gleich noch die Welt um ihn herum mit Sinn, Zweck und Gefühl anfüllt, ist unübertrefflich satte Sprachkunst. Und die kongeniale Lesung Peter Simonischeks verschafft den Genuss, sich dieser Kunst anstrengungslos hingeben zu können. Denn schon nach den ersten Sätzen merkt der Hörer: Da liest ihm einer vor, der versteht den Text, empfindet seine Bedeutung und spricht daher mühelos und spontan, als käme er von ihm.

Der Diogenes-Verlag hat 10 Romane Joseph Roths vorlesen lassen, allesamt von renommierten Schauspielern. Aber das Hörbuch mit den Meistererzählungen ragt heraus. Hier hat man das Gefühl, Roth sehr nahe zu kommen. Nicht nur des Frauenthemas wegen, sondern auch weil die Geschichten aus zwei Jahrzehnten einen Querschnitt seines Könnens zeigen. Schließlich bieten die Meistererzählungen auch Roth-Neulingen einen gelungenen Einstieg ins Werk des Jahrhundertkünstlers.

Rezensiert von Brigitte Neumann

Joseph Roth: Triumph der Schönheit - Meistererzählungen
Gelesen von Peter Simonischek
Diogenes Hörbuch
5 CD,
5 Stunden, 38 Minuten
39,90 Euro (unverbindliche Preisempfehlung)