"Fünfstellig sollte es schon sein"

Wolf Schmidt im Gespräch mit Alexandra Mangel · 03.01.2011
17.400 Stiftungen gibt es in Deutschland. Insgesamt verwalten sie ein Vermögen von über 100 Milliarden Euro. Der Berater Wolf Schmidt kennt die vielfältigen Motive, Geld in eine Stiftung zu geben.
Alexandra Mangel: Stattliche Zahlen und gute Gründe, sich mit diesem Stiftungsboom einmal genauer zu beschäftigen. Wir tun das diese Woche im Radiofeuilleton immer um kurz nach elf, und wir wollen heute mit der Frage starten, ob der Drang, Gutes zu tun, in Deutschland in den letzten Jahren so zugenommen hat oder ob die neuen Stifter auch noch andere, vielleicht weniger selbstlose Motive haben? Und das möchte ich jetzt von Wolf Schmidt wissen, der für uns in einem Studio in Hamburg sitzt. Er ist Politologe, hat jahrelang im Vorstand der Hamburger Körber-Stiftung gesessen und betreibt heute eine Beratungsagentur für Stifter. Guten Morgen, Herr Schmidt!

Wolf Schmidt: Ja, schönen guten Morgen, Frau Mangel!

Mangel: Warum erlebt Deutschland denn seit Jahren einen solchen Stiftungsboom, also was treibt all diese Menschen dazu, ihr Geld zu verschenken?

Schmidt: Darauf gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Das eine ist, wir haben in Deutschland eine sehr, sehr lange Stiftungstradition aus dem 19. Jahrhundert, diese Stiftungen sind durch zwei Weltkriege und Inflation zerstört worden. Und wir haben seit den 70er-, 80er-Jahren eben wieder eine Reichtumsakkumulation, die überhaupt das Stiften in einem großen Umfang ermöglicht.

Mangel: Also es wird auch sehr viel Geld vererbt gerade?

Schmidt: So ist es. Und das ist natürlich jetzt auch die Erwartung für die nächsten Jahre, dass mit der Erbschaftswelle eben auch eine Reihe neuer Stiftungen entstehen wird.

Mangel: Aber warum spenden die Leute ihr Geld nicht, warum gründen sie eine Stiftung? Also was macht dieses Modell gerade so attraktiv?

Schmidt: Das hat etwas zu tun mit großen Trends in unserer Gesellschaft, die unter dem Stichwort Individualisierung laufen. Früher sind die Menschen in einen Verein gegangen, Sportverein; heute gehen sie in ein Fitnessstudio, wo sie eine Leistung bekommen, für die sie bezahlen. Und so ähnlich engagieren sich heute Menschen immer weniger in Vereinen, in Parteien, in Kirchen, um gesellschaftlich etwas zu bewegen, und es ist viel attraktiver zu sagen, ich engagiere mich gesellschaftlich quasi unternehmerisch, ich betreibe hier meinen eigenen Laden, mit dem ich das in der Gesellschaft voranbringe, was mir wichtig ist.

Mangel: Also wenn Sie sagen, das Modell Stiftung ist eigentlich eine Art von Wohltätigkeitsgeschäft, worin besteht dann dieses Geschäft, was bekommt der Stifter sozusagen zurück, wo liegt da der Profit?

Schmidt: Also das Wichtigste, was der Stifter zurückbekommt, ist natürlich auf der einen Seite Anerkennung, viele Stifter steigern damit ihr Selbstwertgefühl – was ja auch sehr in Ordnung ist; es ist aber auch einfach das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Aber es gibt natürlich auch eine finanzielle Seite, das heißt, wer stiftet, wird vom Finanzamt unterstützt: Wenn Sie das entsprechende Einkommen haben, kriegen Sie über 40 Prozent der Summe vom Finanzamt erstattet.

Mangel: Der Wunsch, über den eigenen Tod hinaus zu wirken, zu gestalten, das auch auf eine Art steuern zu können über den Stiftungszweck, der spielt schon auch eine große Rolle?

Schmidt: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die zum Beispiel auch überhaupt erst per Testament eine Stiftung errichten, weil sie etwas für die Zukunft tun wollen. Aber ich rate eigentlich auch immer, zu Lebzeiten zu stiften und die Früchte einer Stiftung damit auch zu genießen.

Mangel: Was nennen die Stifter, die zu Ihnen kommen, denn so für Gründe?

Schmidt: Da gibt es ein riesiges Spektrum. Also natürlich gibt es Menschen, die keine Kinder haben, das ist eigentlich der Klassiker, und die sagen, das soll doch nicht einfach alles nur der Staat bekommen, und was kann ich da eigentlich tun? Da steht am Anfang nicht der Gedanke, ich will mich für etwas ganz Spezifisches engagieren, sondern ich habe ja keinen Erben, oh Gott, was mache ich jetzt mit dem Geld? Das andere ist, dass Menschen wirklich darunter leiden, dass irgendetwas in ihrer Umgebung nicht funktioniert, dass sie ein gesellschaftliches Anliegen haben oder so etwas, und dann sagen, ich habe Mittel übrig und die möchte ich dort gern investieren. Dann gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die zu mir kommen, die die Idee haben, eine Stiftung zu gründen, und aber schon in den ersten Sätzen sagen, Geld hab ich keins.

Mangel: Das wollte ich gerade fragen, ob eigentlich nur Reiche zu Ihnen kommen, oder wer da kommt?

Schmidt: Also ich will nicht sagen, dass man sehr reich sein muss, um eine Stiftung zu gründen. Aber wenn Sie eine selbstständige Stiftung errichten wollen, dann brauchen Sie doch ein fünfstelliges Anfangskapital. Jetzt kann man sich darüber streiten, ob das Reichtum ist oder nicht, aber fünfstellig sollte es schon sein. Und jetzt kann ich mich natürlich mit anderen Menschen zusammentun – das ist die Idee der Bürgerstiftung – und kann sagen, okay, jeder von uns gibt 1000, 5000, 10.000, wie auch immer, und damit schaffen wir gemeinsam das Anfangskapital einer Stiftung. Aber das ist dann …

Mangel: … also so hoch ist die Hürde eigentlich nicht?

Schmidt: Nein, wenn man ein gutes Konzept hat, ist die nicht hoch. Aber was nicht funktioniert, was immer mehr Menschen denken: Ich kann mir sozusagen mit einer Stiftung eine Existenz schaffen oder so, das funktioniert nicht. Stiftung bedeutet immer, ich gebe Geld weg, und nicht, ich nehme Geld ein.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Stiftungsfachmann Wolf Schmidt über die Motive deutscher Stifter und die Gründe für den bemerkenswerten Stiftungsboom in Deutschland in den letzten Jahren. Herr Schmidt, wenn die Zahl der Stiftung in Deutschland immer weiter zunimmt, heißt das dann, dass immer mehr soziale Aufgaben, um die der Staat sich eigentlich kümmern müsste, der privaten Wohlfahrt zugeschoben werden? Also dass der Staat sich zurücklehnt und auf den Stifter hofft, der sich schon kümmern wird?

Schmidt: Ich sehe das als eine große Gefahr an. Natürlich würde der Finanzminister sich wünschen, dass mit den entgangenen Steuereinnahmen – das muss man ja auch immer sagen –, dass damit dann Aufgaben gelöst werden, die auf der anderen Seite wieder den Staatshaushalt entlasten. Ich glaube, das kann aber nicht der Sinn sein. Das ist nämlich weder für Stifter attraktiv, noch kann es gesellschaftlich gesund sein zu sagen, wir fahren Anspruchsleistungen zurück, weil das irgendwie schon von privaten Almosen gelöst wird.

Mangel: Sie beraten ja nun Stifter und ja wahrscheinlich auch bezüglich des Stiftungszwecks. Was raten Sie denen denn?

Schmidt: Beim Stiftungszweck ist man gebunden an die Abgabenordnung. In der Abgabenordnung ist sehr genau festgelegt, was mit den Vorgaben von Allgemeinnützigkeit im Einklang steht. Also das ist zum Beispiel Bildung, Erziehung, Wissenschaft, Forschung. Und manche Stifter neigen dazu, ihre ganze Weltanschauung in die Stiftungssatzung hineinzuschreiben und es sehr detailliert festzulegen. Und ich weise immer darauf hin: Stiftungen werden bei uns für die Ewigkeit gegründet! Das ist vielleicht etwas erstaunlich, aber die ältesten Stiftungen sind tatsächlich ja auch 1000 Jahre alt. Und das bedeutet, man sollte eigentlich in der Satzung sehr, sehr offen sein.

Mangel: Aber was raten Sie denn nun Stiftern, damit sie mit ihrem Stiftungszweck eben nicht zu Lückenbüßern des Staates werden, also letztlich die Aufgaben übernehmen, die der Staat übernehmen sollte?

Schmidt: Also ich würde immer sagen, sich fernzuhalten von staatlichen Standardaufgaben, sich in Gebiete zu begeben, wo man wirklich etwas Innovatives machen kann, und auf diese Weise Beispiele zu setzen. Ich finde, Stiftungen machen gesellschaftliche Experimente, Stiftungen sind gehalten, Risiken einzugehen, das auszuprobieren, was der Staat nicht machen kann, was nicht konsensfähig ist.

Mangel: Können Sie da mal Beispiele nennen?

Schmidt: Ein Beispiel für eine Stiftung gegen den Trend ist die Stiftung, die der frühere Bundespräsident Karl Carstens mit seiner Frau errichtet hat, er etwas tun wollte für Alternativmedizin. Oder Sie können sich um Naturschutzgebiete kümmern. Also etwa die Heinz-Sielmann-Stiftung ist eine Einrichtung, die Flächen aufkauft, große Flächen, die auf diese Weise einer wirtschaftlichen Nutzung entzogen werden. Also das sind so Ideen, die dann vollkommen gegen den Trend gehen.

Mangel: Funktioniert das denn aus Ihrer Sicht bislang gut im deutschen Stiftungswesen, dass die eine Vorreiterrolle übernehmen?

Schmidt: Ich finde, das deutsche Stiftungswesen könnte es sich leisten, etwas mehr auch darüber zu reden, was alles nicht funktioniert. Wir haben im Stiftungswesen wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen seit den 90er-Jahren einen Trend, alles unter Marketing-Gesichtspunkten zu betrachten, und dabei kommt dann häufig zu kurz, dass nicht alles, was Stiftungen anpacken, auch gleichzeitig großartig ist. Das müsste man sehr viel offener diskutieren: Was gelingt uns nicht, wo scheitern wir mit Erziehungsprogrammen, wo scheitern wir mit Integrationsprogrammen, wo klappt ein kulturelles Konzept nicht, weil wir aus solchen Fehlern ja gesellschaftlich etwas lernen können.

Mangel: Wolf Schmidt, jahrelang im Vorstand der Hamburger Körber-Stiftung tätig und heute selbst Stiftungsberater, danke schön fürs Gespräch!

Schmidt: Danke auch!

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