Fünf Sterne auf Bestellung

Von Thomas Otto · 15.07.2013
Der Platzhirsch beim Online-Buchhandel ist Amazon mit seiner scheinbar grenzenlosen Auswahl. Dank der Bewertungen anderer Nutzer weiß man gleich, welches Buch man lesen sollte und welches nicht. Aber Vorsicht: Nicht alle dieser Bewertungen sind echt.
Ein Sachbuch über Kreuzfahrtschiffe, das auf der Online-Plattform Amazon verkauft wird. Die Käufermeinung scheint eindeutig: Die meisten Rezensenten geben dem Buch fünf von fünf Sternen ... und loben es in den höchsten Tönen:

Michael M.: "Die Ausgabe kaufe ich bestimmt wieder"

Stephanie G.: "Das Buch ist unbedingt empfehlenswert!"

Konrad72: "Die Einsteiger-Tipps sind wirklich nützlich und die Mischung aus Info und Entertainment ist gelungen. Kompliment!"

Was Michael M., Stephanie G. und Konrad72 gemeinsam haben: Hinter den Profilen steckt eine einzige Person. Die fiktiven Profile wurden auf Amazon nur dafür angelegt, um gefälschte Rezensionen zu veröffentlichen und besagtes Buch positiv zu bewerten.

Manuela hat mehrere solcher fiktiver Profile und schreibt für Geld genau solche ausgedachten Bewertungen. Sie möchte nicht erkannt werden. Am Telefon erklärt sie:

"Die Kunden schicken mir entweder fertige Texte, oder ich schreibe selbst eine Rezension. Die sollte möglichst so klingen, als hätte ich das Buch auch gelesen. Ich habe mehrere Benutzerkonten, so kann ich auch mehrere Bewertungen für ein Buch abgeben."

Für 5 Euro pro Rezension bietet sie auf Job-Portalen im Netz ihre Schreibfertigkeit an – höchste Bewertung garantiert. Und damit ist sie nicht die Einzige:

"Ich werde eine positive und gut formulierte Rezension Ihrer Publikation auf Amazon erstellen für 5 Euro."

"Ich schreibe dir zwei gute Rezensionen für dein Amazon-Produkt für 5 Euro."

Autoren und Verlage helfen nach
Bing Liu von der University of Illinois in Chicago hat Fake-Rezensionen intensiv erforscht. Seine Analyse:

"Ich kenne Unternehmen, die solche Fälschungen aufdecken. 15 Prozent aller Bewertungen können sie im Durchschnitt als gefälscht enttarnen. Da derzeit aber nur etwa die Hälfte der Fakes entdeckt werden können, schätzen wir, dass 30 Prozent der Bewertungen im Netz gefälscht sind."

Autoren und Verlage, die noch keine oder zu wenige Bewertungen für ein Buch haben, können schnell nachhelfen und müssen nicht einmal selbst schreiben. Manuela bekommt so jeden Tag Angebote:

"Vor allem E-Book-Autoren, die selbst veröffentlichen fragen mich an. Für mich soll es aber ein Zeitvertreib bleiben, ich mache das nur nebenbei."

Die Nachfrage ist so groß, dass nicht nur Privatleute, sondern ganze Agenturen falsche Rezensionen anbieten. So deckte im vergangenen Jahr die "New York Times" den Schwindel des US-Bestseller-Autors John Locke auf. Er hatte sich 300 Rezensionen bei der mittlerweile geschlossenen Plattform GettingBookReviews.com gekauft.

Auf die Anfrage nach einem Angebot bei einer solchen Agentur antwortet ein Mitarbeiter:

"Buchrezensionen kosten 12 Dollar das Stück mit bis zu 100 Worten. Jedes weitere Wort kostet 3 Cent. Im Preis enthalten ist die Veröffentlichung auf Amazon.”"

Und nicht nur positive Rezensionen werden gefälscht. Genauso gibt es das bewusste Niederschreiben. Das bekam der Autor Randall Sullivan zu spüren. Sein Buch über Michael Jackson wurde mit negativen Bewertungen geradezu bombardiert. Einige Fans sahen ihr Idol falsch dargestellt und riefen erfolgreich dazu auf, das Buch pauschal schlecht zu bewerten.

Welche Motivation bei einer gefälschten Rezension auch immer dahinter steckt: Durch solche Kampagnen wird das Vertrauen der Nutzer und Käufer missbraucht. Denn die Bewertungen und Rezensionen sind entscheidend, beeinflussen sie doch die Kaufentscheidungen, betont Frithjof Klepp. Der Buchhändler verkauft in seinem eigenen Laden und im Internet:

""Ich denke schon, dass das einer der ganz wichtigen Punkte ist, mit denen Amazon gerade in den ersten Jahren und bis heute einen Mehrwert geschaffen hat. Weil natürlich durch die Anzahl der Rezensionen schon eine gewisse Masse erreicht ist, die viele Leute als sehr relevant einstufen."

Ein großes Problem, auch in Anbetracht der Bedeutung von Amazon: 2012 machte der Konzern in Deutschland nach eigenen Angaben insgesamt einen Umsatz von 6,5 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland für Amazon der zweitwichtigste Markt nach den USA.

Fake-Analyse mit Algorithmen
Unter den Millionen Rezensionen und Bewertungen hier die Spreu vom Weizen zu trennen, das versucht der Computerwissenschaftler Bing Liu. Mit Algorithmen deckt er automatisiert auf, welche Rezensionen von echten Nutzern stammen und welche gefälscht wurden. Dafür analysiert er unter anderem die Herkunft der Rezensenten:

"Wenn man sich zum Beispiel Hotelbewertungen ansieht und alle positiven Bewertungen von Leuten aus der Umgebung des Hotels geschrieben wurden, dann klingt das nach Schwindel. Denn man würde ja erwarten, dass Gäste schreiben, die von einem anderen Ort kommen und nicht aus der Gegend."

Auch die Sprache der Rezensionen wird analysiert. Werden zu oft werbliche Formulierungen verwendet? Wird der Name des Produktes besonders häufig erwähnt? Werden gar die gleichen Formulierungen immer und immer wieder verwendet? Oder taucht bei Büchern der Klappentext in der Rezension auf?

Geht es nach Amazon, dann dürfte es solche gefälschten Bewertungen gar nicht geben. In seinen Rezensions-Leitlinien schreibt der Konzern:

"Eine Rezension, die gegen diese Richtlinien verstößt, wird nicht veröffentlicht."

Es passiert aber trotzdem. Auf Nachfrage verliert Amazon kein Wort darüber, ob gezielt nach falschen Rezensionen gesucht wird. Für Bing Liu ist der Grund klar:

"Sie profitieren von positiven Rezensionen, egal ob echt oder Fake. Wenn ein Kunde viele 5-Sterne-Bewertungen sieht, kauft er sehr wahrscheinlich. Wenn es keine Bewertung gibt, kauft fast niemand. Es nützt den Verkäufern, wenn es Bewertungen gibt, egal woher sie stammen, solange es positive Bewertungen sind. Deshalb tun sie auch nicht viel, sie suchen nicht aktiv nach Fake-Bewertungen."

Und das gelte nicht nur für Amazon, sondern für alle Portale, auf denen die Betreiber mit dem Verkauf einer Ware oder Dienstleistung Geld verdienen. Auch für die Plattform, auf der Manuela ihre gefälschten Rezensionen anbietet. Welche Bewertung sie selbst wohl erhält?

"Absolut professionell. Gerne wieder!"

"Gute Arbeit, kann ich empfehlen"

"Schnell und unkompliziert, Vielen Dank."
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