Fünf Jahre nach Gaddafis Tod

Libyen versinkt im Chaos

Afrikanische Flüchtlinge in einer Haftanstalt in Misrata in Libyen.
Afrikanische Flüchtlinge in einer Haftanstalt in Misrata in Libyen. © Imago / Xinhua
Von Philipp Eins · 20.10.2016
Vor fünf Jahren wurde Libyens langjähriger Machthaber Muammar al-Gaddafi von Aufständischen getötet. Seither ist das Land immer tiefer im Chaos versunken. Das ist auch für die vielen Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten ein Albtraum.
Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer, etwa zwölf Seemeilen vor der Küste Libyens. Ein Schiff der private Hilfsorganisation SOS Méditerranée evakuiert Menschen von zwei Booten, beide sind marode und völlig überladen. Hunderte Flüchtlinge haben die Schlepper zusammengepfercht. Manche Frauen sind hochschwanger und so schwach, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres kamen schon mehr als 132.000 Menschen über die zentrale Mittelmeerroute von Libyen nach Europa. An manchen Tagen greifen Hilfsorganisationen und europäische Marine über 6000 Menschen auf. Viele der Geretteten stammen aus Eritrea, Somalia, Ghana oder Nigeria. Viele berichten von Unterdrückung und extremer Gewalt in Libyen, die sie dazu bewogen haben, die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer in Kauf zu nehmen.
Hashimu Sofo: "Als ich noch in Ghana war, dachte ich, Libyen sei ein muslimisches Land. Die Menschen müssen friedlich sein. Doch als ich in Libyen war, sah ich, dass ich an diesem Ort nicht leben kann. Es war das Gegenteil, es war Krieg. Die Araber lassen dich verrecken, wenn du schwarz bist. Sie schießen auf dich, können alles mit dir machen. Für uns Schwarze gibt es keinen Frieden in Libyen."
Martin: "Am Ende des Tages, wenn du als Autowäscher gut gearbeitet hast und dein Chef sehr nett ist, bekommst du zehn Dinar, etwa sechs Euro. Vielleicht geben sie dir auch einfach nur etwas zu essen. Manchmal bekommst du aber auch gar nichts. Sie verjagen dich, sie haben Waffen. Du kannst nichts machen, außer zu gehen und auf einen besseren Tag zu warten."
Uchegba: "In Libyen gibt es für Frauen wie uns keine Arbeit. Das einzige, was du als schwarze Frau dort machen kannst, um Geld zu verdienen, ist die Prostitution. Selbst wenn du eine Ausbildung hast, hilft dir das nicht. Es ist ein schreckliches Land."

Schleuser haben es leicht, Flüchtlinge ins Land zu schmuggeln

Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 herrscht in Libyen Chaos. Der Osten mit der Stadt Bengasi ist vom Rest des Landes seit zwei Jahren abgeschnitten, andere Regionen sind in der Hand der Terrormiliz IS. Der von der US-Luftwaffe unterstützte Kampf um die Küstenstadt Sirte, in der sich noch immer 200 IS-Kämpfer verschanzen, dauert seit Monaten an. Die Regierungstruppen sind geschwächt. Seit Anfang des Jahres gibt es eine von der UN geförderte Einheitsregierung in Tripolis, die vom Parlament im ostlibyschen Tobruk aber abgelehnt wird. Der Staatsverfall macht es Schleusern leicht, Flüchtlinge ins Land zu schmuggeln. Dort angekommen sind sie Anarchie und Willkür ausgeliefert. Ruth Jüttner, Nordafrika-Referentin von Amnesty International in Berlin:
"Die Situation ist katastrophal. Es ist in Libyen so, dass die illegale Ein- und Ausreise strafbar ist und das bedeutet eben, dass sowohl die Sicherheitskräfte aber eben auch verschiedene bewaffnete Milizen Flüchtlinge, die ins Land hineinkommen, festnehmen und auf unbestimmte Zeit in Haftanstalten festhalten, die Flüchtlinge regelmäßig misshandeln und foltern. Und was eben besonders schlimm ist, ist, dass es auch noch bewaffnete Gruppen gibt, die auch Flüchtlinge und Migranten festnehmen, entführen. Da geht es häufig darum, Lösegeld zu erpressen, also von den Verwandten in den Herkunftsländern der Flüchtlinge."

Schießt Libyens Küstenwache auf Flüchtlingsboote?

Nach Angaben des UN-Sondergesandten Martin Kobler warten in Libyen 235.000 Flüchtlinge auf eine Überfahrt nach Italien. Um das zu verhindern, sucht die Europäische Union die militärische Kooperation mit der Einheitsregierung in Tripolis. Nach EU-Plänen sollen ab Ende Oktober insgesamt 1000 Einsatzkräfte des libyschen Küstenschutzes ausgebildet werden, unter anderem durch ein Ausbildungsteam der Bundeswehr. Dadurch soll die unkontrollierte Migration über das Mittelmeer eingedämmt werden. Der Schutz der Menschenrechte spielt dabei kaum eine Rolle, beklagt Jüttner:
"Da gibt es eben auch viele Berichte, dass diese Küstenwache, selbst wenn Flüchtlingsboote aufgegriffen werden, dann Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben. Flüchtlinge haben berichtet, dass auf Boote geschossen wurde. Also ich denke, Libyen ist nicht ein Partner, der sozusagen wahrgenommen werden kann als ein Land, mit dem die EU zusammenarbeiten sollte. Sondern ich denke, es muss sich erst mal beweisen, dass die libysche Regierung die Menschenrechte auch schützt und umsetzt, bevor man weitere Kooperationen ins Auge fassen sollte."
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