Friedensprozess in Kolumbien

Jetzt müssen die Frauen ran

Marina Gallego, Koordinatorin der Frauenbewegung Ruta Pacífica
Marina Gallego, Koordinatorin der Frauenbewegung Ruta Pacífica © Friedrich-Ebert-Stiftung
Von Burkhard Birke · 17.03.2016
Krieg führen und Frieden schließen die Männer – den Frieden umsetzen müssen die Frauen. Das meint die kolumbianische Menschenrechtlerin Marina Gallego, Koordinatorin der Frauenbewegung Ruta Pacífica. Nun erhält das Netzwerk den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Gallego: "Die Männer zerstören und zetteln Kriege an. Uns Frauen obliegt es im Alltag, die sozialen Strukturen und Familien, die Grundlage unseres Landes, wiederherzustellen."
Daran arbeiten Marina Gallego und ihre Mitstreiterinnen von der Organisation 'Ruta Pacífica' nun schon seit mehr als 20 Jahren. Mehr als 300 Organisationen mit Frauen unterschiedlichster sozialer Herkunft haben sich in Ruta Pacífica zusammengeschlossen.

Gallego nahm zeitweise an Friedensverhandlungen teil

Dieses Netzwerk in Konfliktzonen betreut insbesondere die Frauen unter den siebeneinhalb Millionen Opfern, berät in Rechtsfragen und leistet sozio-psychologische Hilfe, um die Vergangenheit aufzuarbeiten.
"Wir haben eine Wahrheitskommission eingerichtet und 1000 Frauen befragt.
132 von ihnen haben über sexuelle Belästigungen berichtet, obwohl diese nicht im Vordergrund der Untersuchung standen."
Vier Fünftel berichteten von Folter, drei Viertel waren vertrieben, mehr als die Hälfte berichtete von willkürlichen Hinrichtungen in ihren Familien.
Ruta Pacífica heißt der friedliche Weg, ihn schickt sich nun Kolumbien an, endgültig zu beschreiten. Seit fast vier Jahren verhandeln Regierung und FARC Guerilla in Havanna.
Marina Gallego saß zeitweise mit am Verhandlungstisch. Am 23.03. soll eigentlich ein endgültiges Abkommen unterzeichnet werden. Auf der Zielgeraden jedoch stockt der Prozess: Fragen wie endgültiger Waffenstillstand, Entwaffnung und die künftigen Aufenthaltsorte der Guerilleros bleiben strittig.

Gallego: Der Friedensvertrag wird kommen

Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Immerhin konnte in wichtigen Fragen schon Einigung erzielt werden: Eine Übergangsjustiz mit weitreichender Amnestie und Strafnachlässen, neue Wege in der Drogenpolitik, politische Teilhabe der auf noch 7000 geschätzten Kämpfer der FARC Guerilla und eine Landreform. In einigen ländlichen Gegenden Kolumbiens leben fast zwei Drittel der Menschen in absoluter Armut.
"Es gibt Fortschritte, aber die Landreform muss nachgebessert werden, denn sie lässt die Frauen außen vor. Die Frauen müssen bei der Rückgabe von Ländereien, der Vergabe von Krediten und bei Unterstützungszahlungen berücksichtigt werden. Momentan steht die Familie im Vordergrund, aber auch Frauen müssen Landbesitzer werden und sich selbst ernähren können."
Neu aufrollen möchte die aus Medellín stammende Menschenrechtsanwältin das Abkommen deshalb nicht: Marina Gallegos Augenmerk liegt schon auf der Umsetzung der Vereinbarung.
Zweifel, dass es zu einer Einigung kommt, hegt sie nicht: Das Datum 23.3. wird zwar nicht zu halten sein, aber vielleicht kann zu einem späteren Zeitpunkt auch die zweite große Guerillagruppe, das 1700 Kämpfer zählende nationale Befreiungsheer, ELN, mit ins Boot geholt werden, so ihre Hoffnung.

"Dieser Preis schützt uns vor allem"

Nur wenn alle Akteure mitspielen, und sich halbwegs an die getroffenen Vereinbarungen halten, bekommt der Frieden eine Chance in Kolumbien.
"Kolumbien ist gespalten. In einer Umfrage würden sich 80 Prozent der Leute für die Unterzeichnung des Abkommens und für Frieden aussprechen. Aber im Grunde wollen sie den Frieden ohne die FARC, als ob die einfach so von der Erdoberfläche verschwinden könnten."
Die Reintegration der FARC in die Gesellschaft und ihre Sicherheit stellen die wohl größte Hürde und Herausforderung für den Friedensprozess dar.
Vergangene Erfahrungen nähren Zweifel: Hunderte, wenn nicht tausende Guerilleros, die ihre Vorstellungen politisch statt mit der Waffe durchsetzen wollten, wurden ermordet – ebenso wie viele Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten.
Für Menschenrechtsanwältin Marina Gallego, die mit Ruta Pacífica 2014 schon den nationalen Friedenspreis in Kolumbien erhielt, ist der Menschenrechtspreis der Friedrich Ebert Stiftung deshalb mehr als nur eine Anerkennung und Anreiz, weiterzumachen:
"Der Preis ist sehr bedeutend, er schützt uns vor allem auch."
45 000 Personen, mehr als während der argentinischen Militärdiktatur, sind in den Jahren des Konfliktes in Kolumbien verschwunden, behaupten Menschenrechtsorganisationen. Sie machen in erster Linie die Akteure des kolumbianischen Staates, aber auch rechtsgerichtete Paramilitärs dafür verantwortlich.
Der Menschenrechtspreis macht Marina Gallego bekannter und damit weniger verletzlich: Umso stärker will sie jetzt weiter daran arbeiten, mit der Wahrheitskommission der Ruta Pacífica die Vergangenheit aufzuarbeiten, um somit die Basis für Vergebung und damit für ein friedlicheres Kolumbien zu legen.
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