Frauen, die politisch was zu melden hatten

12.12.2006
Der amerikanische Mittelalterforscher Patrick J. Geary beweist in seinem Band über weibliche Ursprungsmythen, dass in den frühen Chroniken der europäischen Zivilisation die Rolle der Frauen in der Politik absichtsvoll umgeschrieben worden ist. Das berühmte Canossa war zum Beispiel die Burg der Markgräfin Mathilde, die im Konflikt zwischen Kirche und Reich eine Schlüsselrolle spielten.
Was wir über Hexen wissen, stammte lange Zeit von den Hexenverfolgern. Wie weit soll man also solchen Texten trauen? Der amerikanische Historiker Patrick J. Geary erweitert diese Frage: Wie weit sollen wir eigentlich Texten über Frauen folgen, wenn wir wissen, dass sie alle von Männern geschrieben worden sind? Und zwar nicht von irgendwelchen Männern, sondern von Geistlichen.

Geary, der in Kalifornien mittelalterliche Geschichte lehrt, zeigt in seinem schmalen Band, dass in den frühen Chroniken und Ursprungsgeschichten der europäischen Zivilisation die Rolle der Frauen in der Politik absichtsvoll umgeschrieben worden ist. Denn natürlich waren Frauen in einer Gesellschaft wichtig, in der Herrschaft auf Verwandtschaft gründete. Wenn der König heiratete, hatte das immense Folgen für die Familie, aus der er seine Frau wählte. Und wenn der König eine Tochter hatte, dann war es auch nicht gleichgültig, wer sie zur Frau bekam.

Frauen waren also ein entscheidendes Moment vormoderner Herrschaft. Und manche von ihnen scheinen das auch gewusst zu haben. Geary zeigt am Beispiel von Judith, die - durch Heirat mit Ludwig dem Frommen - dem Welfen-Geschlecht, aus dem sie stammte, zu seinem Aufstieg verhalf, wie sehr sich spätere Chroniken bemühten, ihre zentrale Rolle wieder wegzuretouchieren. Und er berichtet von ihrer Enkelin, ebenfalls eine Judith, die sich von einem Grafen Balduin von Flandern entführen ließ, weil sie des Wartens auf einen geeigneten Mann müde war. Das machte riesigen Skandal und hatte weitreichende politische Folgen. Auch sie aber rückte in der Erinnerung mehr und mehr an den Rand der welfischen Familiengeschichte. Und warum? Weil damals, im 11. und 12. Jahrhundert, als die Chroniken geschrieben wurden, dem Klerus, der sie schrieb, der politische Einfluss von Gräfinnen sowieso schon viel zu weit ging.

Das berühmte Canossa, zum Beispiel, das war die Burg der Markgräfin Mathilde, die im Konflikt zwischen Kirche und Reich, der zum Gang nach Canossa führte, eine Schlüsselrolle innehatte. In der Chronik der Böhmen wird davor gewarnt, schon die Herrschaft der Amazone Libuse habe sich nicht halten können.

Frauen, die politisch etwas zu melden hatten - das schien in der Welt des Mittelalters vielen ein deutliches Indiz dafür, dass die Männer irgendetwas falsch machten. Folgerichtig wurde immer wieder die Geschichte der Amazonenherrschaft erzählt - wie zur Warnung. Denn Amazonen, so der Mythos, gibt es nur, wenn den Männern aus Feigheit oder Trägheit das Heft des Handelns entgleitet.

In fast jedem Gründungsmythos europäischer Völker, von den Griechen über die Goten bis zu den Tschechen, kommt ein solches Amazonen-Intermezzo vor. Teils beruhte es auf Tatsachen: Es gab immer wieder kämpfende, militärisch aktive Frauen. Teils prägte sich die Erzählung zum Motiv aus, das einfach zu einer Chronik über die Ursprünge dazugehörte. Erst die Überwindung einer Frauenherrschaft, so Geary, machte für die Männer die Männerherrschaft zu einer runden, ordnungsstiftenden Sache.

Ein Mann wurde nur einmal wegretouchiert: Joseph, der Gatte Marias und vielleicht Vater von Jesus Christus. Vielleicht, denn eben seine leibliche Vaterschaft bestritt ein Teil der christlichen Überlieferung, während ein anderer Jesus ins Geschlecht Davids einrückte. Um ein Nachfahr von König David zu sein, hätte Christus aber der Sohn von Joseph sein müssen. Nichts mit Jungfrauengeburt. Je wichtiger Maria als Symbolfigur für die Kirche wurde, desto mehr wurde Joseph aus der Heilsgeschichte "herausgeschrieben". Man könnte auch sagen: Es war unerwünscht, dass Jesus allzu viele Verwandte hatte.

Geary schildert die Winkelzüge solcher Verwandtschaftszuschreibungen mit viel Liebe zum Detail. Er behauptet nicht, dass es wirklich Amazonen gab und dass Frauen wirklich geherrscht haben. Aber er zeigt, wie aufwendig am gegenteiligen Anschein gearbeitet worden ist.

Rezensiert von Wiebke Hüster

Patrick J. Geary, Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
C.H.Beck 2006
144 S., 17,90 €