Frau im Männerclub der Avantgardisten

"Die Journalisten" heißt das Bild von Hannah Höch aus dem Jahr 1925.
"Die Journalisten" heißt das Bild von Hannah Höch aus dem Jahr 1925. © picture-alliance / dpa / Stephanie Pilick
07.07.2011
Hannah Höch, die Grande Dame der Berliner Dada-Bewegung, ist in der Kunstgeschichte schon lange kein Geheimtipp mehr. Nicht aufgearbeitet war bisher ihr Leben während der NS-Zeit. Die Biografin Cara Schweitzer liefert ein detailliertes Lebens- und Zeitpanorama insbesondere dieser Jahre.
Hannah Höch, die Grande Dame der Berliner Dada-Bewegung, ist in der Kunstgeschichte schon lange kein Geheimtipp mehr. Zahlreiche Einzelausstellungen seit den 1970er-Jahren in Paris, New York und Berlin machten sie ebenso einem breiten Publikum bekannt wie Publikationen über ihre Rolle als erste Frau im Männerclub der Avantgardisten. Auch ihre Liebes- und Arbeitsbeziehungen wurden mehrfach beschrieben, zu Raoul Hausmann, dem Mitbegründer von Dada, und zu Til Brugmann, einer holländischen Dichterin.

Nicht aufgearbeitet aber war bis jetzt das Leben Hannah Höchs während der NS-Zeit, von dem es bislang geheißen hatte, sie habe es "zurückgezogen in ihrem Häuschen in Heiligensee zugebracht". Die 1973 geborene Kunsthistorikerin Cara Schweitzer legt den Schwerpunkt ihrer Biographie auf diese Phase und stützt sich dabei auf unveröffentlichte Quellen, Gerichtsakten, Briefe, Petitionen aus dem Berliner Landesarchiv.

Zutage tritt zunächst wenig Überraschendes, nämlich dass eine verfemte Künstlerin wie sie es schwer hatte zu überleben – fehlten doch alle Möglichkeiten, ihre Werke auszustellen oder zu verkaufen. Dass Höch sich allerdings 1937 – im Jahr der NS-Propagandaschau "Entartete Kunst" – immer wieder gefährlich exponierte, um ihren Geliebten, Kurt Heinz Matthies, einen straffällig gewordenen Exhibitionisten, aus den Fängen der Justiz zu befreien, erstaunt dann doch. Wie viel Mut zu diesem Einsatz gehörte, daran lässt die Autorin in detailreicher Nachzeichnung von Hannah Höchs Offensiven keinen Zweifel. Passgenau für ein turbulentes Leben, das sich um Konventionen nicht scherte, wählt sie als Titel für ihre Biographie "Schrankenlose Freiheit", eine Parole, die Hannah Höch schon 1919 wie ein künstlerisches Credo über eine ihrer stilbildenden Fotomontagen setzte.

Entsprechend schreitet Schweitzer nicht nur Hannah Höchs Lebensstationen ab, von der Kindheit in Gotha bis zum Kriegsende – die letzten drei Dekaden handelt sie in einem kurzen Epilog ab –, sondern sie setzt diese auch ausführlich in Bezug zu ihrem Werk: Von den großen dadaistischen Collagen wie "Der Schnitt mit dem Küchenmesser", den die tonangebenden Herren in der legendären ersten Dada-Messe zunächst nicht ausstellen wollten, obwohl die Außenseiterin damit frech eine neue künstlerische Gattung kreiert hatte, über ihre Rückkehr zur Malerei in der surrealen Phase mit Ausflügen in die Neue Sachlichkeit. Politisch unverfänglich erschuf sie während der NS-Zeit phantastische Welten mit geisterhaften Wesen, von denen leider viel zu wenige – und nur in schwarz-weiß – abgebildet sind.

Das ist faszinierend zu lesen. Allerdings ist die kenntnisreiche Biografin gegen die typische Schwäche des Genres nicht gefeit: Viel zu ungern löst sie sich von den Quellen, der zusammengetragenen Materialfülle hätte an manchen Stellen eine Kürzung gut getan. Schade auch, dass die Zeit nach 1945, Hannah Höchs späte Anerkennung durch Einzelausstellungen und Ankäufe ihrer Werke durch Museen nur kurz gestreift wird. Ihre Rolle als Vorläuferin von Fluxus und Pop-Art hätte man sich gern ausführlicher gewürdigt gewünscht. Gleichwohl: ein gut recherchiertes Lebens- und Zeitpanorama.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Cara Schweitzer: Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Das Leben einer Künstlerin 1889 – 1978
Osburg Verlag, Berlin 2011
446 Seiten, 26,90 Euro