Frank Schirrmacher: "Die Stunde der Welt"

Rhetorisches Trommelfeuer

Cover des Buches: Frank Schirrmacher: "Die Stunde der Welt. Fünf Dichter - Ein Jahrhundert. George, Hofmannsthal, Rilke, Trakl, Benn" neben einem Porträt von Frank Schirrmacher
Der Literatur begegnete der promovierte Germanist Frank Schirrmacher (1959 - 2014) statt philologisch mit Emphase. © Blessing Verlag / picture alliance / dpa
Von Edelgard Abenstein · 27.07.2017
Der wieder aufgelegte Band "Die Stunde der Welt - Fünf Dichter" von Frank Schirrmacher versammelt Porträts der Galionsfiguren der literarischen Moderne - von Hofmannsthal bis Benn. Der 2014 verstorbene FAZ-Mitherausgeber hatte eine markante These.
Er war ein Mann, der gern die Fronten wechselte. Frank Schirrmacher, einst jüngster Mitherausgeber der FAZ, öffnete das Rezensionsfeuilleton der FAZ für die Naturwissenschaften, für politische Debatten. Von ideologischen Lagern hielt er wenig, er erfand Themen, gab ihnen griffige Namen wie im "Methusalem-Komplott", in dem er gegen Altersdiskriminierung wetterte.

Eine überbordende Fantasie von Größe

Der Literatur begegnete der promovierte Germanist statt philologisch mit Emphase. Und immer mit rhetorischem Trommelwirbel. So auch in dem Band "Die Stunde der Welt", einer Sammlung von in der FAZ erschienenen Artikeln, die 1996 in Buchform herauskam und jetzt wiederaufgelegt wurde: Es sind fünf Porträts von Dichtern in ihrem Verhältnis zur Politik, von Hugo von Hofmannsthal, dem Wunderkind des Fin de Siècle bis zu Gottfried Benn, der seit seiner Verstrickung ins Dritte Reich nie wieder von großen Gedanken redete, ohne gleichzeitig von Kino, Bier und buntem Abend zu reden. Neben der alles Schreiben inspirierenden Endzeitstimmung ist, laut Schirrmacher, diesen Galionsfiguren der literarischen Moderne eine überbordende Fantasie von Größe gemeinsam.
Er erinnert an die Zeit vor hundert Jahren, als Hofmannsthal mit dem nahenden Ende der K.-u.-k.-Monarchie das Zentrum seiner Produktivität verliert - statt Gedichte schreibt er nur mehr Dramen und Libretti. Während Trakls alptraumhafte Verse seismografisch die Lebenswelt einer ganzen Generation spiegeln. Ganz anders die Münchner Moderne. Rilke flirtet kurz, aber heftig mit der Revolution, während George sich im homoerotischen Männerbund zum Gewaltherrscher stilisiert.

Abkehr von allen Vorläufern

Den einzelnen Porträts liegt eine über weite Strecken forsch geschriebene Dichtungstheorie zugrunde, mit einer markanten These, deren Grundgedanken Schirrmacher bei dem amerikanischen Literaturhistoriker Harold Bloom entliehen hat. Demzufolge entsteht Dichtung aus der radikalen Abkehr von allen Vorläufern. Aber auch die Nachwelt stehe unter ihrem Diktat. "Kinder, Enkel und Urenkel" sollten verstummen "angesichts der Größe des Erreichten".
Was sich so totalitär gebärdet, scheint letztlich nichts anderes als der gute, alte Geniegedanke mit seinem unbedingten Willen zur Originalität, der seit der Romantik der ästhetischen Moderne den Weg bereitete. Neu allerdings im "Zeitalter der Extreme", und darauf weist der Autor hin, ist die Politisierung der Literatur, die demonstrative Abkehr davon eingeschlossen.

Fotos aus dem Familienalbum

Reizvoll sind die Zutaten, die das Buch ganz nebenbei kommentieren: Fotos aus den Familienalben der Dichter, versehen mit deren späteren Selbstaussagen sowie den zentralen Gedichten. Da blicken artige, sehr ernste Bürgerkinder in die Kamera, und wenn man von "cäsaristischen Träumen" (Rilke) liest, von Visionen "jugendlichen Königtums" (George), dem Hang zur "Kostümierung" (Hofmannsthal), die sie damals heimgesucht haben, sieht man sie, sehr jung, als verkannte Prinzen durch die Welt schreiten. Um sich die schönsten Verse auszudenken. Fundamentalistisch oder nicht.

Frank Schirrmacher: Die Stunde der Welt
Fünf Dichter - Ein Jahrhundert.
George, Hofmannsthal, Rilke, Trakl, Benn
Blessing-Verlag, München 2017
192 Seiten, 19,99 Euro

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