Fragwürdige Praktiken bei NSU-Ermittlungen

Von Esther Dischereit · 15.04.2013
Zum Auftakt des NSU-Prozesses in dieser Woche porträtiert die Schriftstellerin Esther Dischereit Menschen, die fragen: Wie war es möglich? Den Anfang macht der Polizist Mario Melzer. Schon 1998 hatte er die Pannen bei der Durchsuchungsaktion gegen das Neo-Nazi-Trio kritisiert.
Mario Melzer ist nicht beim Verfassungsschutz. Für einen, wie ihn ist, da kein Platz. Schon der Ausdruck wirke ja verharmlosend, sagt er. Mario Melzer ist Polizist und Christ.

"Mein Glaube verpflichtet mich, alle Handlungen auch dienstlicher Natur abzuwägen mit meiner Moral. Es steht mir als Beamten frei zu remonstrieren. Jeder ist ja verpflichtet zu überlegen, ist diese Weisung in Ordnung oder nicht und aus dieser meiner christlichen Verpflichtung und Ethik heraus hat sich für mich eine Berufsethik entwickelt. Dazu stehe ich."

Mario Melzer formuliert Zweifel daran, ob das Terrortrio wirklich gefasst werden sollte. 1998 hatten Bönhardt, Mundlos und Zschäpe unter dubiosen Umständen einem Zugriff in Jena entkommen können. Kann es sein, dass jemand sie verschwinden lassen wollte? Warum war der Staatsanwalt krank, der Ermittlungsführer auf Weiterbildung und waren die Polizisten unzureichend ausgerüstet?

Mario Melzer war zum fraglichen Zeitpunkt an einen anderen Ort abgeordnet worden; er, der die längste Erfahrung im Bereich Rechtsextremismus hatte. Galt er als unsicherer Kantonist, dessen Ermittlungseifer es zu bremsen galt?

"Ich bin 43 Jahre alt, 1970 in Erfurt aufgewachsen in einem christlich ökumenisch geprägten Elternhaus. Mein Vater wurde wegen Republikflucht verhaftet und saß in den 50er-Jahren in Haft."

Einer der Brüder wurde zwangsexmatrikuliert, der andere war Armee-Totalverweigerer.

"Ich war der Dritte im Bunde. Tja, die DDR war nicht unbedingt mein Land."

Er hatte Gärtner werden müssen, ein Beruf, den er dann doch lieben lernte. Nach 1989 ging sein Betrieb in die Pleite. Die Polizei suchte Leute und Mario Melzer interessierte das Ressort Umweltkriminalität. So kam er zur Polizei, wurde eingesetzt in verschiedenen Ermittlungseinheiten.

Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).
Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).© picture alliance / dpa /Frank Doebert
Immer wieder wurden Spuren verwischt
Als Melzer Ende der 90er-Jahre Beate Zschäpe vorlud, war er Ermittler der sogenannten Soko-Rex, einer Spezialeinheit gegen Rechtsextremismus. "Die spielten doch Katz und Maus mit uns", war sein Eindruck: Wie kann es sein, dass Leute, gegen die ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt wurde, immer schon vorausschauend alles belastende Material wegbringen konnten?

Nach zwei Jahren wurde die Soko-Rex aufgelöst und eine andere Sonderkommission aufgebaut: EG Tex, später EG Zex, mit ständig wechselnder Besetzung. Melzer hatte schon die Ermittlungen geführt wegen Bombenattrappen auf dem Marktplatz von Jena und wegen eines Puppenkörpers, der den in die Stadt Jena reisenden damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, verunglimpfen sollte. Nun aber war er bei den Ermittlungen nicht mehr dabei.

Immer wieder wurden Spuren verwischt. Der Leiter der EG Zex und Kollege Melzers, Achim Koch, wurde eines Tages tot aufgefunden. Suizid hieß es, - der Abschiedsbrief befindet sich bis heute unter Verschluss. Auch der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat ihn nicht zu sehen bekommen. Die von Melzer selbst erstellten Akten sind nach eigener Durchsicht in einem anderen Zustand, als er sie abgegeben hatte.

"Ich habe einen befreundeten Benediktiner Mönch angerufen und habe ihn dann gebeten: Lieber Aurelian, darf ich zu dir ins Kloster kommen nach Sankt Ottilien. Ich möchte mich vorbereiten."

Das war, bevor Melzer vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags auftrat. Als Kriminalhauptmeister des LKA Thüringen gab er im Januar diesen Jahres eine zweistündige persönliche Stellungnahme ab: Er deckte fragwürdige Praktiken bei Kollegen, Richtern und Verfassungsschützern auf.

Schon 1998 hatte er die schweren Pannen bei der Durchsuchungsaktion gegen das Neo-Nazi-Trio kritisiert. Danach sollte er mit diesem Thema nichts mehr zu tun haben.

Melzer sagt, er habe nicht 1989 auf der Straße gestanden, um heute den Mund zu halten.

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Porträtreihe zum Auftakt des NSU-Prozesses
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