Fouad Laroui: "Die Leiden des letzten Sijilmassi"

Verloren zwischen den Kulturen

Ein Mann sitzt auf einem Felsen an der steinigen Atlantikküste von Essaouira.
Fouad Larouis Held in "Die Leiden des letzten Sijilmassi" endet allein am Strand. © dpa picture alliance/ Reinhard Kaufhold
Von Dirk Fuhrig · 13.01.2017
Fouad Larouis Romanheld Adam, erfolgreicher Ingenieur aus Marokko, will sein Leben neu beginnen. Doch der Rückzug in eine Kleinstadt bringt nicht die Erlösung. Immer wieder gerät der von der europäischen Aufklärung Geprägte mit traditionell religösen Einwohnern in Konflikt.
Adam Sijilmassi, erfolgreicher Ingenieur aus Casablanca, beschließt während eines Langstreckenflugs in der Business Class, sein Leben zu ändern. Das ständige Unterwegssein erträgt er nicht mehr. Er will zurück zum menschlichen Maß und sucht Entschleunigung. Zu Fuß geht er vom Flughafen zu seiner modernen Wohnung in einem wohlhabenden Viertel der marokkanischen Hafenstadt. Er gibt alles auf - Job, Wohnung, Ehefrau - und kehrt zurück in seine Geburtsstadt, ein Kaff an der Atlantikküste.
"Burn-Out" würde man Adams Sinnkrise neudeutsch wohl nennen, die ihn dazu bringt, sein "westliches" Leben abzulegen und sich stattdessen der Langsamkeit und Einfachheit zuzuwenden. Das gelingt ihm nur schwer, weil einerseits die Kleinstadtbewohner einen solchen Wandel suspekt finden. Und er andererseits seine Bildung, die er auf dem französischen Gymnasium erworben hat, nicht ablegen kann. Sein Denken, sein Wesen ist geprägt vom Kanon der europäischen Erziehung, von der Aufklärung. Das bringt ihn unweigerlich in Konflikt mit einer Kultur, die von der unkritischen Befolgung religiöser Vorschriften geprägt ist. Der europäisch sozialisierte Adam diskutiert mit gläubigen Muslimen die immer wieder gleichen Fragen - mit dem Ergebnis, dass sich Glaube und Nicht-Glaube, Religion und Aufklärung nicht vereinbaren lassen. Nicht nur im Islam, aber vor allem im Islam.

Laroui zitiert die halbe europäische Geistesgeschichte

"Die Leiden des letzten Sijilmassi" ist ein Buch über den Gegensatz zwischen europäischer und arabischer Lebensweise. Die Hoffnung, in der traditionellen Kultur ein echteres Leben zu finden, erweist sich für den Protagonisten schnell als trügerisch. Adam gerät zwischen die Fronten verschiedener dogmatischer Glaubensrichtungen und endet als nackter Mann in einer elenden Sandhöhle am Strand - als Adam, der erste Mensch.
Fouad Laroui wurde 1958 in Marokko geboren. Das Städtchen Azemmour, in das sein Protagonist im Roman zurückkehrt, ist seine eigene Heimatstadt. Und ebenso wie Adam Sijilmassi hat Laroui selbst eine Laufbahn als Ingenieur hinter sich. Er studierte später Wirtschaftswissenschaften und unterrichtet heute französische Literatur und Philosophie in Amsterdam. Der Roman ist aber keine Autobiographie, sondern vor allem ein Buch über Bücher. Laroui zitiert direkt oder indirekt die halbe europäische Geistesgeschichte, von Voltaire über Hegel und Nietzsche bis Baudelaire und Camus - die Zitate hat Laroui im Anhang akribisch verzeichnet.
Durch diese zahllosen Referenzen wirkt das Buch, das packend und humorvoll beginnt, in der zweiten Hälfte sehr konstruiert. Es ist dennoch fesselnd und wichtig, da es den inneren Konflikt zwischen der Herkunft aus einer traditionellen arabischen Kultur und der Ausbildung in einer anderen Kultur und Sprache - hier dem Französischen - sehr plastisch beschreibt.

Fouad Laroui: "Die Leiden des letzten Sijilmassi"
Aus dem Französischen von Christiane Kayser
Merlin Verlag, Gifkendorf-Vastorf 2016
288 Seiten, 24 Euro

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