Fotos wie eine japanische Tuschezeichnung

Von Rudolf Schmitz · 11.04.2013
Zur Fotografie kam er eher zufällig: Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami belichtet rätselhafte und faszinierende Motive. Über allem liegt eine große Melancholie - nicht ohne Grund.
Kein Zweifel, diese Fotografien können nur von ihm sein: Bäume im Schnee, in Schwarzweiß, Bilder von märchenhafter und zugleich beklemmender Ausstrahlung. Abbas Kiarostami, der iranische Regisseur, hat geradezu unwahrscheinliche Momente von Licht und Schatten eingefangen. Wie hat er das gemacht, dass man einen Baumstamm sieht und dessen weit verzweigte Krone als Schattenwurf im Schnee, als seien die Verhältnisse auf den Kopf gestellt?

Es sind große, menschenleere Schneelandschaften, die das Wiesbadener Museum zeigt. Und die Bäume mit ihrer grafischen Schattenstruktur wirken darin wie japanische Tuschzeichnung.

Früher, so erzählt der iranische Regisseur, dienten ihm solche Fotografien zur Vorbereitung seiner Filme. Doch dann habe sich die Fotoleidenschaft verselbständigt. Bei aller Schönheit vermitteln diese Fotografien aus dem iranischen Winter, die jetzt zusammen mit Farbfotografien und Videos gezeigt werden, allerdings vor allem eins: ein tiefes Gefühl von Einsamkeit.

""Ich kann dieses Gefühl nur bestätigen, dass Sie angesichts dieser Fotos empfinden. Ich bin immer allein und fühle mich auch so, wenn ich fotografiere. Ich glaube allerdings nicht, dass das notwendig zum Fotografieren gehört. Aber weil ich mich mit der Natur auseinandersetze und weil sie oft so großartig und überwältigend ist, fühle ich mich dann oft sehr klein und einsam. Wenn also dieses tiefe Gefühl, das ich gegenüber der Natur empfinde, durch diese Fotos ausgedrückt wird und Sie als Betrachter das spüren, dann bin ich damit sehr einverstanden"."

Seit der heute 72-jährige Regisseur 1997 mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet wurde für den Film "Der Geschmack der Kirsche", ist das Interesse für seine lakonisch poetischen Filme weltweit erwacht.

Oft gibt es in Kiarostami-Filmen lange Einstellungen von Autofahrten durch endlos weite Landschaften. Das Innere des Autos wird zu einem Ort der Intimität, des Schutzes, der Geständnisse. In der Wiesbadener Ausstellung erinnert eine Serie mit farbigen Fotos daran. Sie heißt "Rain and Wind" und zeigt ausschließlich den Blick durch regenüberströmte Windschutzscheiben.

Man ahnt Elemente von Landschaft, sieht ab und zu die aufglühenden Lichter anderer Autos oder auch Figurenschemen. Ebenfalls sehr stille, meisterhafte Fotos, als hätte ein Maler wie Gerhard Richter seine schlierigen Abstraktionen hier mit der zufällig im Handschuhfach liegenden Kamera nachvollzogen.

Die in Wiesbaden gezeigten Videos von Abbas Kiarostami sind ebenso rätselhaft wie faszinierend. Starre Einstellung auf ein vom Meer überspültes Felsenstück. In einer Felsmulde liegen einige Vogeleier, sie werden nach und nach von den Wellen mitgerissen. Die Mulde ist dann leer, eine Art Trauermusik setzt ein und überlagert die Wellengeräusche und das Möwenkrächzen. Oder ein Episodenvideo, das jeweils in starrer Kameraeinstellung stimmungsvolle Naturmomente zeigt:

Die gekräuselte Oberfläche eines Teiches, in dem sich der Mond spiegelt. Das erinnert an Haikus, die rätselhaften japanischen Kurzgedichte, die einen Wahrnehmungsmoment feiern. Er habe seine Füße in der heimatlichen Erde stecken, sagt Kiarostami, doch mit den Augen schaue er weit darüber hinaus.

""Wenn ich gefragt werde, wie ich, als iranischer Künstler, es schaffe, mich für Themen zu interessieren, die durch westliche oder vielleicht auch östliche Kultur geprägt sind, dann gibt es nur eine naheliegende Antwort: Wer als Künstler die Verbindung mit anderen Menschen sucht, muss von sich selbst absehen können. Man kann sich dann nicht nur auf das eigene Land, die eigene Kultur, Religion oder Sprache beziehen. Es ist wichtig, nach vorne zu schauen, woanders hin zu schauen, denn sonst ist man ein Sklave jener Umstände, in denen man aufgewachsen ist. Und der einzige Weg, die Verbindung mit anderen zu finden, ist es doch, sich davon zu befreien"."

Unwillkürlich versteht man die große Melancholie, die sämtliche Fotografien und Videos beherrscht, als politische Anspielung, als Aussage über den Zustand der iranischen Gesellschaft. Doch genau diese Interpretation lehnt Abbas Kiarostami vehement ab:

""So verstehe ich das ganz und gar nicht. Ich als Künstler habe doch keinen Grund, mich auf den Kontext zu beschränken, in dem ich lebe. Die Macht der Fantasie erlaubt uns, überall zu sein. Und der einzige Grund, warum wir uns für die Kunst entscheiden, ist doch, dass wir dieser Realität entkommen können. Unsere Realität, unsere sozialen Verhältnisse sind schmerzlich genug. Wir dürfen ihnen nicht erlauben, in unsere Fantasie einzudringen und unsere Kunst zu beeinträchtigen. Ich sehe also keinen Grund, warum ich, als Künstler, mich dadurch einschränken lassen sollte"."

Stille und bewegte Bilder, so heißt diese Schau, die nach Stationen in London, New York und Paris jetzt zum ersten Mal in Deutschland zu sehen ist. Stille und bewegende Bilder, so könnte sie auch heißen.
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