Fortschritt ist "im Erbgut der SPD verankert"

Moderation: Liane von Billerbeck · 23.05.2013
Der Regierungswechsel 1998 habe ihm gezeigt, "dass Politik irgendwie Gestaltung ist und nicht nur Verwaltung", sagt der Blogger und Netzaktivist Sascha Lobo. Seitdem hegt er große Sympathien für die SPD, zumal der technische und gesellschaftliche Fortschritt bei ihr "am stärksten verankert ist".
Liane von Billerbeck: Er war und ist noch immer ein Gesicht der Netzgemeinde: Sascha Lobo, der Mann mit dem bekannt feuerroten Haarschopf, ein freiberuflicher, fortschrittsbegeisterter Technikfan – nicht eben der typische SPD-Wähler – zumindest, wenn man dem Klischee Glauben schenkt. Und trotzdem gehörte Sascha Lobo zu den Unterstützern der guten alten Tante SPD. Am heutigen Geburtstag, an dem 1863, vor 150 Jahren also, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein in Leipzig gegründet wurde, will ich mit ihm darüber reden, was die Partei für ihn attraktiv macht. Grüße, Herr Lobo!

Sascha Lobo: Hallo!

von Billerbeck: Ich hätte Sie eher bei den Piraten oder den Grünen erwartet, was bitte verbindet Sie mit der SPD?

Lobo: Ach, da gibt es einen persönlichen und zwei übergeordnete Gründe: Der persönliche ist, dass ich 1998, da war ich 23 Jahre alt, das erste Mal gemerkt habe, als Rot-Grün an die Macht gekommen ist, dass Politik irgendwie Gestaltung ist und nicht nur Verwaltung. Und das habe ich so deutlich gespürt, auch mit dieser damals für mich neuen Regierung, die ganz anders kommuniziert hat als davor Kohl. Und diese Begeisterung, die ist mir offenbar in die Knochen gefahren und dort geblieben, um es mal so auszudrücken.

Ich habe irgendwie seitdem mich immer rot-grün verorten wollen. Das ist der persönliche Grund, und die beiden übergeordneten sind, dass ein persönliches Ziel von mir die Abschaffung der Existenzangst ist, und da glaube ich, dass das mit der SPD beziehungsweise mit Rot-Grün am geschmeidigsten funktionieren kann.

Und der dritte Punkt ist ein quasi historischer – Sie haben ja schon richtig gesagt, dass ich mich für den Fortschritt einigermaßen begeistern kann, und ich glaube, dass Fortschritt eigentlich im Erbgut der SPD verankert ist. Das ist manchmal ein bisschen ambivalent, das gebe ich gerne zu, und Fortschritt hat auch immer mit Geschwindigkeit zu tun, und Geschwindigkeit ist jetzt nicht die Spezialität der SPD. Aber ich glaube, dass dieser eigentliche Kern – wir wollen nach vorne, wir wollen weiter –, was den Fortschritt ja, nicht nur technologischen, sondern auch gesellschaftlichen, ausmacht, dass das bei der SPD am stärksten verankert ist.

von Billerbeck: Da sind Sie offenbar in einer Minderheit, denn wenn man sich die Umfragen anguckt, da hat die SPD derzeit 24 Prozent der Wähler auf ihrer Seite, und es gibt ja ein Thema, das nicht bloß die Wähler, sondern auch die Parteimitglieder schier zerreißt, das ist alles, was mit der sogenannten Agenda 2010 und den Hartz-IV-Gesetzen verbunden ist. Wie könnten Sie sagen, das ist was, was die Existenz sichert?

Lobo: Ich muss vielleicht zwei Dinge dazu sagen: Zum einen sind diese 24 Prozent herausgefunden worden von Manfred Güllner von Forsa, der sowieso eine seltsame Einstellung hat von diesen Themen, er ist, glaube ich, selber sogar SPD-Mitglied, woran man dann aber – und das ist der zweite Punkt – ganz gut diese Ambivalenz festmachen kann.

Ich glaube, dass es gar nicht so leicht ist, gleichzeitig nach vorne zu wollen und mit der Gegenwart sich anzufreunden. Das ist eine Art von Spagat, denn das sieht man schon am Titel "Vorwärts!" der Parteizeitung. Das hat auch immer damit zu tun: Hier ist es noch schlecht, lass uns nach vorne gehen, wo es gut wird. Ja, so ein Gefühl, da vorne wird es besser, so eine Aufbruchsstimmung, die damit verbunden ist. Da kann man sich leicht vorstellen, dass das zu großen Ambivalenzen führt.

Und ich glaube, dass so was wie Hartz IV Versuche waren, das so ein bisschen realpolitischer zu gestalten. Dass das in mehreren Facetten etwas misslungen ist, um es vorsichtig zu sagen, das sagen ja inzwischen die meisten, sogar Leute, die dabei waren, das mitgestaltet haben.

von Billerbeck: Sie haben kürzlich während der Re:publica, der Konferenz, bei der sich die Netzgemeinde versammelt, genau diese Netzgemeinde gescholten und ihr politisches Versagen und Verweigerung gegenüber der Realität vorgeworfen. War das so eine Art Aufruf, also nicht, empört euch, sondern engagiert euch – vielleicht auch bei der SPD?

Lobo: Ich glaube, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Der Kern meiner Aussage damals war, dass die Netzgemeinde leider – und auch ich, da kann ich mich von dieser Kritik überhaupt nicht ausnehmen, im Gegenteil – lange unterschätzt hat, das Netzpolitik in allererster Linie Politik ist und ein ganz klein wenig auch Netz. Und die Netzgemeinde hat da etwas andere Prioritäten gesetzt, hat häufig beharrt auf Maximallösungen, wollte nicht abweichen von dem, was sie selbst als gut und richtig erkannt hat.

Und dann ist es in der Politik schwierig, wenn man wenig verhandlungsbereit ist, wenn man Kompromisse als Niederlagen wertet, das ist kein Rezept, mit dem man als Minderheit, als politische Minderheit zumindest, großen Erfolg haben kann.

von Billerbeck: Und ausgerechnet die SPD ist die Partei, die Ihr Ansprechpartner ist, auch was Netzpolitik, beide Teile des Wortes, betrifft?

Lobo: Ja, die SPD und die Grünen – das muss ich vielleicht noch betonen. Ich sehe schon, wer …

von Billerbeck: Sie sind da also gespalten?

Lobo: Ach, was heißt gespalten. Wenn man sich so was anguckt wie Amalgam, so eine Verschmelzung, dann ist das, glaube ich, alles andere als gespalten, sondern eher stärker, wenn es zusammengeht. Und da es jetzt wirklich kein Geheimnis ist, dass die SPD vermutlich im Herbst es nicht schaffen wird, eine absolute Mehrheit zu erreichen, glaube ich, dass man, wenn man realpolitisch unterwegs ist, sowieso von Rot-Grün spricht.

Ich bin nicht Mitglied in der SPD, sondern eben Sympathisant, und das ist ja dann ein bisschen besser zu verteilen als eine Parteimitgliedschaft, insofern fühle ich mich bei Rot-Grün ganz wohl. Und dass da gerade im Internetbereich ...

von Billerbeck: Warum?

Lobo: Eben genau aus diesem persönlichen Grund, den ich am Anfang gesagt habe. Das ist für mich so ein erstes großes politisches Symbol der Gestaltung der Gesellschaft 1998 gewesen.

von Billerbeck: Aber seitdem sind ja ein paar Jahre vergangen.

Lobo: Das ist mir nicht verborgen geblieben.

von Billerbeck: Und da ist ja einiges passiert, und Kohl ist lange her. Trägt das immer noch, dieses, was Sie da so als Aufbruch empfunden haben?

Lobo: Emotional trägt das noch, sonst würde ich ja nicht mehr meine Sympathie offen kundtun. Inhaltlich stimmt es, dass da viel schiefgelaufen ist. Ich sehe die Anfänge und die kleinen Fortschritte, die es gegeben hat, ich sehe aber genau so, dass dieser Weg hin zu einer digitalen Gesellschaft, dass da die SPD nicht immer in die richtige Richtung gezielt hat. Das ist auch überhaupt kein Geheimnis, im Gegenteil.

von Billerbeck: Welche wäre denn die richtige Richtung?

Lobo: Ich glaube, gerade heute wurde ausgerufen die Alternative zur sozialistischen Internationale, wo die SPD die treibende Kraft dahinter war. Und deren Name heißt "Progressive Alliance", wenn ich mich richtig entsinne. Dieses "progressiv", was da drin steht, das halte ich persönlich für die richtige Richtung, und dass progressiv durchaus auch ein paar Entscheidungen und Wege beinhaltet, die im Internetbereich jetzt nicht mit der SPD korrelieren im Moment, das ist klar.

Ich versuche darüber hinwegzuschauen, und weiter an diesem sehr dicken Brett zu bohren, das ist auch eine Art der Überzeugung, die man da sehr langfristig versucht hinzubekommen. Das ist eben Politik, und das ist zwar ernüchternd, aber vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, dass die Netzgemeinde nicht in einem Durchmarsch sofort übermorgen alles bekommt, was sie möchte. Sie merken schon, ich versuche mir das ein bisschen schönzureden.

von Billerbeck: Bei der vorigen Bundestagswahl, da sind Sie ja für die SPD auch in die Bütt gegangen, haben da getwittert und waren in Wahlvideos. Wird das jetzt wieder passieren, oder ist die Liebe so ein bisschen abgekühlt?

Lobo: Die Liebe abgekühlt, das unterstellt ja, dass es schon mal eine glühende Liebe war. Ich habe das in der Tat schon ausprobiert, ein bisschen am Rande beim Wahlkampf mitzumischen. Ich glaube, das wird dieses Mal nicht so intensiv geschehen. Das hängt weniger an erkalteter Liebe, sondern viel mehr daran, dass ich vielleicht auch einfach vier Jahre älter geworden bin. Eine gewisse Ernüchterung ist zwar vorhanden, aber die bezieht sich, glaube ich, eher auf die eigene Begeisterung als auf irgendjemand anders oder die SPD selbst.

von Billerbeck: Das sagt der Netzaktivist Sascha Lobo über die SPD an ihrem heutigen 150. Geburtstag.
Lobo: Danke schön!

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