Forschungsprojekt im Museum

Lindert Kunst die Demenz?

Eine Führung für Demenz-Patienten in der Kunsthalle Bielefeld
In vielen Museen gibt es bereits Führungen für Menschen mit Demenz-Erkrankung, etwa in der Kunsthalle Bielefeld. © picture alliance / dpa
Von Ludger Fittkau · 17.02.2015
Im MOMA in New York fing alles an, aber mittlerweile gibt es in mehreren deutschen Museen Projekte zur Kunstvermittlung für Demenzkranke. Das Städel Museum in Frankfurt am Main nimmt gerade an einem weltweit einmaligen Projekt teil, bei dem untersucht wird, ob Kunst eine lindernde Wirkung auf Menschen mit Demenz hat.
Auf Klappstühlen haben sechs Demenzkranke und ihre Partner Platz genommen - ganz nahe vor dem Bild. Kunstvermittlerin Katharina Grießhaber hat ein Werk ausgewählt, das 1695 in Antwerpen entstanden ist. Es ist ein Stillleben mit Gemüse und Früchten, gemalt von Cornelis de Heem. Katharina Grießhaber deutet auf einen von drei Schmetterlingen, die die üppige Auswahl von Feldfrüchten umkreisen:
"Den dritten Schmetterling erkannt?"
"Der Admiral."
"Der Admiral, Herr Feuge! Sie kennen sich ja mit Schmetterlingen aus! Ich bin begeistert."
Bilder wecken Erinnerungen an die Kindheit
Dieter Feuge ist sichtlich stolz. Er hat alle drei Schmetterlinge auf dem mehr als 300 Jahre alten Stillleben erkannt. Er erklärt entspannt, dass er die genauen Kenntnisse über die Schmetterlinge schon in seiner Jugendzeit gesammelt hat:
"Ja, ich habe die selber gefangen, habe die entsprechend - in Gänsefüßchen - fachmännisch getötet. Mit Spiritus. Und habe sie dann aufgespießt. Die Flügel einzeln, auf Papp-Untergrund. Und dann konnte jeder, der sich dafür interessierte, die Dinger an der Wand ansehen."
Stühlerücken im Städel. Die Gruppe nimmt Platz vor einem weiteren Stillleben. Fische auf einer Küchenbank von Jacob van Es. Dieter Feuge beschäftigt hier das Thema, wie man Aale in der Küche fachgerecht behandelt:
Wenn man die in die Pfanne legt, ohne sie richtig getötet zu haben, dann schlängeln die aus der Pfanne raus.
"Aus der Pfanne raus?"
"Ja."
"Es geht darum, dass man Werke sucht, die zwar Impulse setzen, aber nicht zu stark aufwühlen. Weil bei Menschen mit Demenzerkrankungen dann auch häufiger eine starke emotionale Reaktion dann stattfindet. Und das ist dann schwierig, dass in dem Rahmen dann auch wieder einzufangen und zu beruhigen. Und dafür machen wir das Projekt auch nicht. Wir möchten, dass die Patienten auch Freude haben und Positiverlebnisse mit nach Hause nehmen. Also- unseren Rembrandt hätten wir nicht gezeigt."
Ein Speer mit scharfer Spitze, der von einem Mann mit entschlossener Bewegung in Richtung der Augen eines Menschen geführt wird, der von Soldaten zu Boden gedrückt wird: Rembrandts Meisterwerk „Blendung des Simon" hält einen Moment großer Gewalt fest. Nichts für Demenzkranke, meint die Museumspädagogin. Dann schon lieber das Obst-Stillleben, in dem sich für eine Teilnehmerin der Demenz-Gruppe das Ambiente einer gehobenen Bürgerlichkeit ausdrückt:
Das ist nichts fürs gemeine Volk zum Satt-Werden. Das ist etwas für eine Gesellschaft von höherem Rang. Die so nippt. ( lacht)
Das Städel nimmt teil an einer auf zwei Jahre angelegten wissenschaftlichen Studie der Frankfurter Uni Klinik. Insgesamt 60 leicht- bis mittelgradig Erkrankte und ihre Partner machen mit.
"Die Landschaft ist mediteran, oder?"
"Wir sind immer noch....Cornelis de Heem, der ist in Antwerpen gestorben."
Krankenkassen sollen sich beteiligen
Ob in Flandern oder am Mittelmeer: Weit weg vom winterlichen Mainufer ist die Gruppe in diesem Moment der intensiven Bildbetrachtung:
"In nem üppigen Land, wo Milch und Honig fließen."
"In Frankreich, vielleicht im Kloster."
Das Städel erhofft sich von diesem wissenschaftlich begleiteten Projekt Rückenwind dafür, seine Kunstvermittlungs-Angebote für Menschen mit Erkrankungen ausweiten zu können. Dabei geht es auch um eine mögliche finanzielle Beteiligung der Krankenkassen. Führungen gibt es im Städel bisher etwa für Krebskranke, erklärt die Leiterin der pädagogischen Abteilung des Museums, Dr. Chantal Eschenfelder:
In dem Moment, wo man wirklich wissenschaftlich nachweisen kann, dass Menschen Hilfe bekommen zusätzlich zur medizinischen Betreuung, dann ist das ein ganz wesentlicher Punkt. Außerdem ist uns auch ganz wichtig hier im Städel: Wir betrachten das Haus eben auch als Plattform für alle gesellschaftlichen Aspekte. Man kann Menschen mit Demenz oder auch anderen Erkrankungen ja nicht reduzieren auf ihre Erkrankungen. Jeder hat das Recht auf Teilhabe und eben auch Teilhabe an kulturellem Leben, an Austausch, an Gespräch mit anderen.
Im Städel sitzen die Demenzkranken und ihre Partner entspannt vor dem Stillleben mit dem Küchentisch und den Fischen. Die Museumpädagogin fragt Herrn Michel, welchen Lieblingsfisch er hat:
"Mein Lieblingsfisch?"
"Was kochst Du jeden Freitag, was essen wir jeden Freitag?"
"Rotbarsch."
"Genau."
"Jeden Freitag?"
"Rotbarsch oder Kabeljau."
"Den haben wir hier jetzt nicht mit auf dem Bild. Wie bereiten sie den zu?"
"Macht meine Frau."
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