Forderung zum Women20-Gipfel in Berlin

"Nicht nur reden, sondern wirklich etwas tun"

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung © dpa / picture alliance / Peer Grimm
Jutta Allmendinger im Gespräch mit Dieter Kassel · 25.04.2017
Derzeit tagt in Berlin der Women20 Summit: Prominente (Führungs-)Frauen aus aller Welt diskutieren das Thema Chancengleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Forderungen seien schön und gut, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger - doch müssten endlich konkrete Maßnahmen folgen.
Die Soziologin Jutta Allmendinger ist für ihre klare Haltung zum Thema "Frauen und Arbeitsmarkt" bekannt. Die streitbare Direktorin des Berliner Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialforschung ist allerdings nicht dabei, wenn noch bis zum 26. April der Women20 Summit in der Hauptstadt tagt. Es geht um die Stärkung der Rolle der Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft. Unter den (prominenten) Teilnehmerinnen: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Familienministerin Manuela Schwesig, IWF-Chefin Christine Lagarde, US-Präsidenten-Tochter Ivanka Trump und Königin Maxima aus den Niederlanden.

Ist in den letzten 30 Jahren so wenig passiert?

Das Programm und die Forderungen lesen sich allerdings so, als sei in den letzten 20, 30 Jahren weltweit nicht viel passiert. Und das ist es, was auch Allmendinger im Deutschlandradio Kultur kritisiert: Zwar wolle sie nicht schwarzmalen – es gebe deutlich mehr erwerbstätige Frauen, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten. "Aber wir müssen dran bleiben. Von daher wünsche ich mir schon, dass man nicht nur darüber redet, wie man jetzt über viele Jahrzehnte geredet hat, sondern wirklich etwas tut. Und entsprechende feste Zielgrößen setzt."
Auf Tagungen wie dem Women20 Summit werde "immer so schön über Meilensteine geredet – ein Wort, das ich nicht mehr hören kann. Aber wenn sie schon über Meilensteine reden, dass sollen sie doch schön ihre (…) Häkchen hinter jedes dieser Steinchen machen. Wir können das bestimmen: Wir können die Ursachen aufzeigen, und es ist nur eine Frage des gemeinschaftlichen Wollens. Und da müssen die Tarifparteien mitziehen, da muss die Politik mitziehen. Da müssen die Menschen mitziehen. Aber man sollte nicht reden, wenn man nicht bereit ist, da etwas zu tun."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Förderung von weiblichem Unternehmertum, Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt – das könnte ein Rückblick sein auf die Tagesordnung einer Veranstaltung aus den 1980er- oder vielleicht sogar 70er-Jahren, es ist aber ein Vorausblick auf die Themen des heute und morgen in Berlin stattfindenden Women 20 Summit, ein Treffen, bei dem es darum geht, etwas zu formulieren, was man dann erfüllt haben möchte von den 20 größten Industrienationen der Welt. Aber heißt denn das, wenn man sich diese Tagesordnung mal anguckt, dass wir heute auch in diesen 20 Ländern, die ja doch relativ fortschrittlich sind in Bezug auf die Gleichstellung von Frauen, noch immer nicht weiter sind als vor 30, 40 Jahren? Wir wollen darüber jetzt mit Jutta Allmendinger reden, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Frau Allmendinger, erst mal schönen guten Morgen!
Jutta Allmendinger: Einen schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich sag das überhaupt nicht, um Sie zu provozieren, ich muss aber zugeben, als ich die Tagesordnung dieses Treffens gelesen habe das erste Mal vor ein paar Tagen, habe ich ein bisschen aufgestöhnt und gesagt, das sind doch Themen, über die ich seit Jahren mit Männern und mit Frauen schon so oft geredet habe. Ging’s Ihnen nicht ähnlich?
Allmendinger: Na ja, Sie provozieren ja nicht mich, Sie hinterfragen den Fortschritt, und natürlich haben wir Fortschritte gemacht, aber die sind bei Weitem nicht ausreichend. Es ist so viel zu tun, dass man es leider – und da betone ich auch: leider – noch heute zu betonen und daran zu arbeiten hat.
Kassel: Nun haben wir in Deutschland eine Bundeskanzlerin, wir haben eine Verteidigungs- und mehrere andere Ministerinnen, wir haben erfolgreiche Unternehmerinnen, sind das alles trotzdem immer noch eigentlich Ausnahmen, die eine ganz andere Regel bestätigen?

Es liegt noch vieles im Argen

Allmendinger: Nun, ich könnte jetzt entgegnen, wir haben nach wie vor eine große Ungleichheit in der Beteiligung von Frauen, wir haben riesige Unterschiede in der Arbeitszeit von Männern und Frauen, wir haben große Verdienstunterschiede, die sieht man im Stundenlohn, sie sind man noch stärker im Lebenslohn – wenn man sich beispielsweise die Rente von Frauen anschaut, so ist die halb so hoch wie bei Männern. Wir haben ganz wenige Frauen, die Vorstände sind. Also es liegt schon vieles im Argen, auch in Deutschland liegt sehr vieles im Argen. Und von daher muss es leider so sein, dass man es immer und immer wieder betont, und ich hoffe, dass zumindest eines erreicht wird: dass man sich nicht nur Ziele steckt, sondern dann auch daran arbeitet, diese zu erreichen.
Kassel: Wir haben heute Morgen schon aus einigen dieser G20-Staaten, um die es ja konkret geht bei diesem Treffen, berichtet, und ich war zum Teil überrascht, Australien war ein Beispiel, und da hat auch eine Wissenschaftlerin gesagt, na ja, wir haben in Australien bei uns eine sehr mütterliche Gesellschaft immer noch, und viele Frauen sehen ihre Rolle auch ganz anders als die Rolle von Männern. Ich nehme das mal so an, ich bin noch nie in Australien gewesen, aber würden Sie sagen, das ist eigentlich sogar bei uns so, es liegt zum Teil schon auch an den Frauen, dass es sich so langsam weiterentwickelt?
Allmendinger: Na ja, also die Frauen, die wollen ja keine Männer werden, und wir wollen ja keine Kinder haben, um uns um diese Kinder nicht auch kümmern zu können. Jetzt wissen wir allerdings auch, dass viele Männer, die Väter sind, sich durchaus und zunehmend um ihre Kinder kümmern möchte, und von daher brauchen wir schlichtweg nicht den männlichen Arbeitsmarkt auch für Frauen, sondern wir brauchen eine Arbeitsgemeinschaft von Männern und Frauen, die dann eben dazu führt, dass beide ungefähr gleich viel an bezahlter, aber auch gleich viel an unbezahlter Arbeit machen.
Kassel: Aber gibt es nicht doch diesen Trend, wenn wir uns eine Partei wie die AfD angucken, die ja auch unter Frauen durchaus Zuspruch hat und die ja ein sehr, sehr traditionelles Familienbild unter anderem auch propagiert, gibt es nicht auch diesen Trend, zu sagen – unter Frauen und unter Männern –, na ja, wir haben das so lange versucht, es hat nicht wirklich geklappt, es ist vielleicht auch nicht wirklich sinnvoll?
Allmendinger: Das sehen wir in unseren Daten überhaupt nicht. Wir sehen auch, dass die AfD verliert, und wir sehen im Übrigen auch, dass hochrangige Vertreterinnen und auch Vertreter der AfD nicht das Familienbild leben, welches sie propagieren.
Kassel: Das ist wahr.
Allmendinger: Sorry, also wenn wir uns anschauen, dann sehen wir, dass Frauen lieber eine niedrige Vollzeit arbeiten als ihre Teilzeiterwerbstätigkeit, dass sie sehr gerne mal für ein Jahr lang weniger erwerbstätig sind. Das finde ich auch vollkommen in Ordnung, angesichts der längeren Lebenserwartung können wir uns das leisten, und wir sehen diese Bilder auch bei Männern. Insofern ist das in unserer Gestaltung, in unseren Möglichkeiten, diese ganzen Unterschiede und damit auch dann Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.

Teilzeit und Führung - das geht noch immer kaum zusammen

Kassel: Aber woran liegt es denn am Ende? Sie bestätigen ja einen Eindruck, den ich auch immer wieder habe, es sagen ja alle, ja, wir wollen das – die Frauen sagen das, die Männer sagen das, die Politiker, die Unternehmer und -innen. Woran liegt es denn, dass es sich trotzdem so langsam entwickelt?
Allmendinger: Na ja, es liegt schon daran, dass wir nach wie vor diese Zuweisungen haben, die auch sehr stark von Arbeitgebern im Übrigen gefordert werden. Wir haben zwar jetzt erreicht, dass wir eine Flexibilität in der Arbeitszeit haben, dass wir Vereinbarkeit von Beruf und Familie in vielen Unternehmen bieten. Wir hatten jetzt uns mal viele, viele Unternehmen am WZB angeschaut und hatten gesehen, dass das dann aber sogenannte Mommy Tracks sind, also Karriereverläufe, die auf Mütter zugeschnitten sind, die dann nicht in höhere Positionen führen, die es nicht erlauben, nach einer Teilzeit wieder in Vollzeit zu kommen. Teilzeit und Führungspositionen sind vollkommen ausgeschlossen. Und wenn man da mal drinnen ist, kommt man nicht mehr raus. Es wie so ein Teufelskreis, der ganz schwierig ist, wieder hinter sich zu lassen.
Kassel: Wir lernen ja im Moment, dass Entwicklungen, bei denen wir das als Laien vielleicht angenommen haben, nicht immer linear verlaufen, oder sehr viel simpler gesagt, es muss nicht immer alles nur besser werden. Verändert sich der Blick auf Gleichstellung, Gleichberechtigung, gleiche Chancen im Beruf und anderswo auch durch die Einwanderung, die wir gerade erleben? Es kommen ja viele Menschen zu uns, die aus Ländern kommen, aus Kulturen, die doch ein sehr viel traditionelleres Rollenbild der Geschlechter leben.
Allmendinger: Das sehe ich nicht so. Ich sehe das Gegenteil, dass die Personen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, sich eher Deutschland anzupassen gedenken. Wir sehen das darin, dass sie ihre Kinder viel häufiger in Kindergärten tun, als sie das beispielsweise in Herkunftsländern täten, wir sehen eine Arbeitsagentur, die sehr stark auf eine Erwerbstätigkeit von Frauen pocht. Also hier sind auch nach allen Daten, die uns vorliegen, die Prozesse eher in umgekehrte Richtung. Und ich möchte jetzt auch das Bild über die letzten 20, 30 Jahre, so wie Sie es gezeichnet haben, nicht zu schwarz malen. Natürlich haben wir viel erreicht, die Erwerbsarbeit ist gestiegen, wir haben jetzt eine Kinderbetreuung für Kinder unter drei, wir haben eine zunehmende Erwerbsbeteiligung, aber wir müssen halt dranbleiben. Und von daher wünsche ich mir schon, dass man nicht nur darüber redet, wie man jetzt über viele Jahrzehnte geredet hat, sondern tatsächlich was tut und entsprechende feste Zielgrößen setzt.
Kassel: Das ist im Kern ja auch die Forderung, die am Ende in dieses Treffen spielt.
Allmendinger: Aber es kann nicht bei einer Forderung bleiben.
Kassel: Nein, Forderungen müssen idealerweise erfüllt werden.
Allmendinger: Ich meine, die reden ja alle so schön über Meilensteine – das ist ein Wort, welches ich gar nicht haben kann –, aber wenn sie schon über Meilensteine reden, dann sollen sie bitte ihre grünen Häkchen hinter jeden dieser Steinchen machen. Wir können das bestimmen, wir können die Ursachen aufzeigen, und es ist nur eine Frage des gemeinschaftlichen Wollens – und da müssen die Tarifparteien mitziehen, da muss die Politik mitziehen, da müssen die Menschen mitziehen. Aber man sollte nicht reden, wenn man dann nicht bereit ist, was zu tun.
Kassel: Wissen Sie was, Frau Allmendinger, ich hoffe, dass wir beide uns auch in fünf, in zehn, in 20 Jahren noch unterhalten können, aber ich hoffe sehr, dass wir …
Allmendinger: Aber nicht über dieses Thema.
Kassel: … es nicht mehr so …
Allmendinger: Genau.
Kassel: Und vor allen Dingen nicht in diesem Ton. Wir können dann vielleicht irgendwann mal sagen, wissen Sie noch, damals, ist ja vorbei, Gott sei Dank. Aber heute ist es leider noch nicht so weit, deshalb mussten wir das Gespräch führen, und ich hab’s eigentlich doch ganz gern gemacht. Ich danke Ihnen sehr!
Allmendinger: Ich Ihnen auch, tschüss!
Kassel: Tschüss! Jutta Allmendinger war das, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über ein Thema – das muss ich jetzt noch mal ernst sagen –, das natürlich leider Gottes für alle Geschlechter noch immer nicht zum Lachen bietet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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