Folgeschäden

Von Nadine Lindner · 16.08.2013
In einer Sondersitzung beschäftigt sich der Bundesrat mit den staatlichen Hilfsgeldern für die Hochwasseropfer. Möglicherweise wird deren Auszahlung diesen Monat beginnen. Auch das sächsische Gruna hofft auf Unterstützung. Die 200 Einwohner streiten darüber, ob man den Ort umsiedeln soll oder nicht.
Der Fluss Mulde gluckert ein paar Meter entfernt in seinem Bett. Charlotte Welzel steht auf dem Deich direkt neben der Kirche und lässt den Blick ins Grüne schweifen.

Ruhig ist es in ihrem Heimatdorf Gruna mit seinen 200 Einwohnern, fast schon idyllisch. Die Ruhe endet spätestens dann, wenn man sich einem Haus nähert. Denn überall laufen die Gebäudetrockner…

Welzel: "Was wir hier hören, sind Kondensat Entfeuchter. Die ziehen die Feuchtigkeit aus dem Boden."

Im Bürgerhaus von Gruna musste wie bei vielen hier der Fußboden komplett entfernt werden. Kniehoch stand hier das Wasser.

"Es wird etwa drei Wochen dauern, ... wir haben heute erst angefangen, weil die Gemeinde das die ganze Zeit als Stützpunkt genommen hat und da konnten wir nichts machen."

Charlotte Welzel strahlt Entschlossenheit aus, wie sie um die Rohrstumpen herumläuft, die aus dem nackten Fußboden des Bürgerhauses ragen.

Einige Dorfbewohner wollen wegziehen – in Hochwassersichere Gebiete
Sie wohnt schon seit über dreißig Jahren hier und ist im Förderverein Gruna aktiv, der Kulturveranstaltungen organisiert oder wie in den letzten Wochen hilft, die Folgen der Flut zu beseitigen.

Bis zu zwei Meter hoch lief das Wasser in die Wohnhäuser. Das heißt: Fußboden raus, Putz von den Wänden hacken. Über Wochen ein Leben auf einer Baustelle - zuletzt nach der Flut 2002, und in diesem Jahr wieder.

Einigen Grunaern reicht es jetzt. Sie wollen nur noch weg, umsiedeln in ein Gebiet, das vor Hochwasser sicher ist. Einer von ihnen ist Andreas Linke, er sitzt in seinem Versicherungsbüro in Eilenburg, etwa zehn Kilometer entfernt. Linke hat Fotos von seinem Haus in Gruna ausgedruckt.

"Auf dem Foto sieht man unseren Hausrat, den ausgeräumten. Und man sieht im Haus, wie der Schlamm noch steht, 60 Zentimeter. ... Und 2002 achtzig. Wir sind ja schon zum zweitem Mal abgesoffen!"

Er ist sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Gruna wieder eine Flut trifft.

"Beim ersten Mal dachte ich noch, so was passiert halt im Leben. Ok, das stehen wir durch, wird wieder aufgebaut. Jetzt beim zweiten Mal habe ich gedacht, so, ist der Spaß vorbei. Ich denke schon, dass wir die Natur nicht mehr in den Griff kriegen dort unten."

Anfang Juni, wenige Tage nach der Flut, als die Bürger noch zusammen in einer Notunterkunft saßen, hat er eine Unterschriftensammlung organisiert. Seine Forderung:

"Umsiedelung gegen Entschädigung! Das gesamte Dorf! Geht natürlich nur wenn das gesamte Dorf auch dahinter steht, logisch! Und das war in dem Moment nicht, es war nur ein Drittel. Konkrete Forderung: Jeder einzelne würde entschädigt und man muss schon mit jedem einzelnen sprechen. Und dann baut man Neu-Gruna dort auf dem hohen Ufer. Die Dorfgemeinschaft bleibt, aber die Gefahr des Hochwassers ist nicht mehr."

Eine radikale Idee, die zuerst große Wellen schlug. Sich aber dann doch nicht durchsetzte. Heute, zehn Wochen später, wollen genauso viele Dorfbewohner bleiben.

Die Dorfgemeinschaft drohte wegen des Hochwassers zu zerbrechen
Sie wohnen seit Jahren, Jahrzehnten in dem Örtchen, wehren sich gegen eine mögliche Umsiedlung. Nicht nur die Häuser sind beschädigt, auch die Dorfgemeinschaft drohte zu zerbrechen:

"Und es gab auch Anfeindungen! Naja, mir sind auch Prügel angedroht worden. Aber das waren die ersten Tage nach dem Hochwasser, wo die Nerven blank lagen."

Charlotte Welzel, die jetzt vor dem Bürgerhaus steht, findet wie viele andere, dass Linke damals zu weit gegangen ist und den ersten Schock nach dem Hochwasser ausnutzen wollte, um die Leute auf seine Seite zu ziehen, aus Gruna wegzuziehen. Linke ist für sie auch mit Schuld daran, dass nach dem Streit Spenden nicht in Gruna angekommen sind. Was die Fronten noch einmal verhärtet hat.

"Tödlich war es aus dem Grund noch, dass viele, die spendenwillig waren, nicht gespendet haben, die dann gesagt haben, nee, ihr wollt doch eh alle weggehen."

Nachdem sich in den vergangenen Wochen die Wogen etwas geglättet haben, hoffen alle Grunaer nun auf einen Ringdeich, der das Dorf komplett umschließen und endlich vor den Fluten schützen soll. Doch diesen Wunsch hatten sie bereits nach dem Hochwasser 2002. Heute, elf Jahre später, ist noch nicht einmal das Planfeststellungsverfahren eröffnet, der Termin für einen Baubeginn steht damit in den Sternen. Der Bürgermeister von Gruna gibt selbstkritisch zu, dass man dies nach 2002 habe schleifen lassen.

Zweifel an der Standhaftigkeit des künftigen Hochwasserschutzes
Die Quittung 2013: ein neuer Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

"Meine Meinung ist, dass es nicht die letzte Flut gewesen ist. Und ob dann schon der Ringdeich steht, wissen wir nicht. Und ob der Ringdeich was bringt, wissen wir auch nicht."

… sagt Andreas Linke. Er hat nach den Anfeindungen klein bei gegeben und zieht bald wieder in sein altes Haus zurück. Das hat - versprochene Hilfsgelder hin oder her - auch einen ganz profanen Grund. Ich kann nicht einfach verkaufen und woanders neu anfangen, sagt er und seufzt.

"Was ist denn mein Haus noch wert? Was sind die Häuser in Gruna jetzt zurzeit noch wert? Null. Wer kauft ein Haus, wo zweimal das Hochwasser dringestanden hat?"

Er und viele fühlen sich wie festgenagelt im Ort. Und so müssen sie in Gruna weiter miteinander leben, diejenigen die eigentlich gehen wollen, die die bleiben wollen, und der Fluss, die Mulde.
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