Fluor als Ernährungsirrtum

Von Udo Pollmer · 14.08.2011
Lange wurde unter Fachleuten diskutiert, ob durch den Zusatz von Fluor im Leitungswasser Karies vorgebeugt werden könnte. Nun liegt ein ernüchterndes Gutachten der Europäischen Union vor: Ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Schutz fehlt.
Um es vorwegzunehmen: Das Resultat ist kein Ruhmesblatt für unsere Präventionsmediziner. Der Ausschuss beklagt das Fehlen eindeutiger wissenschaftlicher Belege für einen Schutz vor Karies. Ja, sie haben richtig gehört. Die Sache mit der Vorbeugung vor Karies durch Fluorid im Wasser war nur eine Theorie. Und was ist mit den gern zitierten medizinischen Studien, die eine Verringerung der Karieshäufigkeit gefunden haben wollen? Nun, sie sind methodisch so dürftig, dass ihre Ergebnisse bis zum heutigen Tag ohne praktische Bedeutung sind. Dafür spricht auch, dass es dort, wo die Fluoridierung des Wassers beendet wurde, in der Folgezeit nicht zur erwarteten Zunahme der Karies kam, teilweise sank die Rate danach sogar.

Nicht viel besser ist die Datenlage bei Lebensmitteln, die mit einer Extraportion Fluorid angeboten werden - wie Salz. Der Ausschuss bemängelt, dass es keine systematischen Untersuchungen zu Nutzen oder Schaden gäbe. Studien, die einen Nutzen gefunden haben wollen, seien von geringer Qualität. Bei hoher Dosierung - in Nahrungsergänzungsmitteln oder Fluoridtabletten - würde eine etwas geringere Karieshäufigkeit offenbar mit neuen Zahnschäden, nämlich der Fluorose erkauft. Da sehen die Zähne fleckig oder gebräunt aus. Die betroffen Kinder trauen sich dann nicht mal mehr zu lachen. Auch der Zahnschmelz wird dauerhaft geschädigt.

Das einzige, was das Expertengremium gelten lässt, ist die Verwendung fluoridierter Zahnpasta. Hier ist der Nutzen für die Zähne bei einer lokalen Anwendung hinreichend belegt. Auch sei der Schaden geringer, weil beim Zähneputzen ein erheblicher Teil wieder ausgespuckt würde. Genau das Gegenteil passiert beim Fluoridzusatz zum Trinkwasser. Da kann aufgrund der stark variierenden Gehalte in der Nahrung leicht unwissentlich eine erhöhte Gesamtdosis aufgenommen werden.

Brisant ist aus meiner Sicht vor allem folgender Befund: Eine ganze Serie von Studien behauptet, dass in Regionen mit mehr Fluorid im Trinkwasser die Kinder weniger intelligent sind. Ihr IQ ist signifikant erniedrigt. Die Experten der EU glauben aber nicht so recht an einen ursächlichen Zusammenhang, da sie als einzigen Mechanismus einen Effekt des Fluorids auf die Schilddrüse - und damit indirekt auf das Gehirn - diskutieren. Doch dafür gibt es bisher keine soliden Belege.

Diese Interpretation kann ich so nicht nachvollziehen. Erstens ist das Risiko, um das es hier geht, von erheblicher Bedeutung. Zweitens gibt es ja durchaus auch andere, indiskrete Mechanismen für eine Wirkung: Fluorid im Wasser beeinflusst die Löslichkeit beziehungsweise Aufnahme von Stoffen, die das Nervensystem schädigen können. Hier sind namentlich Blei und Aluminium zu nennen. Die sind schon lange als wichtige Ursache von Nervenschäden und Demenz bekannt.

Egal wie man es dreht und wendet: Die Fluoridierung bleibt ein Zeichen von Ignoranz, um nicht zu sagen von Dummheit. Da eine erhöhte Zufuhr an Fluorid gesundheitlich problematisch ist, wäre es angebracht, diesen Stoff genauso kritisch unter die Lupe zu nehmen wie andere fragwürdige Mineralstoffe auch. Mahlzeit!

Literatur:
Scientific Committee on Health and Environmental Risks: Critical Review of any new evidence on the hazard profile, health effects, and human exposure to fluoride and the flouridating agents of drinking water. Opinion by written proceure on 16 May 2011
Künzel W: An unexpected trend of caries prevalence, following the cessation of water fluoridation. Caries Research 2001; 35: 283
Coplan MJ et al: Confirmation of and explanations for elevated blood leas and other disorders in children exposed to water disinfection and fluoridiation chemicals. NeuroToxicology 2007; 28: 1032.1042
Glynn AW et al: The influence of complexing agents on the solubility and absorption of aluminium in rats exposed to aluminium in water. Food Additives and Contaminants 2001; 18: 515-523
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BfR: Höchstmengen für Bor und Fluorid in natürlichem Mineralwässer sollten sich an Trinkwasserregelungen orientieren. Stellungnahme Nr. 24/2006, 7. Feb.