Flughafen München

Ein Dorf wehrt sich gegen die neue Startbahn

Ein Flugzeug von Lufthansa rollt zum Start auf die Startbahn am Flughafen in München.
Ein Flugzeug von Lufthansa rollt zum Start auf die Startbahn am Flughafen in München. © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Tobias Krone · 12.09.2017
Die Lufthansa will am Münchener Flughafen ein zweites Drehkreuz errichten und drängt darauf, dass dort eine dritte Startbahn gebaut wird. Die CSU unterstützt das. Doch die Anwohner des nahen Dorfes Attaching wehren sich gegen den Ausbau.
Ein Abend im Spätsommer am Ende der Startbahn. Produktmanager Michael Buchberger, kariertes Hemd, trendige Brille, schaut auf sein Handy. Er wartet auf ein Flugzeug.
Michael Buchberger: "Es gibt die App 'Flightradar', wo man sieht, wann wo welche Flugzeuge kommen und wo man sieht, dass jetzt seit Minuten nichts kommt und in nächster Zeit auch nichts kommt, wo man sagen muss, also von Rush-Hour und Kapazitätsengpass bekommen wir hier nichts mit. Wir hoffen drauf, dass nochmal einer jetzt auf der Nordbahn landet, um den Lärm nochmal mitzukriegen."
Statt lärmenden Fliegern hüpft ein Reh über die Wiese. Was den Flughafennachbarn Michael Buchberger in seinem Engagement gegen den Ausbau bestätigt. Ein klassischer Vorführeffekt sozusagen.

Flughafen beklagt "zunehmenden Slotmangel"

Nicht nur für den Journalisten, der jetzt gerne ohrenbetäubenden Fluglärm aufnehmen würde, sondern vor allem für den Flughafen ein paar hundert Meter weiter, der gerade seine Lichter einschaltet. Dort in einem Verwaltungsgebäude sieht man die Verkehrssituation nämlich ganz anders.
Michael Kerkloh: "Es ist einfach so, dass wir einen zunehmenden Slotmangel spüren. Wir können also die Nachfrage der Luftverkehrsgesellschaften nach Landezeiten oder Startzeiten nur noch eingeschränkt befriedigen. Und wir wissen, dass wir in den zwei drei Jahren dann diesen Deckel spüren. Dass dann wirklich größere Operations zusätzlich ab dem Flughafen München nicht mehr oder nur noch unter großen Einschränkungen möglich sind."
Michael Kerkloh, 64, Geschäftsführer des Flughafens München, sorgt sich um seinen Airport. Der soll wachsen. Technisch kein Problem, hier draußen im Erdinger Moos.
Michael Kerkloh: "Wir sind das zweite große Drehkreuz in Deutschland, haben eine Menge strategischer Flächenreserven und von daher sehr gute Zukunftsperspektiven."
Als seine strategische Flächenreserve betrachtet Michael Kerkloh derzeit vor allem die Felder und Wiesen im Norden des Flughafens. In einigen Jahren sollen auch hier auf einer neuen, dritten Startbahn Flugzeuge starten und landen – und das über den Dächern von Michael Buchbergers Dorf Attaching.

So laut wie Diskomusik oder eine Motorsäge

Minuten später schweben an diesem Abend doch noch ein paar Flieger über Michael Buchbergers Kopf ein. Der hat noch eine zweite App auf seinem Handy. Sie misst die Lautstärke.
"112,4 Dezibel."
So laut wie Diskomusik oder eine Motorsäge. Ein Szenario, das mit der dritten Startbahn Buchbergers Dorf drohen würde.
"Bei Landungen wird Attaching 400 Mal am Tag überflogen, das heißt alle zweieinhalb Minuten ungefähr fliegt ein Flugzeug bei Landungen drüber. Und bei Starts ist es so, dass zirka alle zwölf Minuten ein Flugzeug direkt über Attaching startet. Was dann wirklich von der Belastung her für uns extrem werden wird."
Die Bewohner des Dorfes Attaching am Nordrand des Münchner Flughafens danken den Münchenern für den Volksentscheid gegen die Startbahn.
Die Bewohner des Dorfes Attaching am Nordrand des Münchner Flughafens danken den Münchenern für den Volksentscheid gegen die Startbahn.© Deutschlandradio - Tobias Krone
Doch neben dem Lärm fürchtet Michael Buchberger auch Luftverwirbelungen durch die Flieger. Wenn die Startbahn käme, hieße das strikte Auflagen für das Dorf.
"Dachziegel müssen angeschraubt werden. Wir dürfen nur noch besondere Sonnenschirme und Markisen verwenden. Und selbst die Schilder am Maibaum sind entsprechend wirbelschleppensicher zu gestalten."
Man kennt sich aus im 1100-Seelen-Dorf mit der Startbahn. Seit Jahren kämpft man gegen sie. Gerichtlich wäre sie schon genehmigt. Doch weil die Einwohner der Stadt München 2012 in einem Bürgerentscheid gegen das Projekt gestimmt haben, liegt es auf Eis.

Drehkreuz sorgt für mehr Flugverkehr

Tendenz schmelzend. Denn der Platzhirsch Lufthansa scheint jetzt noch mehr auf München zu setzen. Ab Frühjahr kommenden Jahres hebt sie auch mit ihrem ganz großen Airbus A380 von München ab.
Flughafenchef Michael Kerkloh sieht es als vorläufigen Endpunkt einer strategischen Partnerschaft mit der Lufthansa.
"Jetzt das größte Flugzeug hier ist im Grunde genommen eine konsequente Weiterentwicklung, weil wir auch die Verkehrsmengen haben. Wir schaffen es eben als Flughafen, einen A380 mit knapp 500 Fluggästen auch vollzukriegen, auf gut Deutsch."
Für volle Langstreckenflieger sorgen nicht nur das prosperierende Münchner Umland, sondern vor allem das Terminal 2. Lufthansa und Partnerairlines haben hier ein exklusives Drehkreuz aufgebaut. Passagiere aus ganz Europa steigen hier in die Flüge über den Atlantik oder nach Asien um.
Um schnelles Umsteigen zu ermöglichen, müssen möglichst viele Flieger in kurzer Zeit starten und landen. Daher setzt gerade die Lufthansa auf die dritte Startbahn.
Michael Kerkloh: "Wir haben an einem Durchschnittstag 9 bis 10 Stunden eine Übernachfrage, also die 90 Bewegungen reichen einfach nicht aus. Gerade in den attraktiven Zeiten, wenn Menschen fliegen wollen, geht da nichts mehr. Und von daher ist es ganz, ganz klar, dass man ein solches Projekt angehen muss."

Künstliche Nachfrage geschaffen?

Der Flughafen unternimmt seit Jahren den nächsten Anlauf. Die Idee: Mehr Airlines nach München zu holen, um das Wachstum zu erhöhen. Schon länger kritisieren die Ausbaugegner, dass der Münchner Flughafen, wie viele andere Flughäfen auch, Flüge bezuschusst – und so eine künstliche Nachfrage schaffe.
Dass nun, ähnlich wie in Frankfurt, auch Lufthansas Billig-Konkurrent Ryanair nach München drängt, kann der Kranichfluglinie gerade nur recht sein, denn auch das erhöht den potentiellen Bedarf einer dritten Startbahn.
Die CSU, das Land Bayern und die bayerische Wirtschaft stehen mehrheitlich hinter dem Projekt. Sie fürchten um die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsraumes Bayern. Michael Buchberger fürchtet dagegen, dass sein Dorf bald aussehen könnte wie die Geisterhöfe von Schwaigermoos, an denen er in seinem E-Auto vorüberfährt.
"Da fehlen Dachziegel, alles ist eingezäunt, die Fenster sind eingeschlagen. Und das wirkt schon sehr, ja, traurig und gespenstisch und... die nächsten Gebäude schauen schon ziemlich nach Geisterstadt aus. Etwas, das man so in Oberbayern ja eigentlich nicht kennt."

Angst um den Verlust der Heimat

Die Bauern hier haben die Höfe schon an den Flughafen verkauft. Zwei Kilometer weiter liegt Attaching. Dort würde mit der dritten Startbahn die Kita zumachen. Die Freiwillige Feuerwehr fürchtet, mit dem Wegzug vieler Einwohner nicht mehr genügend Mitglieder zu haben. Auch der Krämer mit seinem Dorfladen könnte in Existenzschwierigkeiten kommen, bisher die Institution in Attaching.
Michael Buchberger: "Vor drei oder vier Jahren hatten wir eine Veranstaltung und da war der Kramer im Urlaub. Und es ging da um die Getränkebewirtung, und dann hat der Kramer gesagt: 'Da hast du einen Schlüssel, ich habe einen Zettel hingehängt, du schreibst auf, was du an Getränken holst und zahlst es dann nachher'.
Das sind Dinge, die kann man nicht bezahlen, so was gibt’s sonst einfach nicht. Und das wird, wenn es Attaching nicht mehr gibt, nicht mehr geben. Aber das sind Dinge, die kann man nicht kaufen. Das ist Heimat für mich. Da ist man daheim."
Auch Michael Buchbergers Heimat könnte eine Geisterstadt werden. Ein dunkler Fleck neben einer neuen, lichterfunkelnden Startbahn.
Mehr zum Thema